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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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diesem Beschlusse herleiten." Damit war auch zwischen den beiden Hnnscrn des
Landtages ein offner Konflikt ausgebrochen, und zwar war er völlig nutzloser-
und zwecklvserweise herbeigeführt worden. Zunächst lag die Rechtsfrage durch¬
aus nicht so klar, wie in der eben angeführten Erklärung des Abgeordneten¬
hauses behauptet wurde. Im Art. L2 der Verfassung heißt es durchaus
"Staatshaushaltsetats werden nur in der von dem Abgevrdnetenhnuse ihnen
nicht: gegebenen Form von der ersten Kammer im ganzen angenommen."
Wenn solche Gesetzentwürfe zuerst der zweiten Kammer vorgelegt werden
müssen, doch natürlich und selbstverständlich in der von der Regierung ihnen
gegebenen Fassung, so ist gar nicht abzusehen, warum sie nicht auch darnach
in dieser Form der ersten Kammer vorgelegt werden sollen. Die Behauptung,
daß das Herrenhaus sich mit der Regierungsvorlage gar nicht zu befassen habe,
sondern nur mit dem Beschlusse des Abgeordnetenhauses, ist mindestens uner-
iviesen, und die ganze Frage ist schließlich praktisch völlig wertlos, eine reine
Doktorfrage. Darum hätte das Abgeordnetenhaus klug gethan, den Beschluß
des Herreuhauses, der um der vorhandenen Sachlage nicht das geringste änderte,
ohne irgendwelche Erörterung zu den Akten zu nehmen und sich weiter nicht
darum zu kümmern. Wenn aber das Abgeordnetenhaus die Beschlüsse des
andern Hauses für null und nichtig erklärte, so überschritt es unzweifelhaft die
ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte und maßte sich einfach wieder die
unbedingte Souveränität an. Die Regierung hat, nebenbei bemerkt, auf die
Annahme des Budgets von feiten des Herrenhauses niemals Gewicht gelegt.

Noch an demselben Tage, am 19. Oktober, wurde der Landtag im Weißen
Saale des königlichen Schlosses zu Berlin geschloffen; Bismarck verlas die
Schlußrede; ihre wichtigste Stelle lautete: "Nachdem der Gesetzentwurf über
den Staatshnnshaltsetat für das Jahr 1802 in der von dem Abgeordneten¬
hause beschlossenen Feststellung wegen feiner Unzulänglichkeit von dem Herren¬
hause verworfen worden, findet sich die Regierung Seiner Majestät des Königs
M der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne die in der Verfassung voraus¬
gesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich der Verantwortlichkeit in
vollem Maße bewußt, die für sie aus dem beklagenswerten Zustande erwächst;
sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr gegen das Land obliegen,
und findet darin die Ermnchtignng, bis zur gesetzlichen Feststellung des Etats
die Ausgaben zu bestreiten, welche zur Erhaltung der bestehenden Staats-
einrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt notwendig sind, indem
sie die Zuversicht hegt, daß dieselben seinerzeit die nachträgliche Genehmigung
des Landtages erhalten werden."

Die Aufregung im Lande wuchs natürlich fortwährend. Einige Beamte,
die allzusehr die schuldige Rücksicht gegen die Regierung, der sie Gehorsam
geschworen hatten, außer Augen setzten, wurden gemaßregelt; so wurde
Herr von Bocknm-Dolffs "im Interesse des Dienstes" von Koblenz nach


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diesem Beschlusse herleiten." Damit war auch zwischen den beiden Hnnscrn des
Landtages ein offner Konflikt ausgebrochen, und zwar war er völlig nutzloser-
und zwecklvserweise herbeigeführt worden. Zunächst lag die Rechtsfrage durch¬
aus nicht so klar, wie in der eben angeführten Erklärung des Abgeordneten¬
hauses behauptet wurde. Im Art. L2 der Verfassung heißt es durchaus
„Staatshaushaltsetats werden nur in der von dem Abgevrdnetenhnuse ihnen
nicht: gegebenen Form von der ersten Kammer im ganzen angenommen."
Wenn solche Gesetzentwürfe zuerst der zweiten Kammer vorgelegt werden
müssen, doch natürlich und selbstverständlich in der von der Regierung ihnen
gegebenen Fassung, so ist gar nicht abzusehen, warum sie nicht auch darnach
in dieser Form der ersten Kammer vorgelegt werden sollen. Die Behauptung,
daß das Herrenhaus sich mit der Regierungsvorlage gar nicht zu befassen habe,
sondern nur mit dem Beschlusse des Abgeordnetenhauses, ist mindestens uner-
iviesen, und die ganze Frage ist schließlich praktisch völlig wertlos, eine reine
Doktorfrage. Darum hätte das Abgeordnetenhaus klug gethan, den Beschluß
des Herreuhauses, der um der vorhandenen Sachlage nicht das geringste änderte,
ohne irgendwelche Erörterung zu den Akten zu nehmen und sich weiter nicht
darum zu kümmern. Wenn aber das Abgeordnetenhaus die Beschlüsse des
andern Hauses für null und nichtig erklärte, so überschritt es unzweifelhaft die
ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte und maßte sich einfach wieder die
unbedingte Souveränität an. Die Regierung hat, nebenbei bemerkt, auf die
Annahme des Budgets von feiten des Herrenhauses niemals Gewicht gelegt.

Noch an demselben Tage, am 19. Oktober, wurde der Landtag im Weißen
Saale des königlichen Schlosses zu Berlin geschloffen; Bismarck verlas die
Schlußrede; ihre wichtigste Stelle lautete: „Nachdem der Gesetzentwurf über
den Staatshnnshaltsetat für das Jahr 1802 in der von dem Abgeordneten¬
hause beschlossenen Feststellung wegen feiner Unzulänglichkeit von dem Herren¬
hause verworfen worden, findet sich die Regierung Seiner Majestät des Königs
M der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne die in der Verfassung voraus¬
gesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich der Verantwortlichkeit in
vollem Maße bewußt, die für sie aus dem beklagenswerten Zustande erwächst;
sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr gegen das Land obliegen,
und findet darin die Ermnchtignng, bis zur gesetzlichen Feststellung des Etats
die Ausgaben zu bestreiten, welche zur Erhaltung der bestehenden Staats-
einrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt notwendig sind, indem
sie die Zuversicht hegt, daß dieselben seinerzeit die nachträgliche Genehmigung
des Landtages erhalten werden."

Die Aufregung im Lande wuchs natürlich fortwährend. Einige Beamte,
die allzusehr die schuldige Rücksicht gegen die Regierung, der sie Gehorsam
geschworen hatten, außer Augen setzten, wurden gemaßregelt; so wurde
Herr von Bocknm-Dolffs „im Interesse des Dienstes" von Koblenz nach


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[0501] Der Verfassungsstreit in jprenßen diesem Beschlusse herleiten." Damit war auch zwischen den beiden Hnnscrn des Landtages ein offner Konflikt ausgebrochen, und zwar war er völlig nutzloser- und zwecklvserweise herbeigeführt worden. Zunächst lag die Rechtsfrage durch¬ aus nicht so klar, wie in der eben angeführten Erklärung des Abgeordneten¬ hauses behauptet wurde. Im Art. L2 der Verfassung heißt es durchaus „Staatshaushaltsetats werden nur in der von dem Abgevrdnetenhnuse ihnen nicht: gegebenen Form von der ersten Kammer im ganzen angenommen." Wenn solche Gesetzentwürfe zuerst der zweiten Kammer vorgelegt werden müssen, doch natürlich und selbstverständlich in der von der Regierung ihnen gegebenen Fassung, so ist gar nicht abzusehen, warum sie nicht auch darnach in dieser Form der ersten Kammer vorgelegt werden sollen. Die Behauptung, daß das Herrenhaus sich mit der Regierungsvorlage gar nicht zu befassen habe, sondern nur mit dem Beschlusse des Abgeordnetenhauses, ist mindestens uner- iviesen, und die ganze Frage ist schließlich praktisch völlig wertlos, eine reine Doktorfrage. Darum hätte das Abgeordnetenhaus klug gethan, den Beschluß des Herreuhauses, der um der vorhandenen Sachlage nicht das geringste änderte, ohne irgendwelche Erörterung zu den Akten zu nehmen und sich weiter nicht darum zu kümmern. Wenn aber das Abgeordnetenhaus die Beschlüsse des andern Hauses für null und nichtig erklärte, so überschritt es unzweifelhaft die ihm verfassungsmäßig zustehenden Rechte und maßte sich einfach wieder die unbedingte Souveränität an. Die Regierung hat, nebenbei bemerkt, auf die Annahme des Budgets von feiten des Herrenhauses niemals Gewicht gelegt. Noch an demselben Tage, am 19. Oktober, wurde der Landtag im Weißen Saale des königlichen Schlosses zu Berlin geschloffen; Bismarck verlas die Schlußrede; ihre wichtigste Stelle lautete: „Nachdem der Gesetzentwurf über den Staatshnnshaltsetat für das Jahr 1802 in der von dem Abgeordneten¬ hause beschlossenen Feststellung wegen feiner Unzulänglichkeit von dem Herren¬ hause verworfen worden, findet sich die Regierung Seiner Majestät des Königs M der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne die in der Verfassung voraus¬ gesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich der Verantwortlichkeit in vollem Maße bewußt, die für sie aus dem beklagenswerten Zustande erwächst; sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr gegen das Land obliegen, und findet darin die Ermnchtignng, bis zur gesetzlichen Feststellung des Etats die Ausgaben zu bestreiten, welche zur Erhaltung der bestehenden Staats- einrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt notwendig sind, indem sie die Zuversicht hegt, daß dieselben seinerzeit die nachträgliche Genehmigung des Landtages erhalten werden." Die Aufregung im Lande wuchs natürlich fortwährend. Einige Beamte, die allzusehr die schuldige Rücksicht gegen die Regierung, der sie Gehorsam geschworen hatten, außer Augen setzten, wurden gemaßregelt; so wurde Herr von Bocknm-Dolffs „im Interesse des Dienstes" von Koblenz nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/501>, abgerufen am 02.07.2024.