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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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in Hand- und Lehrbüchern von Professoren ihnen entgegentritt, aller Sprach¬
unrat der Tagespresse, alle Sprachsudelei der zeitgenössischen Romanlitteratur
ihnen nichts anhaben könnte, daß sie mit souveränem Humor auf das alles
hinabblicken könnten, treten sie hinaus ohne Kenntnis, ohne Kritik, ohne
Widerstandsfähigkeit. Das bißchen Wissen und Geschmack, das die Schule
wirklich aufgebaut hat, ist in wenigen Monaten wieder niedergerissen, dann
überwuchert die mühselig gepflegten Pflanzungen der Schule dichtes Unkraut.

Aber ich wollte ja allerhand Sprachdnmmheiten vorführen und ereifre
mich über Zeitungsdeutsch, Sprachverein und deutschen Unterricht. Nun, mit den
Sprachdummheiten, die jetzt im Schwange sind, könnte man wohl ein dickes Buch
füllen. Es siud auch wirklich schon Bücher erschienen, die auf dergleichen auf¬
merksam machen, aus denen ich selbst viel gelernt habe und aus denen auch
mancher Deutschlehrer viel lernen könnte. Ich will nur zwei nennen: das
reichhaltige Buch von K. G. Umdrehen, Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit
(Heilbronn, Gebr. Henninger, zuerst 1880, 1887 in fünfter Auflage erschienen)
und das geistvolle, nach den verschiedensten Seiten hin Anregungen aus¬
streuende Buch von Rudolf Hildebrand (dem Wörterbuchs-Hildebrand): Von,
deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bil¬
dung überhaupt (1867 in erster, 1887 in dritter Auflage erschienen, Leipzig.
I. Klinckhardt). Auch eine Zeitschrift ist vor ewigen Jahren gegründet worden
^~ ich habe sie in den Grenzboten schon empfohlen --, die außer andern Auf¬
gaben sich auch der Aufgabe angenommen hat, die die Zeitschrift des Sprach¬
vereins bei ihrem einseitig betriebenen Fremdwörterkampf viel zu fehr links
liegen läßt, der Aufgabe, der zunehmenden Unsicherheit und Hilflosigkeit in
grammatischen Dingen zu steuern, eine Zeitschrift, die in Lehrerkreisen sicherlich
schon viel Nutzen gestiftet, viel Anregung gegeben und manchem über manches
die Augen geöffnet hat: die von O. Lyon unter R. Hildebrauds Mitwirkung
herausgegebene Zeitschrift für den deutschen Unterricht (Leipzig, B. G. Teubner).
Aber einer beobachtet nicht alles, und ich habe eben doch manches beobachtet,
was ich anderwärts nicht oder wenigstens nicht in der Weise beobachtet (und
bekämpft) gefunden habe, und eine Anzahl solcher Beobachtungen möchte ich hier
mitteilen. Ich beginne mit ein paar Proben aus der Formenlehre. Es sind
scheinbar Kleinigkeiten, um die sichs dabei handelt -- schlimmere Dinge werde
ich später aus der Satzlehre vorzuführen haben -- aber gerade in diesen
Kleinigkeiten wird unendlich viel gesündigt. Natürlich bitte ich den Leser in¬
ständigst um Verzeihung, daß ich ihm zumute, sich wieder einmal ein Stündchen
auf der Sextanerbank niederzulassen !

Vou den sogenannten Stoffnamen galt früher die Regel, daß man sie nur
im Singular brauchen könne, und so priesen denn unsre Kaufleute, auch wenn
sie noch so viel Sorten hatten, immer nur ihren guten Lack oder Firniß an.
Von einzelnen dieser Wörter hatte man aber doch gewagt, den Plural zu


Grenzboten IV 1889 60

in Hand- und Lehrbüchern von Professoren ihnen entgegentritt, aller Sprach¬
unrat der Tagespresse, alle Sprachsudelei der zeitgenössischen Romanlitteratur
ihnen nichts anhaben könnte, daß sie mit souveränem Humor auf das alles
hinabblicken könnten, treten sie hinaus ohne Kenntnis, ohne Kritik, ohne
Widerstandsfähigkeit. Das bißchen Wissen und Geschmack, das die Schule
wirklich aufgebaut hat, ist in wenigen Monaten wieder niedergerissen, dann
überwuchert die mühselig gepflegten Pflanzungen der Schule dichtes Unkraut.

Aber ich wollte ja allerhand Sprachdnmmheiten vorführen und ereifre
mich über Zeitungsdeutsch, Sprachverein und deutschen Unterricht. Nun, mit den
Sprachdummheiten, die jetzt im Schwange sind, könnte man wohl ein dickes Buch
füllen. Es siud auch wirklich schon Bücher erschienen, die auf dergleichen auf¬
merksam machen, aus denen ich selbst viel gelernt habe und aus denen auch
mancher Deutschlehrer viel lernen könnte. Ich will nur zwei nennen: das
reichhaltige Buch von K. G. Umdrehen, Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit
(Heilbronn, Gebr. Henninger, zuerst 1880, 1887 in fünfter Auflage erschienen)
und das geistvolle, nach den verschiedensten Seiten hin Anregungen aus¬
streuende Buch von Rudolf Hildebrand (dem Wörterbuchs-Hildebrand): Von,
deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bil¬
dung überhaupt (1867 in erster, 1887 in dritter Auflage erschienen, Leipzig.
I. Klinckhardt). Auch eine Zeitschrift ist vor ewigen Jahren gegründet worden
^~ ich habe sie in den Grenzboten schon empfohlen —, die außer andern Auf¬
gaben sich auch der Aufgabe angenommen hat, die die Zeitschrift des Sprach¬
vereins bei ihrem einseitig betriebenen Fremdwörterkampf viel zu fehr links
liegen läßt, der Aufgabe, der zunehmenden Unsicherheit und Hilflosigkeit in
grammatischen Dingen zu steuern, eine Zeitschrift, die in Lehrerkreisen sicherlich
schon viel Nutzen gestiftet, viel Anregung gegeben und manchem über manches
die Augen geöffnet hat: die von O. Lyon unter R. Hildebrauds Mitwirkung
herausgegebene Zeitschrift für den deutschen Unterricht (Leipzig, B. G. Teubner).
Aber einer beobachtet nicht alles, und ich habe eben doch manches beobachtet,
was ich anderwärts nicht oder wenigstens nicht in der Weise beobachtet (und
bekämpft) gefunden habe, und eine Anzahl solcher Beobachtungen möchte ich hier
mitteilen. Ich beginne mit ein paar Proben aus der Formenlehre. Es sind
scheinbar Kleinigkeiten, um die sichs dabei handelt — schlimmere Dinge werde
ich später aus der Satzlehre vorzuführen haben — aber gerade in diesen
Kleinigkeiten wird unendlich viel gesündigt. Natürlich bitte ich den Leser in¬
ständigst um Verzeihung, daß ich ihm zumute, sich wieder einmal ein Stündchen
auf der Sextanerbank niederzulassen !

Vou den sogenannten Stoffnamen galt früher die Regel, daß man sie nur
im Singular brauchen könne, und so priesen denn unsre Kaufleute, auch wenn
sie noch so viel Sorten hatten, immer nur ihren guten Lack oder Firniß an.
Von einzelnen dieser Wörter hatte man aber doch gewagt, den Plural zu


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[0481] in Hand- und Lehrbüchern von Professoren ihnen entgegentritt, aller Sprach¬ unrat der Tagespresse, alle Sprachsudelei der zeitgenössischen Romanlitteratur ihnen nichts anhaben könnte, daß sie mit souveränem Humor auf das alles hinabblicken könnten, treten sie hinaus ohne Kenntnis, ohne Kritik, ohne Widerstandsfähigkeit. Das bißchen Wissen und Geschmack, das die Schule wirklich aufgebaut hat, ist in wenigen Monaten wieder niedergerissen, dann überwuchert die mühselig gepflegten Pflanzungen der Schule dichtes Unkraut. Aber ich wollte ja allerhand Sprachdnmmheiten vorführen und ereifre mich über Zeitungsdeutsch, Sprachverein und deutschen Unterricht. Nun, mit den Sprachdummheiten, die jetzt im Schwange sind, könnte man wohl ein dickes Buch füllen. Es siud auch wirklich schon Bücher erschienen, die auf dergleichen auf¬ merksam machen, aus denen ich selbst viel gelernt habe und aus denen auch mancher Deutschlehrer viel lernen könnte. Ich will nur zwei nennen: das reichhaltige Buch von K. G. Umdrehen, Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit (Heilbronn, Gebr. Henninger, zuerst 1880, 1887 in fünfter Auflage erschienen) und das geistvolle, nach den verschiedensten Seiten hin Anregungen aus¬ streuende Buch von Rudolf Hildebrand (dem Wörterbuchs-Hildebrand): Von, deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bil¬ dung überhaupt (1867 in erster, 1887 in dritter Auflage erschienen, Leipzig. I. Klinckhardt). Auch eine Zeitschrift ist vor ewigen Jahren gegründet worden ^~ ich habe sie in den Grenzboten schon empfohlen —, die außer andern Auf¬ gaben sich auch der Aufgabe angenommen hat, die die Zeitschrift des Sprach¬ vereins bei ihrem einseitig betriebenen Fremdwörterkampf viel zu fehr links liegen läßt, der Aufgabe, der zunehmenden Unsicherheit und Hilflosigkeit in grammatischen Dingen zu steuern, eine Zeitschrift, die in Lehrerkreisen sicherlich schon viel Nutzen gestiftet, viel Anregung gegeben und manchem über manches die Augen geöffnet hat: die von O. Lyon unter R. Hildebrauds Mitwirkung herausgegebene Zeitschrift für den deutschen Unterricht (Leipzig, B. G. Teubner). Aber einer beobachtet nicht alles, und ich habe eben doch manches beobachtet, was ich anderwärts nicht oder wenigstens nicht in der Weise beobachtet (und bekämpft) gefunden habe, und eine Anzahl solcher Beobachtungen möchte ich hier mitteilen. Ich beginne mit ein paar Proben aus der Formenlehre. Es sind scheinbar Kleinigkeiten, um die sichs dabei handelt — schlimmere Dinge werde ich später aus der Satzlehre vorzuführen haben — aber gerade in diesen Kleinigkeiten wird unendlich viel gesündigt. Natürlich bitte ich den Leser in¬ ständigst um Verzeihung, daß ich ihm zumute, sich wieder einmal ein Stündchen auf der Sextanerbank niederzulassen ! Vou den sogenannten Stoffnamen galt früher die Regel, daß man sie nur im Singular brauchen könne, und so priesen denn unsre Kaufleute, auch wenn sie noch so viel Sorten hatten, immer nur ihren guten Lack oder Firniß an. Von einzelnen dieser Wörter hatte man aber doch gewagt, den Plural zu Grenzboten IV 1889 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/481>, abgerufen am 02.07.2024.