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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Barmherzigkeit empfunden haben sollte, daß ihn der Lethestrom verschlungen
und so lange bei sich behalten hatte. Herr Encile Ollivier, weiland Minister
Kaiser Napoleons III. und bekannt durch sein angebliches Wart, er sehe dein Kriege
"mit leichtem Herzen" entgegen, taucht wieder auf, und noch dazu mit einen?
Buche in der Hand, das in dem, was ihm offenbar die Hauptsache bei seiner
Darstellung war, den Beweis liefert, daß er wirklich der Thor ist, als der er
bisher in unserm Gedächtnis lebte, obwohl wir inzwischen erfahren haben, das;
jenes albern leichtsinnige Wort nicht auf seiue Rechnung zu setzen ist. Das
"leichte Herz" vom Sommer 1870 war vielmehr Eigentum eiues Amtsge¬
nossen Olliviers, der ans dem Barometer der Staatsklugheit "och ein
Paar Grad tiefer unter dem Nullpunkte stand als er und namentlich noch
weniger Takt besaß es gehörte zu dem vierschrötiger Körper des be¬
rüchtigten Herzogs von Gramont, deu Bismnrck einmal als sehr geeignet zu
einem Fvrstläufer, aber uicht zu einem Minister bezeichnete. Von dem
Buche Olliviers, das soeben unter dem Titel: 17 8!)^l"8i> in Paris
erschienen ist, fassen wir nur den Abschnitt ins Auge, bei dessen Vorgängen
der Verfasser mitgewirkt hat, und wo die Schrift den Charakter einer
Selbstverteidigung oder Selbstentlastung annimmt. Es kommt ihm dabei zu
gute, daß er reichlich freie Hand in der Wahl seiner Entschuldigungen hat.
In dieser Hinsicht tritt er dem furchtbaren Gegenstande seiner Betrachtung mit
Vorteilen näher, die vielen Staatsmännern, deren Namen sich mit großen
nationalen Nöten und Niederlagen verknüpfen, versagt sind. Kein verständiger
und billig denkender Zeitgenosse, dem die Ereignisse und Persönlichkeiten der
Vorgeschichte der ^rmos wrriblö der Franzosen noch einigermaßen deutlich vor
Augen stehen, wird annehmen wollen, daß den guten Emile Ollivier eine größere
Verantwortlichkeit für die darauffolgende Reihe von französischen Schlappen
und Verlusten treffe als seine Amtsgenossen. Er stand allerdings dem Titel
und Range nach an ihrer Spitze, hatte aber nicht mehr wirklichem Einfluß auf
deu Gang der Dinge als sie, denn der eigentliche Herr und Meister war der
kränkliche, unentschlossene und selbst allerhand Einflüssen, namentlich dem
der Furcht vor der öffentlichen Meinung und einer Revolution der Pariser
zugänglichen Kaiser. Mag man die Kette von Beweggründen weiter zurück
verfolgen bis zu der Stellung der bigotten Kaiserin gegenüber dem empor-
gekommenen protestantischen Preußen oder bis zu der Sorge des kaiserlichen
Paares um die Ansprüche und Hoffnungen des Sohnes, dem die Ironie des
Schicksals später statt des Thrones den Tod unter deu Speeren afrikanischer
Wilden beschied, niemand, der die Krisis aufmerksamen Blickes und gerechten
Sinnes bis zur Katastrophe verfolgt, wird ans den Gedanken kommen, daß
Ollivier die Hauptrolle dabei gespielt habe oder auch nur in einer besonders
wichtigen Nebenrolle dabei beteiligt gewesen sei. Dazu mangelte es ihm sowohl
an der erforderlichen Verstandesschärfe als an der nötigen Willenskraft. Ohne


Barmherzigkeit empfunden haben sollte, daß ihn der Lethestrom verschlungen
und so lange bei sich behalten hatte. Herr Encile Ollivier, weiland Minister
Kaiser Napoleons III. und bekannt durch sein angebliches Wart, er sehe dein Kriege
„mit leichtem Herzen" entgegen, taucht wieder auf, und noch dazu mit einen?
Buche in der Hand, das in dem, was ihm offenbar die Hauptsache bei seiner
Darstellung war, den Beweis liefert, daß er wirklich der Thor ist, als der er
bisher in unserm Gedächtnis lebte, obwohl wir inzwischen erfahren haben, das;
jenes albern leichtsinnige Wort nicht auf seiue Rechnung zu setzen ist. Das
„leichte Herz" vom Sommer 1870 war vielmehr Eigentum eiues Amtsge¬
nossen Olliviers, der ans dem Barometer der Staatsklugheit »och ein
Paar Grad tiefer unter dem Nullpunkte stand als er und namentlich noch
weniger Takt besaß es gehörte zu dem vierschrötiger Körper des be¬
rüchtigten Herzogs von Gramont, deu Bismnrck einmal als sehr geeignet zu
einem Fvrstläufer, aber uicht zu einem Minister bezeichnete. Von dem
Buche Olliviers, das soeben unter dem Titel: 17 8!)^l«8i> in Paris
erschienen ist, fassen wir nur den Abschnitt ins Auge, bei dessen Vorgängen
der Verfasser mitgewirkt hat, und wo die Schrift den Charakter einer
Selbstverteidigung oder Selbstentlastung annimmt. Es kommt ihm dabei zu
gute, daß er reichlich freie Hand in der Wahl seiner Entschuldigungen hat.
In dieser Hinsicht tritt er dem furchtbaren Gegenstande seiner Betrachtung mit
Vorteilen näher, die vielen Staatsmännern, deren Namen sich mit großen
nationalen Nöten und Niederlagen verknüpfen, versagt sind. Kein verständiger
und billig denkender Zeitgenosse, dem die Ereignisse und Persönlichkeiten der
Vorgeschichte der ^rmos wrriblö der Franzosen noch einigermaßen deutlich vor
Augen stehen, wird annehmen wollen, daß den guten Emile Ollivier eine größere
Verantwortlichkeit für die darauffolgende Reihe von französischen Schlappen
und Verlusten treffe als seine Amtsgenossen. Er stand allerdings dem Titel
und Range nach an ihrer Spitze, hatte aber nicht mehr wirklichem Einfluß auf
deu Gang der Dinge als sie, denn der eigentliche Herr und Meister war der
kränkliche, unentschlossene und selbst allerhand Einflüssen, namentlich dem
der Furcht vor der öffentlichen Meinung und einer Revolution der Pariser
zugänglichen Kaiser. Mag man die Kette von Beweggründen weiter zurück
verfolgen bis zu der Stellung der bigotten Kaiserin gegenüber dem empor-
gekommenen protestantischen Preußen oder bis zu der Sorge des kaiserlichen
Paares um die Ansprüche und Hoffnungen des Sohnes, dem die Ironie des
Schicksals später statt des Thrones den Tod unter deu Speeren afrikanischer
Wilden beschied, niemand, der die Krisis aufmerksamen Blickes und gerechten
Sinnes bis zur Katastrophe verfolgt, wird ans den Gedanken kommen, daß
Ollivier die Hauptrolle dabei gespielt habe oder auch nur in einer besonders
wichtigen Nebenrolle dabei beteiligt gewesen sei. Dazu mangelte es ihm sowohl
an der erforderlichen Verstandesschärfe als an der nötigen Willenskraft. Ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/511>, abgerufen am 28.06.2024.