Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Der vevfassnngsstreil in j)renßen "Es ist sehr leicht, die Regierung anzugreifen, wenn man ihr eine Anzahl von Zunächst interpellirte der Abgeordnete Kantak die Regierung wegen des Grenzboten 1889 IV "3
Der vevfassnngsstreil in j)renßen „Es ist sehr leicht, die Regierung anzugreifen, wenn man ihr eine Anzahl von Zunächst interpellirte der Abgeordnete Kantak die Regierung wegen des Grenzboten 1889 IV »3
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0505" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206504"/> <fw type="header" place="top"> Der vevfassnngsstreil in j)renßen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1730" prev="#ID_1729"> „Es ist sehr leicht, die Regierung anzugreifen, wenn man ihr eine Anzahl von<lb/> Absichten unterlegt und an diese Konjekturen »ut Betrachtungen knüpft, ohne<lb/> sich vorher zu vergewissern, ob die ^iegierungen diese Absichten auch hat. Der<lb/> Herr Vorredner sovil Earlvwitz> hat die Politik der Regierung eine kurzsichtige<lb/> genannt im Vergleiche mit der Rußlands. Nun, ich lasse mich gern vou der<lb/> reifern Erfahrung und tiefern Sachkunde des Herrn Vorredners belehren. Im<lb/> übrigen will ich mit ihm über das Maß derjenigen Epitheta, die wir uns hier<lb/> auf kurze Entfernung gegenseitig beilegen, nicht rechten, mochte aber doch dar¬<lb/> auf aufmerksam macheu, daß auch für Schmähungen gegen die eigne Regierung<lb/> vor der Öffentlichkeit und dem Auslande sich gewisse Grenzen empfehlen."<lb/> Abgesehen von diesem gänzlichen Maugel an Patriotismus, zeugten die An¬<lb/> sichten, die von den Vertretern des Liberalismus vorgetragen wurden, von<lb/> einer Unreife des politischen Urteils, die geradezu erstaunlich ist. Es waren<lb/> die würdigen Nachfolger jener Redner der Paulskirche, die im Jahre 1848<lb/> el» einiges Deutschland hatten „auf den Platz schwatzen" wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1731" next="#ID_1732"> Zunächst interpellirte der Abgeordnete Kantak die Regierung wegen des<lb/> Erlasses des Oberpräsidenten und des Militürgvuverueurs von Posen vom<lb/> 1- Februar d. I. Bismarck gab eine ruhige und sachliche Autwort. Dann<lb/> brachte am 18. Februar der Abgeordnete von Carlowitz eine Jnterpellation<lb/> ein bezüglich der geheimen Konvention mit Rußland. Obwohl Bismarck die<lb/> Beantwortung ablehnte, trat das Haus in eine Besprechung ein. Infolge<lb/> dieser Besprechung stellten die Abgeordneten von Hvverbeck und von Carlowitz<lb/> c>in 2et. Februar folgenden Antrag: „Das Haus der Abgeordneten wolle be¬<lb/> schließen, folgende Erklärung abzugeben: Das Interesse Preußens erfordert,<lb/> daß die königliche Staatsregierung dem im Königreiche Polen ausgebrochenen<lb/> Aufstande gegenüber sich lediglich auf die zum Schutze der preußische« Landes-<lb/> grenze erforderlichen Maßregeln beschränke, jede darüber hinausgehende Ein<lb/> Mischung vermeide und Bewaffneten nicht gestatte, das preußische Gebiet ohne<lb/> gleichzeitige Entwaffnung zu betreten." Die weitläufige Erörterung, die sich<lb/> an diesen Antrag knüpfte und die mehrere Tage in Anspruch »ahn, führte einen<lb/> höchst heftigen persönlichen Austritt zwischen dem Ministerpräsidenten und dem<lb/> Vizepräsideuten Behrend herbei, wobei der letztere durch wüstes Geschrei seiner<lb/> Parteigenossen unterstützt wurde. Bismarck hatte geäußert: „Die Neigung,<lb/> sich für fremde Nationalitäten und Nativnalbestrebnngeu zu begeistern, auch<lb/> dann, wenn diese nur auf Kosten des eignen Vaterlandes verwirklicht werden<lb/> können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich<lb/> auf Deutschland leider beschränkt. In dieser Diskussion traten nun die deutschen<lb/> Redner schon unverhüllbar mit ihrer Sympathie für die polnische Sache hervor.<lb/> Der Abgeordnete Waldeck verglich die Einstellung der preußischen Reserven mit dem<lb/> Verkauf der hessischen Landeskinder nach Nordamerika. Der Abgeordnete von Unruh<lb/> deutete unter Ihrem lebhaften Beifall an, daß, wenn aus den Vorkehrungen,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1889 IV »3</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0505]
Der vevfassnngsstreil in j)renßen
„Es ist sehr leicht, die Regierung anzugreifen, wenn man ihr eine Anzahl von
Absichten unterlegt und an diese Konjekturen »ut Betrachtungen knüpft, ohne
sich vorher zu vergewissern, ob die ^iegierungen diese Absichten auch hat. Der
Herr Vorredner sovil Earlvwitz> hat die Politik der Regierung eine kurzsichtige
genannt im Vergleiche mit der Rußlands. Nun, ich lasse mich gern vou der
reifern Erfahrung und tiefern Sachkunde des Herrn Vorredners belehren. Im
übrigen will ich mit ihm über das Maß derjenigen Epitheta, die wir uns hier
auf kurze Entfernung gegenseitig beilegen, nicht rechten, mochte aber doch dar¬
auf aufmerksam macheu, daß auch für Schmähungen gegen die eigne Regierung
vor der Öffentlichkeit und dem Auslande sich gewisse Grenzen empfehlen."
Abgesehen von diesem gänzlichen Maugel an Patriotismus, zeugten die An¬
sichten, die von den Vertretern des Liberalismus vorgetragen wurden, von
einer Unreife des politischen Urteils, die geradezu erstaunlich ist. Es waren
die würdigen Nachfolger jener Redner der Paulskirche, die im Jahre 1848
el» einiges Deutschland hatten „auf den Platz schwatzen" wollen.
Zunächst interpellirte der Abgeordnete Kantak die Regierung wegen des
Erlasses des Oberpräsidenten und des Militürgvuverueurs von Posen vom
1- Februar d. I. Bismarck gab eine ruhige und sachliche Autwort. Dann
brachte am 18. Februar der Abgeordnete von Carlowitz eine Jnterpellation
ein bezüglich der geheimen Konvention mit Rußland. Obwohl Bismarck die
Beantwortung ablehnte, trat das Haus in eine Besprechung ein. Infolge
dieser Besprechung stellten die Abgeordneten von Hvverbeck und von Carlowitz
c>in 2et. Februar folgenden Antrag: „Das Haus der Abgeordneten wolle be¬
schließen, folgende Erklärung abzugeben: Das Interesse Preußens erfordert,
daß die königliche Staatsregierung dem im Königreiche Polen ausgebrochenen
Aufstande gegenüber sich lediglich auf die zum Schutze der preußische« Landes-
grenze erforderlichen Maßregeln beschränke, jede darüber hinausgehende Ein
Mischung vermeide und Bewaffneten nicht gestatte, das preußische Gebiet ohne
gleichzeitige Entwaffnung zu betreten." Die weitläufige Erörterung, die sich
an diesen Antrag knüpfte und die mehrere Tage in Anspruch »ahn, führte einen
höchst heftigen persönlichen Austritt zwischen dem Ministerpräsidenten und dem
Vizepräsideuten Behrend herbei, wobei der letztere durch wüstes Geschrei seiner
Parteigenossen unterstützt wurde. Bismarck hatte geäußert: „Die Neigung,
sich für fremde Nationalitäten und Nativnalbestrebnngeu zu begeistern, auch
dann, wenn diese nur auf Kosten des eignen Vaterlandes verwirklicht werden
können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich
auf Deutschland leider beschränkt. In dieser Diskussion traten nun die deutschen
Redner schon unverhüllbar mit ihrer Sympathie für die polnische Sache hervor.
Der Abgeordnete Waldeck verglich die Einstellung der preußischen Reserven mit dem
Verkauf der hessischen Landeskinder nach Nordamerika. Der Abgeordnete von Unruh
deutete unter Ihrem lebhaften Beifall an, daß, wenn aus den Vorkehrungen,
Grenzboten 1889 IV »3
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