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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der vorfassungsstreit in Preußen

auf einen erhöhten Friedensstand gesetzt und einige militärische Maßregeln
getroffen, um zu verhindern, daß die eignen, von Polen belvohnten Landes-
teile in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Generaladjutant von Alvensleben
und der Flügeladjutant von Rauch waren nach Petersburg und Warschau ge¬
schickt worden, um gemeinsame Schritte mit den russischen Behörden zu ver¬
abreden, und am 8. Februar war mit Nußland in dieser Frage eine geheime
Konvention abgeschlossen worden. Über den eigentlichen Inhalt dieser Kon¬
vention wurde nichts genaueres bekannt; umso weitern Spielraum hatte die
geschäftige Phantasie der demokratischen Zeitungsschreiber. Eine so günstige
Gelegenheit, der Regierung, dein verhaßten Bismarck alle möglichen teuflischen,
freiheitsmörderischen Pläne unterzuschieben und daraufhin die leitenden Männer
in Preußen und schließlich Preußen selbst anzugreifen, zu verdächtigen und zu
verkleinern, durfte sich der Fortschritt unmöglich entgehen lassen. Man ver¬
fuhr dabei nach dem Grundsatze des gesinnungstüchtigen Volksmannes, den
man später kurz und witzig so zusammenfaßte: "Ich kenne zwar die Absichten
der Regierung nicht, ober ich mißbillige sie." Bisher hatten sich zwar die
Führer des polnischen Aufstandes streng gehütet, auch ans preußischem Gebiete
Unruhen zu erregen; aber, wie Bismarck amtlich feststellte, alles war vor¬
bereitet, um im günstigen Augenblicke, d. h. wenn irgend ein entscheidender
Erfolg gegen Nußland errungen war, sofort die Flammen der Empörung in
den Provinzen Posen und Westpreußen auflodern zu lassen. Zudem mußte
jeder, der nur ein wenig Anspruch auf gesundes politisches Urteil erheben
wollte, sich doch sagen, daß ein wiederhergestelltes, unabhängiges Polen sofort
Ansprüche auf weite Gebiete erheben würde, die seit langem dem preußischen
Staate angehörten, und die dieser gar nicht abtreten konnte und durfte, ohne
daß die Grundlagen seiner Macht aufs tiefste erschüttert wurden. Das hielt
aber die "deutsche Fortschrittspartei" nicht ab, sich sofort "voll und ganz" auf
die Seite der Polen zu stellen. Dasselbe Schauspiel erleben wir ja bellte
auch; sobald das deutsche Reich irgend einen Streitfall mit dein Auslande hat,
nimmt der "deutsche Freisinn" und seine ganze Presse sofort die Partei des
Landesfeindes. Vor fünfundzwanzig Jahre" war es auch so. Da hielten die
wackern Führer der Mehrheit des Abgeordnetenhauses, die Herren Schulze-
Delitzsch, von Sybel, von Carlowitz, von Hoverbcck, Tochter u. s. w., Reden
so bar jeglicher Vaterlandsliebe, daß dem Patrioten, der sie liest, noch heute
die Schamröte in die Wangen steigt. Die Angriffe, die sie gegen das
eigne Land, angeblich freilich nur gegen die Regierung dieses Landes, rich¬
teten, überschritten alles Maß. Bismarck äußerte darüber: "Meine Herren!
Für das Bestreben, das eigne Vaterland vor dem Auslande als erniedrigt
darzustellen, weil die eigne Partei nicht am Nuder ist, für dieses Bestreben
überlasse ich die Verantwortung denen, die sich in diesem Sinne allsgesprochen
haben, in diesem Hause und außerhalb desselben." Und später, am 18. Februar:


Der vorfassungsstreit in Preußen

auf einen erhöhten Friedensstand gesetzt und einige militärische Maßregeln
getroffen, um zu verhindern, daß die eignen, von Polen belvohnten Landes-
teile in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Generaladjutant von Alvensleben
und der Flügeladjutant von Rauch waren nach Petersburg und Warschau ge¬
schickt worden, um gemeinsame Schritte mit den russischen Behörden zu ver¬
abreden, und am 8. Februar war mit Nußland in dieser Frage eine geheime
Konvention abgeschlossen worden. Über den eigentlichen Inhalt dieser Kon¬
vention wurde nichts genaueres bekannt; umso weitern Spielraum hatte die
geschäftige Phantasie der demokratischen Zeitungsschreiber. Eine so günstige
Gelegenheit, der Regierung, dein verhaßten Bismarck alle möglichen teuflischen,
freiheitsmörderischen Pläne unterzuschieben und daraufhin die leitenden Männer
in Preußen und schließlich Preußen selbst anzugreifen, zu verdächtigen und zu
verkleinern, durfte sich der Fortschritt unmöglich entgehen lassen. Man ver¬
fuhr dabei nach dem Grundsatze des gesinnungstüchtigen Volksmannes, den
man später kurz und witzig so zusammenfaßte: „Ich kenne zwar die Absichten
der Regierung nicht, ober ich mißbillige sie." Bisher hatten sich zwar die
Führer des polnischen Aufstandes streng gehütet, auch ans preußischem Gebiete
Unruhen zu erregen; aber, wie Bismarck amtlich feststellte, alles war vor¬
bereitet, um im günstigen Augenblicke, d. h. wenn irgend ein entscheidender
Erfolg gegen Nußland errungen war, sofort die Flammen der Empörung in
den Provinzen Posen und Westpreußen auflodern zu lassen. Zudem mußte
jeder, der nur ein wenig Anspruch auf gesundes politisches Urteil erheben
wollte, sich doch sagen, daß ein wiederhergestelltes, unabhängiges Polen sofort
Ansprüche auf weite Gebiete erheben würde, die seit langem dem preußischen
Staate angehörten, und die dieser gar nicht abtreten konnte und durfte, ohne
daß die Grundlagen seiner Macht aufs tiefste erschüttert wurden. Das hielt
aber die „deutsche Fortschrittspartei" nicht ab, sich sofort „voll und ganz" auf
die Seite der Polen zu stellen. Dasselbe Schauspiel erleben wir ja bellte
auch; sobald das deutsche Reich irgend einen Streitfall mit dein Auslande hat,
nimmt der „deutsche Freisinn" und seine ganze Presse sofort die Partei des
Landesfeindes. Vor fünfundzwanzig Jahre» war es auch so. Da hielten die
wackern Führer der Mehrheit des Abgeordnetenhauses, die Herren Schulze-
Delitzsch, von Sybel, von Carlowitz, von Hoverbcck, Tochter u. s. w., Reden
so bar jeglicher Vaterlandsliebe, daß dem Patrioten, der sie liest, noch heute
die Schamröte in die Wangen steigt. Die Angriffe, die sie gegen das
eigne Land, angeblich freilich nur gegen die Regierung dieses Landes, rich¬
teten, überschritten alles Maß. Bismarck äußerte darüber: „Meine Herren!
Für das Bestreben, das eigne Vaterland vor dem Auslande als erniedrigt
darzustellen, weil die eigne Partei nicht am Nuder ist, für dieses Bestreben
überlasse ich die Verantwortung denen, die sich in diesem Sinne allsgesprochen
haben, in diesem Hause und außerhalb desselben." Und später, am 18. Februar:


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[0504] Der vorfassungsstreit in Preußen auf einen erhöhten Friedensstand gesetzt und einige militärische Maßregeln getroffen, um zu verhindern, daß die eignen, von Polen belvohnten Landes- teile in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Generaladjutant von Alvensleben und der Flügeladjutant von Rauch waren nach Petersburg und Warschau ge¬ schickt worden, um gemeinsame Schritte mit den russischen Behörden zu ver¬ abreden, und am 8. Februar war mit Nußland in dieser Frage eine geheime Konvention abgeschlossen worden. Über den eigentlichen Inhalt dieser Kon¬ vention wurde nichts genaueres bekannt; umso weitern Spielraum hatte die geschäftige Phantasie der demokratischen Zeitungsschreiber. Eine so günstige Gelegenheit, der Regierung, dein verhaßten Bismarck alle möglichen teuflischen, freiheitsmörderischen Pläne unterzuschieben und daraufhin die leitenden Männer in Preußen und schließlich Preußen selbst anzugreifen, zu verdächtigen und zu verkleinern, durfte sich der Fortschritt unmöglich entgehen lassen. Man ver¬ fuhr dabei nach dem Grundsatze des gesinnungstüchtigen Volksmannes, den man später kurz und witzig so zusammenfaßte: „Ich kenne zwar die Absichten der Regierung nicht, ober ich mißbillige sie." Bisher hatten sich zwar die Führer des polnischen Aufstandes streng gehütet, auch ans preußischem Gebiete Unruhen zu erregen; aber, wie Bismarck amtlich feststellte, alles war vor¬ bereitet, um im günstigen Augenblicke, d. h. wenn irgend ein entscheidender Erfolg gegen Nußland errungen war, sofort die Flammen der Empörung in den Provinzen Posen und Westpreußen auflodern zu lassen. Zudem mußte jeder, der nur ein wenig Anspruch auf gesundes politisches Urteil erheben wollte, sich doch sagen, daß ein wiederhergestelltes, unabhängiges Polen sofort Ansprüche auf weite Gebiete erheben würde, die seit langem dem preußischen Staate angehörten, und die dieser gar nicht abtreten konnte und durfte, ohne daß die Grundlagen seiner Macht aufs tiefste erschüttert wurden. Das hielt aber die „deutsche Fortschrittspartei" nicht ab, sich sofort „voll und ganz" auf die Seite der Polen zu stellen. Dasselbe Schauspiel erleben wir ja bellte auch; sobald das deutsche Reich irgend einen Streitfall mit dein Auslande hat, nimmt der „deutsche Freisinn" und seine ganze Presse sofort die Partei des Landesfeindes. Vor fünfundzwanzig Jahre» war es auch so. Da hielten die wackern Führer der Mehrheit des Abgeordnetenhauses, die Herren Schulze- Delitzsch, von Sybel, von Carlowitz, von Hoverbcck, Tochter u. s. w., Reden so bar jeglicher Vaterlandsliebe, daß dem Patrioten, der sie liest, noch heute die Schamröte in die Wangen steigt. Die Angriffe, die sie gegen das eigne Land, angeblich freilich nur gegen die Regierung dieses Landes, rich¬ teten, überschritten alles Maß. Bismarck äußerte darüber: „Meine Herren! Für das Bestreben, das eigne Vaterland vor dem Auslande als erniedrigt darzustellen, weil die eigne Partei nicht am Nuder ist, für dieses Bestreben überlasse ich die Verantwortung denen, die sich in diesem Sinne allsgesprochen haben, in diesem Hause und außerhalb desselben." Und später, am 18. Februar:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/504>, abgerufen am 02.07.2024.