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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

Schwachköpfe von der Gelehrtenrepublik ausgeschlossen, und ihre Proteste ver¬
hallten in dem allgemeinen Begeisternngsjubel.

Das Wort vom Kampf ums Dasein gewann seine zündende Kraft erst
^866 und 187l>. Das ungeheure Völkerringen auf den Schlachtfeldern und
das gleichzeitige Ringen der Einzelnen und Klassen im Konkurrenzkampfe, der
durch deu Krach von 187.'! einen vorläufigen dramatischen Abschluß erhielt,
schienen zu beweisen, daß jenes Wort den Kern des Lebens treffe und das
Gesetz des Weltlanfs aufdecke. Mit gleicher Begeisterung wandten sich dieser
Auffassung die Guten wie die Schlechten zu. Letztere in dem Sinne, der in
Frankreich die schöne Wortbildung struMlekorlllönr verschuldet hat und vor
einigen Wochen von Alphonse Daudet auf die Bühne des Gymnasetheaters
gebracht wordeu ist. Nicht als ob die durchschnittlichen struMlklorlllsurs solche
Tröpfe waren wie Lebiez und Barro, die einiger lumpigen tausend Franks
wegen den vielbesprochenen Raubmord an einer Milchfrau begangen und dem
französischen Novellisten die Idee feines Dramas eingegeben haben. Meistens
läßt die r68psowdilit/ dieser Herren nichts zu wünschen übrig. Wir bedienen
uns dieses Wortes, weil in England zuerst der Begriff einer bürgerlichen Acht¬
barkeit gebildet worden ist, die sich von der Wertschätzung sowohl des sittlichen
Charakters wie der Leistungen unterscheidet. Diese Herren sind vielmehr weiter
nichts als beharrlich und vielleicht mitunter ein wenig rücksichtslos in der Ver¬
folgung ihrer Ziele; dagegen fehlt es ihnen keineswegs an einem Gewissen und
an zartem Mitgefühl, das sich beim Gedanken um das Schicksal besiegter Kon¬
kurrenten regt. Welche Beruhigung nun, ja welche Erhebung, zu wissen, daß
sse, der Pflicht gehorchend, nur das große Gesetz der Natur erfüllen! Weil
sie als die Stärkern oben bleiben, darum dürfen, darum müssen sie sich sür
die Bessern halten. Neu an dieser Auffassung ist übrigens nnr ihr Pharisäismus.
An sich ist sie so alt wie der Kampf ums Dasein selbst, wie die menschliche
Gesellschaft. "Seht euch doch das Treiben der Menschen an! Alle Großen
send nur durch Trug oder Gewalt zu ihren, Reichtum und ihrer Macht ge¬
fugt; nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, schmücken sie ihr rohes Verfahren
und dem schönen Namen des rechtmäßigen Erwerbs. Und wer zu dumm ist,
^ zu machen wie sie, deu unterdrücken sie. Die Treuen bleiben zeitlebens
Sklaven, und die Ehrlichen bleiben immer arm. Nur treulose Kühnheit befreit
aus der Knechtschaft, nur Raub und Betrug ans den Fesseln der Armut.
Denn Gott und die Natur haben die Lebensgüter dem Wettbewerb übergeben -
Wer zugreift, der hat seinen Teil." So läßt Macchiavelli bei Erzählung des
Florentiner Pöbclanfstandes von 1378 einen Volksredner sprechen.

Die Edeln hingegen verstanden das Wort umgekehrt: nur weil wir die
Bessern sind, erweisen wir uns als die Stärkern! Mit Entzücken sahen sie
nun endlich einmal die angebliche Erfahrung vom gewöhnlichen Unterliegen
der Tinten in diesem irdischen Jammerthale durch Theorie und Praxis gleich-


Buckle und Darwin

Schwachköpfe von der Gelehrtenrepublik ausgeschlossen, und ihre Proteste ver¬
hallten in dem allgemeinen Begeisternngsjubel.

Das Wort vom Kampf ums Dasein gewann seine zündende Kraft erst
^866 und 187l>. Das ungeheure Völkerringen auf den Schlachtfeldern und
das gleichzeitige Ringen der Einzelnen und Klassen im Konkurrenzkampfe, der
durch deu Krach von 187.'! einen vorläufigen dramatischen Abschluß erhielt,
schienen zu beweisen, daß jenes Wort den Kern des Lebens treffe und das
Gesetz des Weltlanfs aufdecke. Mit gleicher Begeisterung wandten sich dieser
Auffassung die Guten wie die Schlechten zu. Letztere in dem Sinne, der in
Frankreich die schöne Wortbildung struMlekorlllönr verschuldet hat und vor
einigen Wochen von Alphonse Daudet auf die Bühne des Gymnasetheaters
gebracht wordeu ist. Nicht als ob die durchschnittlichen struMlklorlllsurs solche
Tröpfe waren wie Lebiez und Barro, die einiger lumpigen tausend Franks
wegen den vielbesprochenen Raubmord an einer Milchfrau begangen und dem
französischen Novellisten die Idee feines Dramas eingegeben haben. Meistens
läßt die r68psowdilit/ dieser Herren nichts zu wünschen übrig. Wir bedienen
uns dieses Wortes, weil in England zuerst der Begriff einer bürgerlichen Acht¬
barkeit gebildet worden ist, die sich von der Wertschätzung sowohl des sittlichen
Charakters wie der Leistungen unterscheidet. Diese Herren sind vielmehr weiter
nichts als beharrlich und vielleicht mitunter ein wenig rücksichtslos in der Ver¬
folgung ihrer Ziele; dagegen fehlt es ihnen keineswegs an einem Gewissen und
an zartem Mitgefühl, das sich beim Gedanken um das Schicksal besiegter Kon¬
kurrenten regt. Welche Beruhigung nun, ja welche Erhebung, zu wissen, daß
sse, der Pflicht gehorchend, nur das große Gesetz der Natur erfüllen! Weil
sie als die Stärkern oben bleiben, darum dürfen, darum müssen sie sich sür
die Bessern halten. Neu an dieser Auffassung ist übrigens nnr ihr Pharisäismus.
An sich ist sie so alt wie der Kampf ums Dasein selbst, wie die menschliche
Gesellschaft. „Seht euch doch das Treiben der Menschen an! Alle Großen
send nur durch Trug oder Gewalt zu ihren, Reichtum und ihrer Macht ge¬
fugt; nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, schmücken sie ihr rohes Verfahren
und dem schönen Namen des rechtmäßigen Erwerbs. Und wer zu dumm ist,
^ zu machen wie sie, deu unterdrücken sie. Die Treuen bleiben zeitlebens
Sklaven, und die Ehrlichen bleiben immer arm. Nur treulose Kühnheit befreit
aus der Knechtschaft, nur Raub und Betrug ans den Fesseln der Armut.
Denn Gott und die Natur haben die Lebensgüter dem Wettbewerb übergeben -
Wer zugreift, der hat seinen Teil." So läßt Macchiavelli bei Erzählung des
Florentiner Pöbclanfstandes von 1378 einen Volksredner sprechen.

Die Edeln hingegen verstanden das Wort umgekehrt: nur weil wir die
Bessern sind, erweisen wir uns als die Stärkern! Mit Entzücken sahen sie
nun endlich einmal die angebliche Erfahrung vom gewöhnlichen Unterliegen
der Tinten in diesem irdischen Jammerthale durch Theorie und Praxis gleich-


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[0471] Buckle und Darwin Schwachköpfe von der Gelehrtenrepublik ausgeschlossen, und ihre Proteste ver¬ hallten in dem allgemeinen Begeisternngsjubel. Das Wort vom Kampf ums Dasein gewann seine zündende Kraft erst ^866 und 187l>. Das ungeheure Völkerringen auf den Schlachtfeldern und das gleichzeitige Ringen der Einzelnen und Klassen im Konkurrenzkampfe, der durch deu Krach von 187.'! einen vorläufigen dramatischen Abschluß erhielt, schienen zu beweisen, daß jenes Wort den Kern des Lebens treffe und das Gesetz des Weltlanfs aufdecke. Mit gleicher Begeisterung wandten sich dieser Auffassung die Guten wie die Schlechten zu. Letztere in dem Sinne, der in Frankreich die schöne Wortbildung struMlekorlllönr verschuldet hat und vor einigen Wochen von Alphonse Daudet auf die Bühne des Gymnasetheaters gebracht wordeu ist. Nicht als ob die durchschnittlichen struMlklorlllsurs solche Tröpfe waren wie Lebiez und Barro, die einiger lumpigen tausend Franks wegen den vielbesprochenen Raubmord an einer Milchfrau begangen und dem französischen Novellisten die Idee feines Dramas eingegeben haben. Meistens läßt die r68psowdilit/ dieser Herren nichts zu wünschen übrig. Wir bedienen uns dieses Wortes, weil in England zuerst der Begriff einer bürgerlichen Acht¬ barkeit gebildet worden ist, die sich von der Wertschätzung sowohl des sittlichen Charakters wie der Leistungen unterscheidet. Diese Herren sind vielmehr weiter nichts als beharrlich und vielleicht mitunter ein wenig rücksichtslos in der Ver¬ folgung ihrer Ziele; dagegen fehlt es ihnen keineswegs an einem Gewissen und an zartem Mitgefühl, das sich beim Gedanken um das Schicksal besiegter Kon¬ kurrenten regt. Welche Beruhigung nun, ja welche Erhebung, zu wissen, daß sse, der Pflicht gehorchend, nur das große Gesetz der Natur erfüllen! Weil sie als die Stärkern oben bleiben, darum dürfen, darum müssen sie sich sür die Bessern halten. Neu an dieser Auffassung ist übrigens nnr ihr Pharisäismus. An sich ist sie so alt wie der Kampf ums Dasein selbst, wie die menschliche Gesellschaft. „Seht euch doch das Treiben der Menschen an! Alle Großen send nur durch Trug oder Gewalt zu ihren, Reichtum und ihrer Macht ge¬ fugt; nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, schmücken sie ihr rohes Verfahren und dem schönen Namen des rechtmäßigen Erwerbs. Und wer zu dumm ist, ^ zu machen wie sie, deu unterdrücken sie. Die Treuen bleiben zeitlebens Sklaven, und die Ehrlichen bleiben immer arm. Nur treulose Kühnheit befreit aus der Knechtschaft, nur Raub und Betrug ans den Fesseln der Armut. Denn Gott und die Natur haben die Lebensgüter dem Wettbewerb übergeben - Wer zugreift, der hat seinen Teil." So läßt Macchiavelli bei Erzählung des Florentiner Pöbclanfstandes von 1378 einen Volksredner sprechen. Die Edeln hingegen verstanden das Wort umgekehrt: nur weil wir die Bessern sind, erweisen wir uns als die Stärkern! Mit Entzücken sahen sie nun endlich einmal die angebliche Erfahrung vom gewöhnlichen Unterliegen der Tinten in diesem irdischen Jammerthale durch Theorie und Praxis gleich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/471>, abgerufen am 02.07.2024.