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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Ver Verfassiingsstreit in Preußen

Machtfrage wird. Aus einer ähnlichen Äußerung Bismarcks in der Konflikts¬
zeit drehte man ja bekanntlich heraus, der Ministerpräsident habe geäußert:
"Macht geht vor Recht." Was aber daraus entsteht, wenn derartige Macht¬
fragen bis ans die äußerste Spitze getrieben werden, das zeigt wieder das
konstitutionelle Musterland, England. Der "Konflikt" zwischen Karl 1. und
dem langen Parlament führte zu einem greuelvollen Bürgerkriege, der jahre¬
lang Englands Fluren mit Blut und Brand erfüllte, bis schließlich Cromwells
IrouMös den Streit mit ihren schweren Pallaschen entschieden, nicht zu Gunsten
der sogenannten Freiheit, d. h. der Parlamentsherrschaft, sondern eines schranken¬
losen Militärdespotismus, einer nackten Säbelherrschaft. Der Gedanke freilich,
in dein alten königlichen Preußen, wo fast jeder wehrfähige Mann zu
der Fahne mit dem schwarzen Adler geschworen hat, ein Parlamentsheer auf
die Beine zu bringen, muß doch auch dem verranntesten Demokraten zu thöricht
erschienen sein. Ebenso scheint auch in jener Zeit, die wahrlich viel von
politischer Tollheit an das Licht förderte, auch uicht ein verbissener Partei¬
mann ernstlich daran gedacht zu haben, den Willensstärken und willensfesten
König Wilhelm etwa durch Barrikaden in seiner Hauptstadt einzuschüchtern,
wie das bei seinem Bruder leider für kurze Zeit gelungen war. Auch war
man weit davon entfernt, etwa durch Aufforderung zur Steuerverweigerung
die Regierung zur Anwendung von Gewaltmaßregeln herauszufordern. Kurz,
ein ruhig denkender, klarer politischer Kopf konnte sich schon damals sagen:
Das einzige, was diesen Verfassungsstreit ebenso wie alle parlamentarischen
Konflikte beenden kann, ist ein Kompromiß, d. h. eine Einigung, bei der beide
Parteien etwas nachgeben, und die beiden Parteien zur Ehre gereicht. Dazu
bot auch die Regierung des Königs immer von neuem die Hand; aber noch
vier Jahre sollte es dauern, ehe die blinde Parteileidenschaft es zuließ, diese
Hand zu ergreifen.

An demselben 23. September, wo das Abgeordnetenhaus den eben be¬
sprochenen Beschluß gefaßt hatte, unterzeichnete Seine Majestät die Kabinets-
ordre, durch die der bisherige preußische Botschafter am Pariser Hofe, Herr
Otto von Bismarck-Schönhausen, zum Ministerpräsidenten, vorläufig ohne
Portefeuille, ernannt wurde. Am folgenden Tage übernahm dieser die Leitung
der Staatsgeschüfte.

Es ist eine in weiten Kreisen verbreitete und von der Fortschrittspartei
geflissentlich gehegte Meinung, daß Bismarck der Urheber des ganze" Konflikts
gewesen sei. Der liberale, d. h. freisinnige oder demokratische Bildungsphilister,
der abends an seinem Stammtische als politische Autorität gilt, hat darüber
folgende Ansicht, die von allen seinen Gesinnungsgenossen geteilt wird: Als
der böse Bismarck, dieses rücksichtslose Werkzeug eiuer finstern, schwarzen Re¬
aktion, an die Spitze der Regierung trat, wollte er sofort dem preußischen
Volke das bißchen Freiheit, das so mühsam errungen war, wieder nehmen, die


Ver Verfassiingsstreit in Preußen

Machtfrage wird. Aus einer ähnlichen Äußerung Bismarcks in der Konflikts¬
zeit drehte man ja bekanntlich heraus, der Ministerpräsident habe geäußert:
„Macht geht vor Recht." Was aber daraus entsteht, wenn derartige Macht¬
fragen bis ans die äußerste Spitze getrieben werden, das zeigt wieder das
konstitutionelle Musterland, England. Der „Konflikt" zwischen Karl 1. und
dem langen Parlament führte zu einem greuelvollen Bürgerkriege, der jahre¬
lang Englands Fluren mit Blut und Brand erfüllte, bis schließlich Cromwells
IrouMös den Streit mit ihren schweren Pallaschen entschieden, nicht zu Gunsten
der sogenannten Freiheit, d. h. der Parlamentsherrschaft, sondern eines schranken¬
losen Militärdespotismus, einer nackten Säbelherrschaft. Der Gedanke freilich,
in dein alten königlichen Preußen, wo fast jeder wehrfähige Mann zu
der Fahne mit dem schwarzen Adler geschworen hat, ein Parlamentsheer auf
die Beine zu bringen, muß doch auch dem verranntesten Demokraten zu thöricht
erschienen sein. Ebenso scheint auch in jener Zeit, die wahrlich viel von
politischer Tollheit an das Licht förderte, auch uicht ein verbissener Partei¬
mann ernstlich daran gedacht zu haben, den Willensstärken und willensfesten
König Wilhelm etwa durch Barrikaden in seiner Hauptstadt einzuschüchtern,
wie das bei seinem Bruder leider für kurze Zeit gelungen war. Auch war
man weit davon entfernt, etwa durch Aufforderung zur Steuerverweigerung
die Regierung zur Anwendung von Gewaltmaßregeln herauszufordern. Kurz,
ein ruhig denkender, klarer politischer Kopf konnte sich schon damals sagen:
Das einzige, was diesen Verfassungsstreit ebenso wie alle parlamentarischen
Konflikte beenden kann, ist ein Kompromiß, d. h. eine Einigung, bei der beide
Parteien etwas nachgeben, und die beiden Parteien zur Ehre gereicht. Dazu
bot auch die Regierung des Königs immer von neuem die Hand; aber noch
vier Jahre sollte es dauern, ehe die blinde Parteileidenschaft es zuließ, diese
Hand zu ergreifen.

An demselben 23. September, wo das Abgeordnetenhaus den eben be¬
sprochenen Beschluß gefaßt hatte, unterzeichnete Seine Majestät die Kabinets-
ordre, durch die der bisherige preußische Botschafter am Pariser Hofe, Herr
Otto von Bismarck-Schönhausen, zum Ministerpräsidenten, vorläufig ohne
Portefeuille, ernannt wurde. Am folgenden Tage übernahm dieser die Leitung
der Staatsgeschüfte.

Es ist eine in weiten Kreisen verbreitete und von der Fortschrittspartei
geflissentlich gehegte Meinung, daß Bismarck der Urheber des ganze» Konflikts
gewesen sei. Der liberale, d. h. freisinnige oder demokratische Bildungsphilister,
der abends an seinem Stammtische als politische Autorität gilt, hat darüber
folgende Ansicht, die von allen seinen Gesinnungsgenossen geteilt wird: Als
der böse Bismarck, dieses rücksichtslose Werkzeug eiuer finstern, schwarzen Re¬
aktion, an die Spitze der Regierung trat, wollte er sofort dem preußischen
Volke das bißchen Freiheit, das so mühsam errungen war, wieder nehmen, die


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[0464] Ver Verfassiingsstreit in Preußen Machtfrage wird. Aus einer ähnlichen Äußerung Bismarcks in der Konflikts¬ zeit drehte man ja bekanntlich heraus, der Ministerpräsident habe geäußert: „Macht geht vor Recht." Was aber daraus entsteht, wenn derartige Macht¬ fragen bis ans die äußerste Spitze getrieben werden, das zeigt wieder das konstitutionelle Musterland, England. Der „Konflikt" zwischen Karl 1. und dem langen Parlament führte zu einem greuelvollen Bürgerkriege, der jahre¬ lang Englands Fluren mit Blut und Brand erfüllte, bis schließlich Cromwells IrouMös den Streit mit ihren schweren Pallaschen entschieden, nicht zu Gunsten der sogenannten Freiheit, d. h. der Parlamentsherrschaft, sondern eines schranken¬ losen Militärdespotismus, einer nackten Säbelherrschaft. Der Gedanke freilich, in dein alten königlichen Preußen, wo fast jeder wehrfähige Mann zu der Fahne mit dem schwarzen Adler geschworen hat, ein Parlamentsheer auf die Beine zu bringen, muß doch auch dem verranntesten Demokraten zu thöricht erschienen sein. Ebenso scheint auch in jener Zeit, die wahrlich viel von politischer Tollheit an das Licht förderte, auch uicht ein verbissener Partei¬ mann ernstlich daran gedacht zu haben, den Willensstärken und willensfesten König Wilhelm etwa durch Barrikaden in seiner Hauptstadt einzuschüchtern, wie das bei seinem Bruder leider für kurze Zeit gelungen war. Auch war man weit davon entfernt, etwa durch Aufforderung zur Steuerverweigerung die Regierung zur Anwendung von Gewaltmaßregeln herauszufordern. Kurz, ein ruhig denkender, klarer politischer Kopf konnte sich schon damals sagen: Das einzige, was diesen Verfassungsstreit ebenso wie alle parlamentarischen Konflikte beenden kann, ist ein Kompromiß, d. h. eine Einigung, bei der beide Parteien etwas nachgeben, und die beiden Parteien zur Ehre gereicht. Dazu bot auch die Regierung des Königs immer von neuem die Hand; aber noch vier Jahre sollte es dauern, ehe die blinde Parteileidenschaft es zuließ, diese Hand zu ergreifen. An demselben 23. September, wo das Abgeordnetenhaus den eben be¬ sprochenen Beschluß gefaßt hatte, unterzeichnete Seine Majestät die Kabinets- ordre, durch die der bisherige preußische Botschafter am Pariser Hofe, Herr Otto von Bismarck-Schönhausen, zum Ministerpräsidenten, vorläufig ohne Portefeuille, ernannt wurde. Am folgenden Tage übernahm dieser die Leitung der Staatsgeschüfte. Es ist eine in weiten Kreisen verbreitete und von der Fortschrittspartei geflissentlich gehegte Meinung, daß Bismarck der Urheber des ganze» Konflikts gewesen sei. Der liberale, d. h. freisinnige oder demokratische Bildungsphilister, der abends an seinem Stammtische als politische Autorität gilt, hat darüber folgende Ansicht, die von allen seinen Gesinnungsgenossen geteilt wird: Als der böse Bismarck, dieses rücksichtslose Werkzeug eiuer finstern, schwarzen Re¬ aktion, an die Spitze der Regierung trat, wollte er sofort dem preußischen Volke das bißchen Freiheit, das so mühsam errungen war, wieder nehmen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/464>, abgerufen am 02.07.2024.