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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

bilden, um die Mehrzahl der Sorten zu bezeichnen (schon im Faust heißes:
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt
er gern), und wir haben uns daran gewöhnt. Neuerdings erfährt diese Plural-
bildung aber doch eine unerträgliche Erweiterung. Man empfiehlt Lanke,
Firnisse, Öle, Tabake, Garne, Tuche, Flanelle, Plüsche, Tülle!
Ich kann mir nicht helfen, ich höre das reine Kindergelall, wenn ich solche
Plurale höre. stumpfsinnigen oder Schwankendgewvrdnen das Sprachgewissen
zu schärfen, giebt es kein besseres Mittel, als daß man sie ans dem falschen
Wege noch ein Stück weiter führt, als sie selber schon gegangen sind. Nun
gut, wollen wir in Zukunft vielleicht auch sagen: Mehle, Essige, Wachse,
Leime, Kalke, Glase, Korne? Denn Gläser und Körner sind doch
etwas andres. Wo ist die Grenze?

Ein weitverbreiteter garstiger Fehler, der mir täglich Verdruß bereitet,
und für den leider schon in den weitesten Kreisen kein Gefühl mehr vorhanden
zu sein scheint, liegt in Ausdrücken wie Verein Leipziger Lehrer, Radi¬
rungen Düsseldorfer Künstler. Ich muß den Fall etwas eingehender
besprechen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß selbst Leuten mit leidlicher
Sprachbildung der Fehler nicht sofort einleuchtet.

Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf--er werden von vielen für
Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit kleinen Anfangs-
lmchstaben schreiben (ganz beharrlich z. B. die Leipziger Jllustrirte Zeitung),
also: pariser, wiener, thüringer, schweizer. Das ist ein großer Irrtum.
Diese Formeu sind keine Adjektiva, sondern Genetive von Snbstantiven. Der
Leipziger Bürgermeister ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht "onsul
I^ixsisnsjL -- das wäre der Leipzigische Bürgermeister --, sondern
I^p8ienLiunr vonsul. Ganz dentlich sieht man das, wenn man solche Ver¬
bindungen zugleich mit einem wirklichen Adjektivnm deklinirt, z. B. der neue
Berliner Musenalmanach. Dann lenken die Kasus:

der neue Berliner Musenalmanach,
des neuen Berliner Musenalmanachs,
dem neuen Berliner Musenalmanach,
den neuen Berliner Musenalmanach.

Während also das Adjektivum neu und das Substantivum Musenalmanach
deklinirt werden, bleibt Berliner unverändert. Natürlich, es ist eben kein.
Adjektiv, sondern ein abhängiger Genetiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden,
daß mau solche abhängige Genetive, wie Leipziger, Berliner, durch den
Gleichklang der Endungen verführt mit dem Genetiv von attributiven Adjektiven,
wie deutscher, preußischer, zusammenwarf. Weil man richtig sagte: eine
Versammlung deutscher Lehrer, glaubte man nun auch richtig zu sagen: ein
Verein Leipziger Lehrer. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht Leipzigc
Lehrer, während er dort deutsche Lehrer heißt; deutsche Lehrer -- das


Allerhand Sprachdummheiten

bilden, um die Mehrzahl der Sorten zu bezeichnen (schon im Faust heißes:
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt
er gern), und wir haben uns daran gewöhnt. Neuerdings erfährt diese Plural-
bildung aber doch eine unerträgliche Erweiterung. Man empfiehlt Lanke,
Firnisse, Öle, Tabake, Garne, Tuche, Flanelle, Plüsche, Tülle!
Ich kann mir nicht helfen, ich höre das reine Kindergelall, wenn ich solche
Plurale höre. stumpfsinnigen oder Schwankendgewvrdnen das Sprachgewissen
zu schärfen, giebt es kein besseres Mittel, als daß man sie ans dem falschen
Wege noch ein Stück weiter führt, als sie selber schon gegangen sind. Nun
gut, wollen wir in Zukunft vielleicht auch sagen: Mehle, Essige, Wachse,
Leime, Kalke, Glase, Korne? Denn Gläser und Körner sind doch
etwas andres. Wo ist die Grenze?

Ein weitverbreiteter garstiger Fehler, der mir täglich Verdruß bereitet,
und für den leider schon in den weitesten Kreisen kein Gefühl mehr vorhanden
zu sein scheint, liegt in Ausdrücken wie Verein Leipziger Lehrer, Radi¬
rungen Düsseldorfer Künstler. Ich muß den Fall etwas eingehender
besprechen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß selbst Leuten mit leidlicher
Sprachbildung der Fehler nicht sofort einleuchtet.

Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf—er werden von vielen für
Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit kleinen Anfangs-
lmchstaben schreiben (ganz beharrlich z. B. die Leipziger Jllustrirte Zeitung),
also: pariser, wiener, thüringer, schweizer. Das ist ein großer Irrtum.
Diese Formeu sind keine Adjektiva, sondern Genetive von Snbstantiven. Der
Leipziger Bürgermeister ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht «onsul
I^ixsisnsjL — das wäre der Leipzigische Bürgermeister —, sondern
I^p8ienLiunr vonsul. Ganz dentlich sieht man das, wenn man solche Ver¬
bindungen zugleich mit einem wirklichen Adjektivnm deklinirt, z. B. der neue
Berliner Musenalmanach. Dann lenken die Kasus:

der neue Berliner Musenalmanach,
des neuen Berliner Musenalmanachs,
dem neuen Berliner Musenalmanach,
den neuen Berliner Musenalmanach.

Während also das Adjektivum neu und das Substantivum Musenalmanach
deklinirt werden, bleibt Berliner unverändert. Natürlich, es ist eben kein.
Adjektiv, sondern ein abhängiger Genetiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden,
daß mau solche abhängige Genetive, wie Leipziger, Berliner, durch den
Gleichklang der Endungen verführt mit dem Genetiv von attributiven Adjektiven,
wie deutscher, preußischer, zusammenwarf. Weil man richtig sagte: eine
Versammlung deutscher Lehrer, glaubte man nun auch richtig zu sagen: ein
Verein Leipziger Lehrer. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht Leipzigc
Lehrer, während er dort deutsche Lehrer heißt; deutsche Lehrer — das


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[0482] Allerhand Sprachdummheiten bilden, um die Mehrzahl der Sorten zu bezeichnen (schon im Faust heißes: Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern), und wir haben uns daran gewöhnt. Neuerdings erfährt diese Plural- bildung aber doch eine unerträgliche Erweiterung. Man empfiehlt Lanke, Firnisse, Öle, Tabake, Garne, Tuche, Flanelle, Plüsche, Tülle! Ich kann mir nicht helfen, ich höre das reine Kindergelall, wenn ich solche Plurale höre. stumpfsinnigen oder Schwankendgewvrdnen das Sprachgewissen zu schärfen, giebt es kein besseres Mittel, als daß man sie ans dem falschen Wege noch ein Stück weiter führt, als sie selber schon gegangen sind. Nun gut, wollen wir in Zukunft vielleicht auch sagen: Mehle, Essige, Wachse, Leime, Kalke, Glase, Korne? Denn Gläser und Körner sind doch etwas andres. Wo ist die Grenze? Ein weitverbreiteter garstiger Fehler, der mir täglich Verdruß bereitet, und für den leider schon in den weitesten Kreisen kein Gefühl mehr vorhanden zu sein scheint, liegt in Ausdrücken wie Verein Leipziger Lehrer, Radi¬ rungen Düsseldorfer Künstler. Ich muß den Fall etwas eingehender besprechen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, daß selbst Leuten mit leidlicher Sprachbildung der Fehler nicht sofort einleuchtet. Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf—er werden von vielen für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit kleinen Anfangs- lmchstaben schreiben (ganz beharrlich z. B. die Leipziger Jllustrirte Zeitung), also: pariser, wiener, thüringer, schweizer. Das ist ein großer Irrtum. Diese Formeu sind keine Adjektiva, sondern Genetive von Snbstantiven. Der Leipziger Bürgermeister ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht «onsul I^ixsisnsjL — das wäre der Leipzigische Bürgermeister —, sondern I^p8ienLiunr vonsul. Ganz dentlich sieht man das, wenn man solche Ver¬ bindungen zugleich mit einem wirklichen Adjektivnm deklinirt, z. B. der neue Berliner Musenalmanach. Dann lenken die Kasus: der neue Berliner Musenalmanach, des neuen Berliner Musenalmanachs, dem neuen Berliner Musenalmanach, den neuen Berliner Musenalmanach. Während also das Adjektivum neu und das Substantivum Musenalmanach deklinirt werden, bleibt Berliner unverändert. Natürlich, es ist eben kein. Adjektiv, sondern ein abhängiger Genetiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden, daß mau solche abhängige Genetive, wie Leipziger, Berliner, durch den Gleichklang der Endungen verführt mit dem Genetiv von attributiven Adjektiven, wie deutscher, preußischer, zusammenwarf. Weil man richtig sagte: eine Versammlung deutscher Lehrer, glaubte man nun auch richtig zu sagen: ein Verein Leipziger Lehrer. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht Leipzigc Lehrer, während er dort deutsche Lehrer heißt; deutsche Lehrer — das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/482>, abgerufen am 02.07.2024.