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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

zeitig widerlegt und den Sieg des und der Guten zum Naturgesetz erhoben.
War es ja doch die strenge sittliche Zucht und die treffliche Schule, in der
Preußens Könige sich selbst und ihr Volk erzogen hatten, was Preußen zur
Stellung der angesehensten Macht Europas emporgehoben hatte! Und so ward
es denn aller Welt klar, wie unzertrennlich das sittlich Gute mit Leibeskraft
und Geistesmacht verbunden sei. Und trefflich fügte sich in diesen Gedanken¬
gang das nun allüberall ertönende Losungswort: Eingliederung und Unter¬
ordnung des Einzelnen in und unter das große Ganze! "Wehe denjenigen
Medusen des Siphonophorenstocks sSiphonophoren nennt man eine Art von
Pslanzentieren, deren für weitgehende Arbeitsteilung eingerichtete Glieder so
verschieden von einander und so verhältnismäßig selbständig sind, daß man sie
allenfalls für Individuen halten kannj, wehe also denjenigen Medusen, die in
verblendeten Egoismus sich von ihrer Gemeinde losreißen und auf eigne Hand
ein freies Leben führen wollen! Unfähig, alle die einzelnen Arbeiten zu leisten,
die zu ihrer Selbsterhaltung notwendig sind und die sie von ihren verschiednen
Mitbürgern geleistet erhalten, gehen sie, getrennt von letztern, rasch zu Grunde."
Wenn Häckel so predigte, dann lauschte mit gleicher Andacht der Büreaukrat
wie der Sozinldemokrat. Und wurde gar erst die aufopfernde Bürgertugend
der Ameisen, Bienen und sich zu Tode brütenden Hennen geschildert, dann
schämten sich alle selbstsüchtigen Freunde eines idyllischen Privatlebens die
Augen heraus. Und lief es nicht schließlich auf dasselbe hinaus, wenn die
Moralstatistiker und Sozialethiker, deren Forschungsergebnisse Alexander von
Oettingen in seinein großen klassischen Werke zusammenfaßte, den Nachweis
führten, daß die Tugenden wie die Laster und Verbrechen nicht sowohl Er¬
zeugnisse der damit behafteten oder sie verübenden als vielmehr der Gesell¬
schaft seien?

Dazu kam, daß Darwin, während er ohne Absicht und Verschulden zum
Reformator der Wissenschaft und des Lebens ward, doch zugleich auch ein
wirkliches Bedürfnis seiner Fachgenossen befriedigte. Die Ergebnisse der
Paläontologie, der vergleichenden Anatomie, der Physiologie hatten in Wechsel¬
wirkung mit den Erfahrungen der Gärtner und Viehzüchter längst auf den
Weg hingewiesen, den Buffon, Lamarck, Goethe nur andeuteten, Darwin aber
mit Entschiedenheit einschlug; er sunt den richtigen Ausdruck für Ideen, die
längst in der Luft lagen. Dagegen widersprach Buckles Auffassung dem Ge¬
dankengange, in den seine Fachgenossen, die Historiker, durch vielseitiges und
tiefes Quellenstudium hineingeführt worden waren, in sehr wesentlichen Stücken.
Zunächst war er reiner Verstandesmensch. Es fehlte ihm jede Spur von Sinn
für Poesie, die ihm nnr Reimgeklingel ist. Er begreift nicht, daß die Einzelnen
wie die Völker, so lange sie Kinder sind, in Bildern denken müssen, und be¬
klagt als Unglück und Entartung, was nur gesunde, glückliche Natur ist. Wie
in vielem andern, so steht er auch in der Mythenerklärung noch auf dem über-


Buckle und Darwin

zeitig widerlegt und den Sieg des und der Guten zum Naturgesetz erhoben.
War es ja doch die strenge sittliche Zucht und die treffliche Schule, in der
Preußens Könige sich selbst und ihr Volk erzogen hatten, was Preußen zur
Stellung der angesehensten Macht Europas emporgehoben hatte! Und so ward
es denn aller Welt klar, wie unzertrennlich das sittlich Gute mit Leibeskraft
und Geistesmacht verbunden sei. Und trefflich fügte sich in diesen Gedanken¬
gang das nun allüberall ertönende Losungswort: Eingliederung und Unter¬
ordnung des Einzelnen in und unter das große Ganze! „Wehe denjenigen
Medusen des Siphonophorenstocks sSiphonophoren nennt man eine Art von
Pslanzentieren, deren für weitgehende Arbeitsteilung eingerichtete Glieder so
verschieden von einander und so verhältnismäßig selbständig sind, daß man sie
allenfalls für Individuen halten kannj, wehe also denjenigen Medusen, die in
verblendeten Egoismus sich von ihrer Gemeinde losreißen und auf eigne Hand
ein freies Leben führen wollen! Unfähig, alle die einzelnen Arbeiten zu leisten,
die zu ihrer Selbsterhaltung notwendig sind und die sie von ihren verschiednen
Mitbürgern geleistet erhalten, gehen sie, getrennt von letztern, rasch zu Grunde."
Wenn Häckel so predigte, dann lauschte mit gleicher Andacht der Büreaukrat
wie der Sozinldemokrat. Und wurde gar erst die aufopfernde Bürgertugend
der Ameisen, Bienen und sich zu Tode brütenden Hennen geschildert, dann
schämten sich alle selbstsüchtigen Freunde eines idyllischen Privatlebens die
Augen heraus. Und lief es nicht schließlich auf dasselbe hinaus, wenn die
Moralstatistiker und Sozialethiker, deren Forschungsergebnisse Alexander von
Oettingen in seinein großen klassischen Werke zusammenfaßte, den Nachweis
führten, daß die Tugenden wie die Laster und Verbrechen nicht sowohl Er¬
zeugnisse der damit behafteten oder sie verübenden als vielmehr der Gesell¬
schaft seien?

Dazu kam, daß Darwin, während er ohne Absicht und Verschulden zum
Reformator der Wissenschaft und des Lebens ward, doch zugleich auch ein
wirkliches Bedürfnis seiner Fachgenossen befriedigte. Die Ergebnisse der
Paläontologie, der vergleichenden Anatomie, der Physiologie hatten in Wechsel¬
wirkung mit den Erfahrungen der Gärtner und Viehzüchter längst auf den
Weg hingewiesen, den Buffon, Lamarck, Goethe nur andeuteten, Darwin aber
mit Entschiedenheit einschlug; er sunt den richtigen Ausdruck für Ideen, die
längst in der Luft lagen. Dagegen widersprach Buckles Auffassung dem Ge¬
dankengange, in den seine Fachgenossen, die Historiker, durch vielseitiges und
tiefes Quellenstudium hineingeführt worden waren, in sehr wesentlichen Stücken.
Zunächst war er reiner Verstandesmensch. Es fehlte ihm jede Spur von Sinn
für Poesie, die ihm nnr Reimgeklingel ist. Er begreift nicht, daß die Einzelnen
wie die Völker, so lange sie Kinder sind, in Bildern denken müssen, und be¬
klagt als Unglück und Entartung, was nur gesunde, glückliche Natur ist. Wie
in vielem andern, so steht er auch in der Mythenerklärung noch auf dem über-


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[0472] Buckle und Darwin zeitig widerlegt und den Sieg des und der Guten zum Naturgesetz erhoben. War es ja doch die strenge sittliche Zucht und die treffliche Schule, in der Preußens Könige sich selbst und ihr Volk erzogen hatten, was Preußen zur Stellung der angesehensten Macht Europas emporgehoben hatte! Und so ward es denn aller Welt klar, wie unzertrennlich das sittlich Gute mit Leibeskraft und Geistesmacht verbunden sei. Und trefflich fügte sich in diesen Gedanken¬ gang das nun allüberall ertönende Losungswort: Eingliederung und Unter¬ ordnung des Einzelnen in und unter das große Ganze! „Wehe denjenigen Medusen des Siphonophorenstocks sSiphonophoren nennt man eine Art von Pslanzentieren, deren für weitgehende Arbeitsteilung eingerichtete Glieder so verschieden von einander und so verhältnismäßig selbständig sind, daß man sie allenfalls für Individuen halten kannj, wehe also denjenigen Medusen, die in verblendeten Egoismus sich von ihrer Gemeinde losreißen und auf eigne Hand ein freies Leben führen wollen! Unfähig, alle die einzelnen Arbeiten zu leisten, die zu ihrer Selbsterhaltung notwendig sind und die sie von ihren verschiednen Mitbürgern geleistet erhalten, gehen sie, getrennt von letztern, rasch zu Grunde." Wenn Häckel so predigte, dann lauschte mit gleicher Andacht der Büreaukrat wie der Sozinldemokrat. Und wurde gar erst die aufopfernde Bürgertugend der Ameisen, Bienen und sich zu Tode brütenden Hennen geschildert, dann schämten sich alle selbstsüchtigen Freunde eines idyllischen Privatlebens die Augen heraus. Und lief es nicht schließlich auf dasselbe hinaus, wenn die Moralstatistiker und Sozialethiker, deren Forschungsergebnisse Alexander von Oettingen in seinein großen klassischen Werke zusammenfaßte, den Nachweis führten, daß die Tugenden wie die Laster und Verbrechen nicht sowohl Er¬ zeugnisse der damit behafteten oder sie verübenden als vielmehr der Gesell¬ schaft seien? Dazu kam, daß Darwin, während er ohne Absicht und Verschulden zum Reformator der Wissenschaft und des Lebens ward, doch zugleich auch ein wirkliches Bedürfnis seiner Fachgenossen befriedigte. Die Ergebnisse der Paläontologie, der vergleichenden Anatomie, der Physiologie hatten in Wechsel¬ wirkung mit den Erfahrungen der Gärtner und Viehzüchter längst auf den Weg hingewiesen, den Buffon, Lamarck, Goethe nur andeuteten, Darwin aber mit Entschiedenheit einschlug; er sunt den richtigen Ausdruck für Ideen, die längst in der Luft lagen. Dagegen widersprach Buckles Auffassung dem Ge¬ dankengange, in den seine Fachgenossen, die Historiker, durch vielseitiges und tiefes Quellenstudium hineingeführt worden waren, in sehr wesentlichen Stücken. Zunächst war er reiner Verstandesmensch. Es fehlte ihm jede Spur von Sinn für Poesie, die ihm nnr Reimgeklingel ist. Er begreift nicht, daß die Einzelnen wie die Völker, so lange sie Kinder sind, in Bildern denken müssen, und be¬ klagt als Unglück und Entartung, was nur gesunde, glückliche Natur ist. Wie in vielem andern, so steht er auch in der Mythenerklärung noch auf dem über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/472>, abgerufen am 02.07.2024.