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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassimgsstreit in Preußen

den Versuch nicht gescheut, das Urteil über Maß und Bedeutung klarer Ver¬
fassungsrechte zu verwirren. Gleichzeitig ist vielfach ein Mißbrauch der Re¬
gierungsgewalt, wie er in deu trüben Jahren vor der Regentschaft Eurer
Majestät stattfand, hervorgetreten. Es sind verfassungstreue Beamte mit
drückenden Maßregeln henngesucht worden. Es ist die Presse verfolgt worden,
wo sie für das Recht offen eintrat. Eure Majestät haben noch jüngst zu
erklären geruht, daß niemand an allerhöchst Ihrem Willen zweifeln dürfe,
die beschworene Verfassung aufrecht zu erhalten und zu schützen. In der That
wagt niemand, einen solchen Zweifel zu hegen. Aber gestatten Eure Majestät,
es offen auszusprechen -- die Verfassung ist durch die Minister schon jetzt
verletzt. Art. 99 ist keine Wahrheit mehr. Das schwere Übel einer budgct-
lvsen Regierung ist über das Land gekommen. Inmitten dieser Bedrängnis
läßt das preußische Volk nicht von der Hoffnung, daß Eurer Majestät Weis¬
heit die ehrliche Stimme seiner gesetzlichen Vertreter unterscheiden werde von
dein Rate derer, welche in dem Kampfe der Parteien ihre an sich ohnmächtigen
Bestrebungen durch den erhabenen Namen Eurer Majestät zu decken und zu
stützen sich bemühen. Königliche Majestät! Unsre Stellung als Vertreter des
Landes legt uns die gebieterische Pflicht auf, feierlich zu erkläre", daß der
innere Frieden und die Kraft nach außen dem Laude nur durch die Rückkehr
zu verfassungsmäßigen Zuständen wiedergegeben werden können." Ob die
Herren gar nicht fühlten, daß alle diese Vorwürfe und Anschuldigungen, die
schwersten, die man gegen eine Regierung, die die Hüterin der Gesetze sein
soll und will, erheben kann, schließlich den König persönlich treffen mußten,
wenn auch nur immer seine Minister genannt wurden?

Drei Tage, von 27. bis zum 29. Januar, dauerte die Debatte über diese
Adresse. Bismarck griff mit einer langen, inhaltreichen und bedeutenden Rede
l-'i", die aber nur neuen und heftigem Widerspruch hervorrief. Der Entwurf
bon Virchow und Ccirlowitz wurde schließlich mit 255 gegen 68 Stimmen an¬
genommen. Der König weigerte sich, die Adreßdeputation des Abgeordneten¬
hauses zu empfangen, und das Schriftstück wurde eingesandt, (31. Januar).
Unter dem 3. Februar erging darauf die Autwort des Königs, nur von
ihm persönlich gezeichnet, ohne die Gegenzeichnung irgend eines Ministers,
weil er glaubte, "daß es dem Hanse darum zu thun sei, seiue persönliche
Anschauung und Willensäußerung kennen zu lernen." Um nicht zu weit
schweifig zu werden, verweise ich in Bezug auf den Inhalt dieser Kundgebung-
des unvergeßlichen Monarchen, die auch heute noch beherzigenswert ist, auf
größeres Sammelwerk (z. B. Hahns Fürst Bismarck).

nachgerade schien den großen Staatsmännern des Fortschritts die Zeit
gekommen, auch einmal ihre hervorragende Befähigung für die auswärtige
Politik darzulegen. In Russisch-Polen war ein wilder Aufstand gegen die
Regierung ausgebrochen. Preußen hatte seine Armeekorps in den Ostprovinzeu


Der Verfassimgsstreit in Preußen

den Versuch nicht gescheut, das Urteil über Maß und Bedeutung klarer Ver¬
fassungsrechte zu verwirren. Gleichzeitig ist vielfach ein Mißbrauch der Re¬
gierungsgewalt, wie er in deu trüben Jahren vor der Regentschaft Eurer
Majestät stattfand, hervorgetreten. Es sind verfassungstreue Beamte mit
drückenden Maßregeln henngesucht worden. Es ist die Presse verfolgt worden,
wo sie für das Recht offen eintrat. Eure Majestät haben noch jüngst zu
erklären geruht, daß niemand an allerhöchst Ihrem Willen zweifeln dürfe,
die beschworene Verfassung aufrecht zu erhalten und zu schützen. In der That
wagt niemand, einen solchen Zweifel zu hegen. Aber gestatten Eure Majestät,
es offen auszusprechen — die Verfassung ist durch die Minister schon jetzt
verletzt. Art. 99 ist keine Wahrheit mehr. Das schwere Übel einer budgct-
lvsen Regierung ist über das Land gekommen. Inmitten dieser Bedrängnis
läßt das preußische Volk nicht von der Hoffnung, daß Eurer Majestät Weis¬
heit die ehrliche Stimme seiner gesetzlichen Vertreter unterscheiden werde von
dein Rate derer, welche in dem Kampfe der Parteien ihre an sich ohnmächtigen
Bestrebungen durch den erhabenen Namen Eurer Majestät zu decken und zu
stützen sich bemühen. Königliche Majestät! Unsre Stellung als Vertreter des
Landes legt uns die gebieterische Pflicht auf, feierlich zu erkläre«, daß der
innere Frieden und die Kraft nach außen dem Laude nur durch die Rückkehr
zu verfassungsmäßigen Zuständen wiedergegeben werden können." Ob die
Herren gar nicht fühlten, daß alle diese Vorwürfe und Anschuldigungen, die
schwersten, die man gegen eine Regierung, die die Hüterin der Gesetze sein
soll und will, erheben kann, schließlich den König persönlich treffen mußten,
wenn auch nur immer seine Minister genannt wurden?

Drei Tage, von 27. bis zum 29. Januar, dauerte die Debatte über diese
Adresse. Bismarck griff mit einer langen, inhaltreichen und bedeutenden Rede
l-'i», die aber nur neuen und heftigem Widerspruch hervorrief. Der Entwurf
bon Virchow und Ccirlowitz wurde schließlich mit 255 gegen 68 Stimmen an¬
genommen. Der König weigerte sich, die Adreßdeputation des Abgeordneten¬
hauses zu empfangen, und das Schriftstück wurde eingesandt, (31. Januar).
Unter dem 3. Februar erging darauf die Autwort des Königs, nur von
ihm persönlich gezeichnet, ohne die Gegenzeichnung irgend eines Ministers,
weil er glaubte, „daß es dem Hanse darum zu thun sei, seiue persönliche
Anschauung und Willensäußerung kennen zu lernen." Um nicht zu weit
schweifig zu werden, verweise ich in Bezug auf den Inhalt dieser Kundgebung-
des unvergeßlichen Monarchen, die auch heute noch beherzigenswert ist, auf
größeres Sammelwerk (z. B. Hahns Fürst Bismarck).

nachgerade schien den großen Staatsmännern des Fortschritts die Zeit
gekommen, auch einmal ihre hervorragende Befähigung für die auswärtige
Politik darzulegen. In Russisch-Polen war ein wilder Aufstand gegen die
Regierung ausgebrochen. Preußen hatte seine Armeekorps in den Ostprovinzeu


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[0503] Der Verfassimgsstreit in Preußen den Versuch nicht gescheut, das Urteil über Maß und Bedeutung klarer Ver¬ fassungsrechte zu verwirren. Gleichzeitig ist vielfach ein Mißbrauch der Re¬ gierungsgewalt, wie er in deu trüben Jahren vor der Regentschaft Eurer Majestät stattfand, hervorgetreten. Es sind verfassungstreue Beamte mit drückenden Maßregeln henngesucht worden. Es ist die Presse verfolgt worden, wo sie für das Recht offen eintrat. Eure Majestät haben noch jüngst zu erklären geruht, daß niemand an allerhöchst Ihrem Willen zweifeln dürfe, die beschworene Verfassung aufrecht zu erhalten und zu schützen. In der That wagt niemand, einen solchen Zweifel zu hegen. Aber gestatten Eure Majestät, es offen auszusprechen — die Verfassung ist durch die Minister schon jetzt verletzt. Art. 99 ist keine Wahrheit mehr. Das schwere Übel einer budgct- lvsen Regierung ist über das Land gekommen. Inmitten dieser Bedrängnis läßt das preußische Volk nicht von der Hoffnung, daß Eurer Majestät Weis¬ heit die ehrliche Stimme seiner gesetzlichen Vertreter unterscheiden werde von dein Rate derer, welche in dem Kampfe der Parteien ihre an sich ohnmächtigen Bestrebungen durch den erhabenen Namen Eurer Majestät zu decken und zu stützen sich bemühen. Königliche Majestät! Unsre Stellung als Vertreter des Landes legt uns die gebieterische Pflicht auf, feierlich zu erkläre«, daß der innere Frieden und die Kraft nach außen dem Laude nur durch die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen wiedergegeben werden können." Ob die Herren gar nicht fühlten, daß alle diese Vorwürfe und Anschuldigungen, die schwersten, die man gegen eine Regierung, die die Hüterin der Gesetze sein soll und will, erheben kann, schließlich den König persönlich treffen mußten, wenn auch nur immer seine Minister genannt wurden? Drei Tage, von 27. bis zum 29. Januar, dauerte die Debatte über diese Adresse. Bismarck griff mit einer langen, inhaltreichen und bedeutenden Rede l-'i», die aber nur neuen und heftigem Widerspruch hervorrief. Der Entwurf bon Virchow und Ccirlowitz wurde schließlich mit 255 gegen 68 Stimmen an¬ genommen. Der König weigerte sich, die Adreßdeputation des Abgeordneten¬ hauses zu empfangen, und das Schriftstück wurde eingesandt, (31. Januar). Unter dem 3. Februar erging darauf die Autwort des Königs, nur von ihm persönlich gezeichnet, ohne die Gegenzeichnung irgend eines Ministers, weil er glaubte, „daß es dem Hanse darum zu thun sei, seiue persönliche Anschauung und Willensäußerung kennen zu lernen." Um nicht zu weit schweifig zu werden, verweise ich in Bezug auf den Inhalt dieser Kundgebung- des unvergeßlichen Monarchen, die auch heute noch beherzigenswert ist, auf größeres Sammelwerk (z. B. Hahns Fürst Bismarck). nachgerade schien den großen Staatsmännern des Fortschritts die Zeit gekommen, auch einmal ihre hervorragende Befähigung für die auswärtige Politik darzulegen. In Russisch-Polen war ein wilder Aufstand gegen die Regierung ausgebrochen. Preußen hatte seine Armeekorps in den Ostprovinzeu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/503>, abgerufen am 02.07.2024.