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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Vuckle und Darwin
2

außer Herder und Hegel kein Deutscher den Versuch einer nach
großem Plane angelegten Geschichtsphilosophie unternommen hatte,
mußte bei der Neigung der Deutschen zu der genannten Wissen-
lind bei ihrer Bereitwilligkeit für die Aufnahme englischer
Geisteserzeugnisse Brettes Werk eigentlich gleich nach seinem Er¬
scheinen (1858--1861) bei uns Schule machen, zumal da er der Geschichts¬
philosoph des Individualismus ist, und dieser gerade damals obenauf war.
Aber eben dieser Charakter seines Werkes bildete ein Hindernis für den durch¬
schlagenden Erfolg; denn während der Individualismus in Gesetzgebung und
Verkehr seine höchsten Triumphe feierte, gingen in Volksversammlung und Presse
die Wogendes Sozinlismus bereits sehr hoch. Schon aus diesem Grunde
darf man sich nicht wundern, daß Darwins "Entstehung der Arten," die fast
gleichzeitig mit Brettes erstem Bande erschien, diesen in den Hintergrund
drängte. Ohne Frage nämlich war es nicht das naturwissenschaftlich Wert¬
volle in Darwins Büchern, der darin niedergelegte Schatz beobachteter That¬
sachen, was ihm sofort ein Heer von begeisterten Anhängern und entrüsteten
Gegnern erweckte, sondern ihre Brauchbarkeit für gewisse philosophische Systeme.
Deren Anhänger waren überzeugt, daß durch diese neue Entwicklungstheorie
der Glaube an Gott und an den unsterblichen Menschengeist auf wissenschaft¬
lichem Wege für immer beseitigt sei. Philvsophirende Naturforscher der ange¬
deuteten Richtung widmeten ihr Leben dem Apvstvlat der neuen Offenbarung
und verbreiteten sie durch Wort und Schrift so erfolgreich, daß Darwin sich zu
seiner großen Freude sehr bald in Deutschland allgemein anerkannt sah, während
in seinem Vaterlande die Gegner noch lange das Feld behaupteten. Den
Anfang machte Häckel mit seinem Vortrage über die Entwicklungstheorie, den
er am 19. September 1863 in der ersten allgemeinen Sitzung der 38. Ver¬
sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Stettin hielt.

Hätte sich auch irgend jemand in ähnlicher Weise für Buckle begeistert,
so würde er doch schon darum den Darwinianern gegenüber im Nachteile ge¬
blieben sein, weil naturwissenschaftliche Lehren viel leichter volkstümlich werden
als irgend ein Zweig der Geisteswissenschaften. Wo Blumen, Steine, Tiere




Vuckle und Darwin
2

außer Herder und Hegel kein Deutscher den Versuch einer nach
großem Plane angelegten Geschichtsphilosophie unternommen hatte,
mußte bei der Neigung der Deutschen zu der genannten Wissen-
lind bei ihrer Bereitwilligkeit für die Aufnahme englischer
Geisteserzeugnisse Brettes Werk eigentlich gleich nach seinem Er¬
scheinen (1858—1861) bei uns Schule machen, zumal da er der Geschichts¬
philosoph des Individualismus ist, und dieser gerade damals obenauf war.
Aber eben dieser Charakter seines Werkes bildete ein Hindernis für den durch¬
schlagenden Erfolg; denn während der Individualismus in Gesetzgebung und
Verkehr seine höchsten Triumphe feierte, gingen in Volksversammlung und Presse
die Wogendes Sozinlismus bereits sehr hoch. Schon aus diesem Grunde
darf man sich nicht wundern, daß Darwins „Entstehung der Arten," die fast
gleichzeitig mit Brettes erstem Bande erschien, diesen in den Hintergrund
drängte. Ohne Frage nämlich war es nicht das naturwissenschaftlich Wert¬
volle in Darwins Büchern, der darin niedergelegte Schatz beobachteter That¬
sachen, was ihm sofort ein Heer von begeisterten Anhängern und entrüsteten
Gegnern erweckte, sondern ihre Brauchbarkeit für gewisse philosophische Systeme.
Deren Anhänger waren überzeugt, daß durch diese neue Entwicklungstheorie
der Glaube an Gott und an den unsterblichen Menschengeist auf wissenschaft¬
lichem Wege für immer beseitigt sei. Philvsophirende Naturforscher der ange¬
deuteten Richtung widmeten ihr Leben dem Apvstvlat der neuen Offenbarung
und verbreiteten sie durch Wort und Schrift so erfolgreich, daß Darwin sich zu
seiner großen Freude sehr bald in Deutschland allgemein anerkannt sah, während
in seinem Vaterlande die Gegner noch lange das Feld behaupteten. Den
Anfang machte Häckel mit seinem Vortrage über die Entwicklungstheorie, den
er am 19. September 1863 in der ersten allgemeinen Sitzung der 38. Ver¬
sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Stettin hielt.

Hätte sich auch irgend jemand in ähnlicher Weise für Buckle begeistert,
so würde er doch schon darum den Darwinianern gegenüber im Nachteile ge¬
blieben sein, weil naturwissenschaftliche Lehren viel leichter volkstümlich werden
als irgend ein Zweig der Geisteswissenschaften. Wo Blumen, Steine, Tiere


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[0468] [Abbildung] Vuckle und Darwin 2 außer Herder und Hegel kein Deutscher den Versuch einer nach großem Plane angelegten Geschichtsphilosophie unternommen hatte, mußte bei der Neigung der Deutschen zu der genannten Wissen- lind bei ihrer Bereitwilligkeit für die Aufnahme englischer Geisteserzeugnisse Brettes Werk eigentlich gleich nach seinem Er¬ scheinen (1858—1861) bei uns Schule machen, zumal da er der Geschichts¬ philosoph des Individualismus ist, und dieser gerade damals obenauf war. Aber eben dieser Charakter seines Werkes bildete ein Hindernis für den durch¬ schlagenden Erfolg; denn während der Individualismus in Gesetzgebung und Verkehr seine höchsten Triumphe feierte, gingen in Volksversammlung und Presse die Wogendes Sozinlismus bereits sehr hoch. Schon aus diesem Grunde darf man sich nicht wundern, daß Darwins „Entstehung der Arten," die fast gleichzeitig mit Brettes erstem Bande erschien, diesen in den Hintergrund drängte. Ohne Frage nämlich war es nicht das naturwissenschaftlich Wert¬ volle in Darwins Büchern, der darin niedergelegte Schatz beobachteter That¬ sachen, was ihm sofort ein Heer von begeisterten Anhängern und entrüsteten Gegnern erweckte, sondern ihre Brauchbarkeit für gewisse philosophische Systeme. Deren Anhänger waren überzeugt, daß durch diese neue Entwicklungstheorie der Glaube an Gott und an den unsterblichen Menschengeist auf wissenschaft¬ lichem Wege für immer beseitigt sei. Philvsophirende Naturforscher der ange¬ deuteten Richtung widmeten ihr Leben dem Apvstvlat der neuen Offenbarung und verbreiteten sie durch Wort und Schrift so erfolgreich, daß Darwin sich zu seiner großen Freude sehr bald in Deutschland allgemein anerkannt sah, während in seinem Vaterlande die Gegner noch lange das Feld behaupteten. Den Anfang machte Häckel mit seinem Vortrage über die Entwicklungstheorie, den er am 19. September 1863 in der ersten allgemeinen Sitzung der 38. Ver¬ sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Stettin hielt. Hätte sich auch irgend jemand in ähnlicher Weise für Buckle begeistert, so würde er doch schon darum den Darwinianern gegenüber im Nachteile ge¬ blieben sein, weil naturwissenschaftliche Lehren viel leichter volkstümlich werden als irgend ein Zweig der Geisteswissenschaften. Wo Blumen, Steine, Tiere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/468>, abgerufen am 22.12.2024.