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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstreit in Preußen

aufgegeben, sondern die Regierung hält es gegenwärtig für ihre Pflicht, die
Hindernisse einer Verständigung nicht höher anschwellen zu lassen. Die Re¬
gierung wird daher in der nächsten Session den Etat für 1863 mit einem
die Lebensbedingungen der Reorganisation aufrecht erhaltenden Gesetzentwurfe
vorlegen, und ebenso den Etat für 1864." Dagegen beschloß am folgenden
Tage die Budgetkommission aus Antrag des Herrn von Forkenbeck: 1. "die
Stnatsregieruug aufzufordern, den Etat für 1863 dem Abgeordnetenhause zur
verfassungsmäßigen Beschlußfassung so schleunig vorzulegen, daß die Feststellung
noch vor dem Beginne des Jahres 1863 erfolgen könne, und erklärte es
2. für verfassungswidrig, "wenn die Staatsregierung über eine Ausgabe ver¬
füge, welche durch das Abgeordnetenhaus abgelehnt worden sei."

Jene Kvinmissionssitzung war vielleicht eine der am stärksten besuchten, die
die parlamentarische Geschichte Preußens kennt; mehr als sechzig Abgeordnete
wohnten den Beratungen bei. Damals fiel eine Reihe von Äußerungen des
Ministerpräsidenten, die seit jener Zeit als "geflügelte Worte" mehr oder
weniger Gemeinant der weitesten Kreise unsres Volkes geworden sind, z. B.:
"Der Konflikt wird zu tragisch aufgefaßt. Eine Verfassnngskrisis ist keine
Schande, sondern eine Ehre. Wir sind vielleicht zu gebildet, um eine Ver¬
fassung zu ertragen; wir sind zu kritisch. Die öffentliche Meinung wechselt;
die Presse ist nicht die öffentliche Meinung; man weiß wie die Presse entsteht.
Es giebt zu viele katilinaristische Existenzen, die ein Interesse an Umwälzungen
haben. Die Abgeordneten haben die Aufgabe, die Stimmung zu leiten, über
ihr zu stehen. Wir haben zu heißes Blut, wir haben die Vorliebe, eine zu
große Rüstung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch
nützen. Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine
Macht. Preußen muß seiue Kraft zusammenhalten auf den günstigen Augen¬
blick, der schon einmal verpaßt ist; Preußens Grenzen sind zu einem gesunden
Staatskörper nicht günstig. Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werde"
die großen Fragen der Zeit entschieden --- das ist der Fehler von 1848 und
^849 gewesen -- sondern durch Eisen und Blut." Diese Aussprüche des
großen Mannes, der damals noch so ungeheuerlich verknuut wurde, machten
gewaltiges Aufsehen und wurden vom Liberalismus nicht uur !u Preußen,
sondern auch im übrigen Deutschland aufs heftigste augegriffen, trotz oder
vielleicht gerade wegen ihrer in die Augen springenden Richtigkeit. Namentlich
das letzte Wort, die "Blut- und Eisenpolitik," erregte einen waren Sturm von
Aufregung und Entrüstung. In dem Ministerpräsidenten war ein zweiter
Udelin, eine neue Gottesgeißel erstanden; Dschingiskan und Tamerlan waren
diesem Manne gegenüber sanfte und humane Herren gewesen, und der schnod¬
drige Berliner Witz verstieg sich zu dem billigen Kalauer, der damals aber
für einen Goldfnnd galt: "Der Bismarck wird schon Hausen."

(Fortsetzung sol.u)




Der Verfassungsstreit in Preußen

aufgegeben, sondern die Regierung hält es gegenwärtig für ihre Pflicht, die
Hindernisse einer Verständigung nicht höher anschwellen zu lassen. Die Re¬
gierung wird daher in der nächsten Session den Etat für 1863 mit einem
die Lebensbedingungen der Reorganisation aufrecht erhaltenden Gesetzentwurfe
vorlegen, und ebenso den Etat für 1864." Dagegen beschloß am folgenden
Tage die Budgetkommission aus Antrag des Herrn von Forkenbeck: 1. „die
Stnatsregieruug aufzufordern, den Etat für 1863 dem Abgeordnetenhause zur
verfassungsmäßigen Beschlußfassung so schleunig vorzulegen, daß die Feststellung
noch vor dem Beginne des Jahres 1863 erfolgen könne, und erklärte es
2. für verfassungswidrig, „wenn die Staatsregierung über eine Ausgabe ver¬
füge, welche durch das Abgeordnetenhaus abgelehnt worden sei."

Jene Kvinmissionssitzung war vielleicht eine der am stärksten besuchten, die
die parlamentarische Geschichte Preußens kennt; mehr als sechzig Abgeordnete
wohnten den Beratungen bei. Damals fiel eine Reihe von Äußerungen des
Ministerpräsidenten, die seit jener Zeit als „geflügelte Worte" mehr oder
weniger Gemeinant der weitesten Kreise unsres Volkes geworden sind, z. B.:
„Der Konflikt wird zu tragisch aufgefaßt. Eine Verfassnngskrisis ist keine
Schande, sondern eine Ehre. Wir sind vielleicht zu gebildet, um eine Ver¬
fassung zu ertragen; wir sind zu kritisch. Die öffentliche Meinung wechselt;
die Presse ist nicht die öffentliche Meinung; man weiß wie die Presse entsteht.
Es giebt zu viele katilinaristische Existenzen, die ein Interesse an Umwälzungen
haben. Die Abgeordneten haben die Aufgabe, die Stimmung zu leiten, über
ihr zu stehen. Wir haben zu heißes Blut, wir haben die Vorliebe, eine zu
große Rüstung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch
nützen. Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine
Macht. Preußen muß seiue Kraft zusammenhalten auf den günstigen Augen¬
blick, der schon einmal verpaßt ist; Preußens Grenzen sind zu einem gesunden
Staatskörper nicht günstig. Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werde»
die großen Fragen der Zeit entschieden —- das ist der Fehler von 1848 und
^849 gewesen — sondern durch Eisen und Blut." Diese Aussprüche des
großen Mannes, der damals noch so ungeheuerlich verknuut wurde, machten
gewaltiges Aufsehen und wurden vom Liberalismus nicht uur !u Preußen,
sondern auch im übrigen Deutschland aufs heftigste augegriffen, trotz oder
vielleicht gerade wegen ihrer in die Augen springenden Richtigkeit. Namentlich
das letzte Wort, die „Blut- und Eisenpolitik," erregte einen waren Sturm von
Aufregung und Entrüstung. In dem Ministerpräsidenten war ein zweiter
Udelin, eine neue Gottesgeißel erstanden; Dschingiskan und Tamerlan waren
diesem Manne gegenüber sanfte und humane Herren gewesen, und der schnod¬
drige Berliner Witz verstieg sich zu dem billigen Kalauer, der damals aber
für einen Goldfnnd galt: „Der Bismarck wird schon Hausen."

(Fortsetzung sol.u)




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[0467] Der Verfassungsstreit in Preußen aufgegeben, sondern die Regierung hält es gegenwärtig für ihre Pflicht, die Hindernisse einer Verständigung nicht höher anschwellen zu lassen. Die Re¬ gierung wird daher in der nächsten Session den Etat für 1863 mit einem die Lebensbedingungen der Reorganisation aufrecht erhaltenden Gesetzentwurfe vorlegen, und ebenso den Etat für 1864." Dagegen beschloß am folgenden Tage die Budgetkommission aus Antrag des Herrn von Forkenbeck: 1. „die Stnatsregieruug aufzufordern, den Etat für 1863 dem Abgeordnetenhause zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung so schleunig vorzulegen, daß die Feststellung noch vor dem Beginne des Jahres 1863 erfolgen könne, und erklärte es 2. für verfassungswidrig, „wenn die Staatsregierung über eine Ausgabe ver¬ füge, welche durch das Abgeordnetenhaus abgelehnt worden sei." Jene Kvinmissionssitzung war vielleicht eine der am stärksten besuchten, die die parlamentarische Geschichte Preußens kennt; mehr als sechzig Abgeordnete wohnten den Beratungen bei. Damals fiel eine Reihe von Äußerungen des Ministerpräsidenten, die seit jener Zeit als „geflügelte Worte" mehr oder weniger Gemeinant der weitesten Kreise unsres Volkes geworden sind, z. B.: „Der Konflikt wird zu tragisch aufgefaßt. Eine Verfassnngskrisis ist keine Schande, sondern eine Ehre. Wir sind vielleicht zu gebildet, um eine Ver¬ fassung zu ertragen; wir sind zu kritisch. Die öffentliche Meinung wechselt; die Presse ist nicht die öffentliche Meinung; man weiß wie die Presse entsteht. Es giebt zu viele katilinaristische Existenzen, die ein Interesse an Umwälzungen haben. Die Abgeordneten haben die Aufgabe, die Stimmung zu leiten, über ihr zu stehen. Wir haben zu heißes Blut, wir haben die Vorliebe, eine zu große Rüstung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch nützen. Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. Preußen muß seiue Kraft zusammenhalten auf den günstigen Augen¬ blick, der schon einmal verpaßt ist; Preußens Grenzen sind zu einem gesunden Staatskörper nicht günstig. Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werde» die großen Fragen der Zeit entschieden —- das ist der Fehler von 1848 und ^849 gewesen — sondern durch Eisen und Blut." Diese Aussprüche des großen Mannes, der damals noch so ungeheuerlich verknuut wurde, machten gewaltiges Aufsehen und wurden vom Liberalismus nicht uur !u Preußen, sondern auch im übrigen Deutschland aufs heftigste augegriffen, trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer in die Augen springenden Richtigkeit. Namentlich das letzte Wort, die „Blut- und Eisenpolitik," erregte einen waren Sturm von Aufregung und Entrüstung. In dem Ministerpräsidenten war ein zweiter Udelin, eine neue Gottesgeißel erstanden; Dschingiskan und Tamerlan waren diesem Manne gegenüber sanfte und humane Herren gewesen, und der schnod¬ drige Berliner Witz verstieg sich zu dem billigen Kalauer, der damals aber für einen Goldfnnd galt: „Der Bismarck wird schon Hausen." (Fortsetzung sol.u)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/467>, abgerufen am 02.07.2024.