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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstreit in Preußen

Gumbinnen versetzt. Zur Unterstützung dieser Märtyrer der Freiheit wurde
ein sogenannter Nationalfonds gebildet, der bis gegen Ende des Jahres auf
75 000 Thaler anwuchs. Diese Sammlungen wurden verboten, ihre Ver¬
anstalter vor Gericht gestellt, jedoch meistens freigesprochen. Natürlich fehlte
es nicht an Preßprozessen. Allerlei Körperschaften, wie Stadtverordneten¬
versammlungen und Universitäten, die sich besser um Sachen gekümmert hätten,
die sie angingen, fingen an in Politik zu machen. Viele Abgeordnete wurden
bei ihrer Heimkehr festlich empfangen u. f. w. Aber auch die staatserhaltenden
Parteien zeigten nach und nach wieder ein kräftigeres Leben. Zahlreiche Er¬
gebenheitsndressen und Lvyalitätsdeputationen aus allen Landesteilen gingen
an deu König, und dieser selbst ließ es an der nötigen Entschiedenheit des
Auftretens nicht fehlen. So sagte er um 23. Oktober zu einer Deputation aus
Potsdam und Spandau: "Was die Militärrevrgauisation betrifft, so ist diese
mein eigenstes Werk und mein Stolz, und ich bemerke hierbei, es giebt kein
Boniusches und kein Römisches Projekt; es ist mein eignes und ich habe daran
gearbeitet nach meinen Erfahrungen und pflichtmäßiger Überzeugung. Ich
werde daran festhalten und die Reorganisation mit aller Energie durchführen;
denn ich weiß, daß sie zeitgemäß ist. Es ist auch eine Verleumdung, die
geflissentlich verbreitet wird, daß die beschworeue Verfassung gebrochen werden
solle. Ich halte fest an meinem Eide, halte fest an meinem Programm von
1858. Ich danke Ihnen für die Unterstützung, die Sie mir und meinen aus-
gesprochnen Absichten schon dadurch leisten, daß Sie sich ermannt und gesammelt
haben den Angriffen gegenüber, deren Ziel die Schwächung des Königtums
und des Throns ist. Fahren Sie fort in Ihrer Treue und streben Sie dar¬
nach, daß Ihre Gesinnung nicht ans die Kreise beschränkt bleibe, von denen
Sie hergesandt sind, sondern sich weiter über alle Stände des jetzt so vielfach
irregeleiteten Volkes verbreitet." Aber in dem Lärmen und Toben des Partei¬
getriebes verhallten die Worte des Königs fast wirkungslos.

Dasselbe war der Fall mit der ruhigen und entgegenkommenden Thron¬
rede, mit der Bismarck am 14. Januar 1803 den Landtag wieder eröffnete.
Der Präsident Grabow betonte in seiner Eröffnungsrede nur, daß in den
letzten drei Monaten der Konflikt sich verschärft habe, und daß der Art. 99
der Verfassung verletzt sei. Die Abgeordneten Virchow und von Carlowitz,
unterstützt von mehr als zweihundert Mitgliedern des Hauses, beantragten den
Erlaß einer Adresse an den König und legten zugleich den Endorf dazu vor.
Dann heißt es: "Seitdem haben die von Euer Majestät berufenen Minister
verfassungswidrig die Verwaltung ohne gesetzlichen Etat fortgeführt. Das
oberste Recht der Volksvertretung, das der Ausgabebewilligung, war damit an¬
gegriffen. Nur eine kleine, der Nation seit lange entfremdete Minderheit hat,
gestützt .durch die Minister Eurer Majestät, bis zu den Stufen des Thrones
die gröbsten Verleumdungen gegen einen Faktor der Gesetzgebung getragen und


Der Verfassungsstreit in Preußen

Gumbinnen versetzt. Zur Unterstützung dieser Märtyrer der Freiheit wurde
ein sogenannter Nationalfonds gebildet, der bis gegen Ende des Jahres auf
75 000 Thaler anwuchs. Diese Sammlungen wurden verboten, ihre Ver¬
anstalter vor Gericht gestellt, jedoch meistens freigesprochen. Natürlich fehlte
es nicht an Preßprozessen. Allerlei Körperschaften, wie Stadtverordneten¬
versammlungen und Universitäten, die sich besser um Sachen gekümmert hätten,
die sie angingen, fingen an in Politik zu machen. Viele Abgeordnete wurden
bei ihrer Heimkehr festlich empfangen u. f. w. Aber auch die staatserhaltenden
Parteien zeigten nach und nach wieder ein kräftigeres Leben. Zahlreiche Er¬
gebenheitsndressen und Lvyalitätsdeputationen aus allen Landesteilen gingen
an deu König, und dieser selbst ließ es an der nötigen Entschiedenheit des
Auftretens nicht fehlen. So sagte er um 23. Oktober zu einer Deputation aus
Potsdam und Spandau: „Was die Militärrevrgauisation betrifft, so ist diese
mein eigenstes Werk und mein Stolz, und ich bemerke hierbei, es giebt kein
Boniusches und kein Römisches Projekt; es ist mein eignes und ich habe daran
gearbeitet nach meinen Erfahrungen und pflichtmäßiger Überzeugung. Ich
werde daran festhalten und die Reorganisation mit aller Energie durchführen;
denn ich weiß, daß sie zeitgemäß ist. Es ist auch eine Verleumdung, die
geflissentlich verbreitet wird, daß die beschworeue Verfassung gebrochen werden
solle. Ich halte fest an meinem Eide, halte fest an meinem Programm von
1858. Ich danke Ihnen für die Unterstützung, die Sie mir und meinen aus-
gesprochnen Absichten schon dadurch leisten, daß Sie sich ermannt und gesammelt
haben den Angriffen gegenüber, deren Ziel die Schwächung des Königtums
und des Throns ist. Fahren Sie fort in Ihrer Treue und streben Sie dar¬
nach, daß Ihre Gesinnung nicht ans die Kreise beschränkt bleibe, von denen
Sie hergesandt sind, sondern sich weiter über alle Stände des jetzt so vielfach
irregeleiteten Volkes verbreitet." Aber in dem Lärmen und Toben des Partei¬
getriebes verhallten die Worte des Königs fast wirkungslos.

Dasselbe war der Fall mit der ruhigen und entgegenkommenden Thron¬
rede, mit der Bismarck am 14. Januar 1803 den Landtag wieder eröffnete.
Der Präsident Grabow betonte in seiner Eröffnungsrede nur, daß in den
letzten drei Monaten der Konflikt sich verschärft habe, und daß der Art. 99
der Verfassung verletzt sei. Die Abgeordneten Virchow und von Carlowitz,
unterstützt von mehr als zweihundert Mitgliedern des Hauses, beantragten den
Erlaß einer Adresse an den König und legten zugleich den Endorf dazu vor.
Dann heißt es: „Seitdem haben die von Euer Majestät berufenen Minister
verfassungswidrig die Verwaltung ohne gesetzlichen Etat fortgeführt. Das
oberste Recht der Volksvertretung, das der Ausgabebewilligung, war damit an¬
gegriffen. Nur eine kleine, der Nation seit lange entfremdete Minderheit hat,
gestützt .durch die Minister Eurer Majestät, bis zu den Stufen des Thrones
die gröbsten Verleumdungen gegen einen Faktor der Gesetzgebung getragen und


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[0502] Der Verfassungsstreit in Preußen Gumbinnen versetzt. Zur Unterstützung dieser Märtyrer der Freiheit wurde ein sogenannter Nationalfonds gebildet, der bis gegen Ende des Jahres auf 75 000 Thaler anwuchs. Diese Sammlungen wurden verboten, ihre Ver¬ anstalter vor Gericht gestellt, jedoch meistens freigesprochen. Natürlich fehlte es nicht an Preßprozessen. Allerlei Körperschaften, wie Stadtverordneten¬ versammlungen und Universitäten, die sich besser um Sachen gekümmert hätten, die sie angingen, fingen an in Politik zu machen. Viele Abgeordnete wurden bei ihrer Heimkehr festlich empfangen u. f. w. Aber auch die staatserhaltenden Parteien zeigten nach und nach wieder ein kräftigeres Leben. Zahlreiche Er¬ gebenheitsndressen und Lvyalitätsdeputationen aus allen Landesteilen gingen an deu König, und dieser selbst ließ es an der nötigen Entschiedenheit des Auftretens nicht fehlen. So sagte er um 23. Oktober zu einer Deputation aus Potsdam und Spandau: „Was die Militärrevrgauisation betrifft, so ist diese mein eigenstes Werk und mein Stolz, und ich bemerke hierbei, es giebt kein Boniusches und kein Römisches Projekt; es ist mein eignes und ich habe daran gearbeitet nach meinen Erfahrungen und pflichtmäßiger Überzeugung. Ich werde daran festhalten und die Reorganisation mit aller Energie durchführen; denn ich weiß, daß sie zeitgemäß ist. Es ist auch eine Verleumdung, die geflissentlich verbreitet wird, daß die beschworeue Verfassung gebrochen werden solle. Ich halte fest an meinem Eide, halte fest an meinem Programm von 1858. Ich danke Ihnen für die Unterstützung, die Sie mir und meinen aus- gesprochnen Absichten schon dadurch leisten, daß Sie sich ermannt und gesammelt haben den Angriffen gegenüber, deren Ziel die Schwächung des Königtums und des Throns ist. Fahren Sie fort in Ihrer Treue und streben Sie dar¬ nach, daß Ihre Gesinnung nicht ans die Kreise beschränkt bleibe, von denen Sie hergesandt sind, sondern sich weiter über alle Stände des jetzt so vielfach irregeleiteten Volkes verbreitet." Aber in dem Lärmen und Toben des Partei¬ getriebes verhallten die Worte des Königs fast wirkungslos. Dasselbe war der Fall mit der ruhigen und entgegenkommenden Thron¬ rede, mit der Bismarck am 14. Januar 1803 den Landtag wieder eröffnete. Der Präsident Grabow betonte in seiner Eröffnungsrede nur, daß in den letzten drei Monaten der Konflikt sich verschärft habe, und daß der Art. 99 der Verfassung verletzt sei. Die Abgeordneten Virchow und von Carlowitz, unterstützt von mehr als zweihundert Mitgliedern des Hauses, beantragten den Erlaß einer Adresse an den König und legten zugleich den Endorf dazu vor. Dann heißt es: „Seitdem haben die von Euer Majestät berufenen Minister verfassungswidrig die Verwaltung ohne gesetzlichen Etat fortgeführt. Das oberste Recht der Volksvertretung, das der Ausgabebewilligung, war damit an¬ gegriffen. Nur eine kleine, der Nation seit lange entfremdete Minderheit hat, gestützt .durch die Minister Eurer Majestät, bis zu den Stufen des Thrones die gröbsten Verleumdungen gegen einen Faktor der Gesetzgebung getragen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/502>, abgerufen am 02.07.2024.