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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der verfassungsstreit in Preußen

welche die Negierung zur Sicherung unsrer Kreuzen und unsrer Interessen
getroffen Hut, auswärtige Entwicklungen entstehen sollten, Sie die Mittel zur
'Landesverteidigung dem Könige verweigern wird, Heißt das nicht, dem Auslande
zurufen: Kommt her, der Augenblick ist günstig, Preußen - - (Unterbrechung
und Widerspruch). Nun, es freut mich, daß Sie noch ein Gefühl der Ent¬
rüstung äußern." (Unterbrechung; Ruf: Zur Ordnung!) Einen Ordnungsruf
hielt nun zwar der Vizepräsident nicht für gerechtfertigt; als aber Bismarck
fortfuhr: "Diese Drohung, Preußen wehrlos zu machen, sprach derselbe Ab¬
geordnete von Unruh ans, dessen Name mit der Steuerverweigerung von
1848" wurde er von neuem unterbrochen, und als er entschieden das Recht
zu solchen Unterbrechungen bestritt, verstieg sich Herr Behrend zu dem Ans
Spruch: "Ich muß den Herrn Ministerpräsidenten trotz dieser seiner letzten
Äußerung dennoch unterbrechen. Ich habe dein Herrn Ministerpräsidenten das
Wort nicht entzogen und nach der Verfassung nicht entziehen können; der
Präsident dieses Hanfes übt in diesem Saale seine Disziplinargewalt ans, so¬
weit diese vier Wände reichen; sie endet nicht am Ministertische." (Lebhaftes,
anhaltendes Bravo). Daß diese unerhörte Anmaßung, für die es weder in
der Verfassung, noch in der Geschäftsordnung des Hauses anch nur eine Spur
von Begründung giebt, mit Jubel aufgenommen wurde, ist bezeichnend für die
Anschauungen und Bestrebungen der damals herrschenden Partei. Bismarck ließ
es selbstverständlich an einer gebührenden Zurückweisung nicht fehlen; als er
aber zum zweitenmale Herrn von Unruh und die Steuerverweigerung erwähnte,
brach neuer Lärm los. "Stürmische Bewegung in der Versammlung: Das
ist unwürdig -- Vertagen! Andauernder Ruf der Glocke des Präsidenten,"
heißt es in dem Bericht über die Sitzung. Eine weitere Folge hatte der
Zwischenfall nicht.

Ganz ähnlich wie in der polnischen Frage war auch das Vorgehen des
Abgeordnetenhauses in der schleSUüg-holsteinischen Frage, die damals wieder anfing
brennend zu werden. Auch hierin stand die herrschende Mehrheit vollständig
auf Seiten der Gegner Preußens, der dänischen Demokraten, des Augusteu-
bnrgers und der deutschen Kleinstaaten. Tochter brachte am 17. April die
betreffende Jnterpellation ein und äußerte in seiner Begründung: "Die Dänen
wissen allerdings, daß nnter den gegenwärtigen Umständen eine preußische Re¬
gierung, welche mit dem eignen Lande im härtesten Widersprüche steht, welche
eine kaum nennenswerte Partei in der Vertretung des eigne" Volkes hinter
sich hat, daß eine Regierung, welche infolge der innern Zustände anch im
übrigen Deutschland ganz ohne Einfluß und ohne jede Möglichkeit ist, eine
kräftige Initiative zu ergreifen, welche daneben Preußen anch nach außen hin
gänzlich isolirt hat, welche durch ihre Politik in der polnischen Angelegenheit
den preußischen Staat in die äußerste Spannung zu den Westmächten gebracht
hat, daß die völlig außer stände ist, einen Krieg mit Dänemark zu führen;


Der verfassungsstreit in Preußen

welche die Negierung zur Sicherung unsrer Kreuzen und unsrer Interessen
getroffen Hut, auswärtige Entwicklungen entstehen sollten, Sie die Mittel zur
'Landesverteidigung dem Könige verweigern wird, Heißt das nicht, dem Auslande
zurufen: Kommt her, der Augenblick ist günstig, Preußen - - (Unterbrechung
und Widerspruch). Nun, es freut mich, daß Sie noch ein Gefühl der Ent¬
rüstung äußern." (Unterbrechung; Ruf: Zur Ordnung!) Einen Ordnungsruf
hielt nun zwar der Vizepräsident nicht für gerechtfertigt; als aber Bismarck
fortfuhr: „Diese Drohung, Preußen wehrlos zu machen, sprach derselbe Ab¬
geordnete von Unruh ans, dessen Name mit der Steuerverweigerung von
1848" wurde er von neuem unterbrochen, und als er entschieden das Recht
zu solchen Unterbrechungen bestritt, verstieg sich Herr Behrend zu dem Ans
Spruch: „Ich muß den Herrn Ministerpräsidenten trotz dieser seiner letzten
Äußerung dennoch unterbrechen. Ich habe dein Herrn Ministerpräsidenten das
Wort nicht entzogen und nach der Verfassung nicht entziehen können; der
Präsident dieses Hanfes übt in diesem Saale seine Disziplinargewalt ans, so¬
weit diese vier Wände reichen; sie endet nicht am Ministertische." (Lebhaftes,
anhaltendes Bravo). Daß diese unerhörte Anmaßung, für die es weder in
der Verfassung, noch in der Geschäftsordnung des Hauses anch nur eine Spur
von Begründung giebt, mit Jubel aufgenommen wurde, ist bezeichnend für die
Anschauungen und Bestrebungen der damals herrschenden Partei. Bismarck ließ
es selbstverständlich an einer gebührenden Zurückweisung nicht fehlen; als er
aber zum zweitenmale Herrn von Unruh und die Steuerverweigerung erwähnte,
brach neuer Lärm los. „Stürmische Bewegung in der Versammlung: Das
ist unwürdig — Vertagen! Andauernder Ruf der Glocke des Präsidenten,"
heißt es in dem Bericht über die Sitzung. Eine weitere Folge hatte der
Zwischenfall nicht.

Ganz ähnlich wie in der polnischen Frage war auch das Vorgehen des
Abgeordnetenhauses in der schleSUüg-holsteinischen Frage, die damals wieder anfing
brennend zu werden. Auch hierin stand die herrschende Mehrheit vollständig
auf Seiten der Gegner Preußens, der dänischen Demokraten, des Augusteu-
bnrgers und der deutschen Kleinstaaten. Tochter brachte am 17. April die
betreffende Jnterpellation ein und äußerte in seiner Begründung: „Die Dänen
wissen allerdings, daß nnter den gegenwärtigen Umständen eine preußische Re¬
gierung, welche mit dem eignen Lande im härtesten Widersprüche steht, welche
eine kaum nennenswerte Partei in der Vertretung des eigne» Volkes hinter
sich hat, daß eine Regierung, welche infolge der innern Zustände anch im
übrigen Deutschland ganz ohne Einfluß und ohne jede Möglichkeit ist, eine
kräftige Initiative zu ergreifen, welche daneben Preußen anch nach außen hin
gänzlich isolirt hat, welche durch ihre Politik in der polnischen Angelegenheit
den preußischen Staat in die äußerste Spannung zu den Westmächten gebracht
hat, daß die völlig außer stände ist, einen Krieg mit Dänemark zu führen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/506>, abgerufen am 02.07.2024.