Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der verfassnngsstreit in Preußen

tümlichkeiten in besonders hervorragender Weise ausgeprägt. Nun wäre es
doch ganz entschieden,, um nicht mehr zu sagen, unhöflich, den eignen Willen
dem des, Königs entgegenzusetzen oder ihn gar darüber zu stelle". Diese
"UnHöflichkeit" läßt sich nun auf sehr einfache Weise vermeiden, wenn man
den Ausdruck "König" vermeidet und dafür stets sagt "die Krone." Zwar
entspricht das in keiner Weise der preußischen Verfassung; denn abgesehen von
Zusammensetzungen wie Krvnfideikommiß und Kroudsyudici findet sich der
Ausdruck "die Krone" in der Verfassungsurkunde nur ein einzigesmal, nämlich
in Art. 53: "Die Krone ist erblich" u. s. w., und daß das Wort hier etwas
andres bedeutet, als was die "entschieden Liberalen" darunter verstanden wissen
wollen, liegt auf der Hand. Aber das thut nichts; der kleine Kunstgriff thut
noch immer seine vorzüglichen Dienste. Die Krone ist schließlich eine Abstraktion,
etwas, das man nicht fassen und greifen kann; sie schwebt hoch über uns,
"weit in nebelgrauer Ferne"; was im Staate vorgeht, wie regiert wird, darum
braucht "die Krone" sich nicht zu kümmern. "Der König," von dem Titel 3
der Verfassung handelt und den fast jeder Artikel dieses Titels nur so be¬
zeichnet, bleibt ganz aus dem Spiele. Wer merkt das gerade? Die wenigsten
Leute kennen die Verfassung, und von den wenigen, die sie etwa gelesen haben,
achten doch nicht viele auf solche Kleinigkeiten. "Der König" kann natürlich
nicht nachgebe", aber "die Krone" entläßt die Regierung, die den Willen der
Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht vollziehen will, beruft ein neues
Ministerium aus eben dieser Mehrheit, und Einigkeit, Friede und Freude ist
wiederhergestellt. Dieses Verfahren beobachtet man ja ungefähr seit zweihundert
Jahren in England; warum nicht auch in Preußen? In der Verfassung steht
zwar kein Buchstabe davon; aber in diesem Falle braucht man darauf ja kein
besondres Gewicht zu legen, oder man könnte zu Art. 62 etwa folgenden
Zusatz machen: "Ist zwischen den drei Faktoren der Gesetzgebung keine Einigung
zu erzielen, so gilt unbedingt der Wille der Mehrheit des Abgeordnetenhauses."
Dann ist die Lücke in der Verfassung ausgefüllt, der alleinseligmachende Par¬
lamentarismus ist hergestellt, d. h. die Parteiwirtschaft oder Diktatur einer
zufällig zusammengewürfelten Mehrheit, und wie leicht könnte man dann einmal
so einen kleinen, netten Konvent 5 Iki. 1793 zu stände bringen!

Das entgegengesetzte Auskunftsmittel würde sein, daß in dem gedachten
Falle die unbeschränkte Macht des Königs, wie sie vor Erlaß der Verfassung
in Preußen zu Rechte bestand, wieder einträte; zu diesem Zwecke müßte die
Verfassung ganz oder teilweise auf kürzere oder längere Zeit aufgehoben werden.
Das hat aber, seit Preußen ein Verfassungsstant ist, weder ein Herrscher, noch
ein Ministerium, noch eine nennenswert große Partei jemals gewollt. Wer
das Gegenteil behauptet, der redet entweder in den Tag hinein oder sagt be¬
wußterweise die Unwahrheit. Läßt sich also auch so der Streit nicht beilegen,
so ist es ganz unvermeidlich, daß nach und nach aus der Rechtsfrage eine


Der verfassnngsstreit in Preußen

tümlichkeiten in besonders hervorragender Weise ausgeprägt. Nun wäre es
doch ganz entschieden,, um nicht mehr zu sagen, unhöflich, den eignen Willen
dem des, Königs entgegenzusetzen oder ihn gar darüber zu stelle». Diese
„UnHöflichkeit" läßt sich nun auf sehr einfache Weise vermeiden, wenn man
den Ausdruck „König" vermeidet und dafür stets sagt „die Krone." Zwar
entspricht das in keiner Weise der preußischen Verfassung; denn abgesehen von
Zusammensetzungen wie Krvnfideikommiß und Kroudsyudici findet sich der
Ausdruck „die Krone" in der Verfassungsurkunde nur ein einzigesmal, nämlich
in Art. 53: „Die Krone ist erblich" u. s. w., und daß das Wort hier etwas
andres bedeutet, als was die „entschieden Liberalen" darunter verstanden wissen
wollen, liegt auf der Hand. Aber das thut nichts; der kleine Kunstgriff thut
noch immer seine vorzüglichen Dienste. Die Krone ist schließlich eine Abstraktion,
etwas, das man nicht fassen und greifen kann; sie schwebt hoch über uns,
„weit in nebelgrauer Ferne"; was im Staate vorgeht, wie regiert wird, darum
braucht „die Krone" sich nicht zu kümmern. „Der König," von dem Titel 3
der Verfassung handelt und den fast jeder Artikel dieses Titels nur so be¬
zeichnet, bleibt ganz aus dem Spiele. Wer merkt das gerade? Die wenigsten
Leute kennen die Verfassung, und von den wenigen, die sie etwa gelesen haben,
achten doch nicht viele auf solche Kleinigkeiten. „Der König" kann natürlich
nicht nachgebe», aber „die Krone" entläßt die Regierung, die den Willen der
Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht vollziehen will, beruft ein neues
Ministerium aus eben dieser Mehrheit, und Einigkeit, Friede und Freude ist
wiederhergestellt. Dieses Verfahren beobachtet man ja ungefähr seit zweihundert
Jahren in England; warum nicht auch in Preußen? In der Verfassung steht
zwar kein Buchstabe davon; aber in diesem Falle braucht man darauf ja kein
besondres Gewicht zu legen, oder man könnte zu Art. 62 etwa folgenden
Zusatz machen: „Ist zwischen den drei Faktoren der Gesetzgebung keine Einigung
zu erzielen, so gilt unbedingt der Wille der Mehrheit des Abgeordnetenhauses."
Dann ist die Lücke in der Verfassung ausgefüllt, der alleinseligmachende Par¬
lamentarismus ist hergestellt, d. h. die Parteiwirtschaft oder Diktatur einer
zufällig zusammengewürfelten Mehrheit, und wie leicht könnte man dann einmal
so einen kleinen, netten Konvent 5 Iki. 1793 zu stände bringen!

Das entgegengesetzte Auskunftsmittel würde sein, daß in dem gedachten
Falle die unbeschränkte Macht des Königs, wie sie vor Erlaß der Verfassung
in Preußen zu Rechte bestand, wieder einträte; zu diesem Zwecke müßte die
Verfassung ganz oder teilweise auf kürzere oder längere Zeit aufgehoben werden.
Das hat aber, seit Preußen ein Verfassungsstant ist, weder ein Herrscher, noch
ein Ministerium, noch eine nennenswert große Partei jemals gewollt. Wer
das Gegenteil behauptet, der redet entweder in den Tag hinein oder sagt be¬
wußterweise die Unwahrheit. Läßt sich also auch so der Streit nicht beilegen,
so ist es ganz unvermeidlich, daß nach und nach aus der Rechtsfrage eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206462"/>
          <fw type="header" place="top"> Der verfassnngsstreit in Preußen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1594" prev="#ID_1593"> tümlichkeiten in besonders hervorragender Weise ausgeprägt. Nun wäre es<lb/>
doch ganz entschieden,, um nicht mehr zu sagen, unhöflich, den eignen Willen<lb/>
dem des, Königs entgegenzusetzen oder ihn gar darüber zu stelle». Diese<lb/>
&#x201E;UnHöflichkeit" läßt sich nun auf sehr einfache Weise vermeiden, wenn man<lb/>
den Ausdruck &#x201E;König" vermeidet und dafür stets sagt &#x201E;die Krone." Zwar<lb/>
entspricht das in keiner Weise der preußischen Verfassung; denn abgesehen von<lb/>
Zusammensetzungen wie Krvnfideikommiß und Kroudsyudici findet sich der<lb/>
Ausdruck &#x201E;die Krone" in der Verfassungsurkunde nur ein einzigesmal, nämlich<lb/>
in Art. 53: &#x201E;Die Krone ist erblich" u. s. w., und daß das Wort hier etwas<lb/>
andres bedeutet, als was die &#x201E;entschieden Liberalen" darunter verstanden wissen<lb/>
wollen, liegt auf der Hand. Aber das thut nichts; der kleine Kunstgriff thut<lb/>
noch immer seine vorzüglichen Dienste. Die Krone ist schließlich eine Abstraktion,<lb/>
etwas, das man nicht fassen und greifen kann; sie schwebt hoch über uns,<lb/>
&#x201E;weit in nebelgrauer Ferne"; was im Staate vorgeht, wie regiert wird, darum<lb/>
braucht &#x201E;die Krone" sich nicht zu kümmern. &#x201E;Der König," von dem Titel 3<lb/>
der Verfassung handelt und den fast jeder Artikel dieses Titels nur so be¬<lb/>
zeichnet, bleibt ganz aus dem Spiele. Wer merkt das gerade? Die wenigsten<lb/>
Leute kennen die Verfassung, und von den wenigen, die sie etwa gelesen haben,<lb/>
achten doch nicht viele auf solche Kleinigkeiten. &#x201E;Der König" kann natürlich<lb/>
nicht nachgebe», aber &#x201E;die Krone" entläßt die Regierung, die den Willen der<lb/>
Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht vollziehen will, beruft ein neues<lb/>
Ministerium aus eben dieser Mehrheit, und Einigkeit, Friede und Freude ist<lb/>
wiederhergestellt. Dieses Verfahren beobachtet man ja ungefähr seit zweihundert<lb/>
Jahren in England; warum nicht auch in Preußen? In der Verfassung steht<lb/>
zwar kein Buchstabe davon; aber in diesem Falle braucht man darauf ja kein<lb/>
besondres Gewicht zu legen, oder man könnte zu Art. 62 etwa folgenden<lb/>
Zusatz machen: &#x201E;Ist zwischen den drei Faktoren der Gesetzgebung keine Einigung<lb/>
zu erzielen, so gilt unbedingt der Wille der Mehrheit des Abgeordnetenhauses."<lb/>
Dann ist die Lücke in der Verfassung ausgefüllt, der alleinseligmachende Par¬<lb/>
lamentarismus ist hergestellt, d. h. die Parteiwirtschaft oder Diktatur einer<lb/>
zufällig zusammengewürfelten Mehrheit, und wie leicht könnte man dann einmal<lb/>
so einen kleinen, netten Konvent 5 Iki. 1793 zu stände bringen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1595" next="#ID_1596"> Das entgegengesetzte Auskunftsmittel würde sein, daß in dem gedachten<lb/>
Falle die unbeschränkte Macht des Königs, wie sie vor Erlaß der Verfassung<lb/>
in Preußen zu Rechte bestand, wieder einträte; zu diesem Zwecke müßte die<lb/>
Verfassung ganz oder teilweise auf kürzere oder längere Zeit aufgehoben werden.<lb/>
Das hat aber, seit Preußen ein Verfassungsstant ist, weder ein Herrscher, noch<lb/>
ein Ministerium, noch eine nennenswert große Partei jemals gewollt. Wer<lb/>
das Gegenteil behauptet, der redet entweder in den Tag hinein oder sagt be¬<lb/>
wußterweise die Unwahrheit. Läßt sich also auch so der Streit nicht beilegen,<lb/>
so ist es ganz unvermeidlich, daß nach und nach aus der Rechtsfrage eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Der verfassnngsstreit in Preußen tümlichkeiten in besonders hervorragender Weise ausgeprägt. Nun wäre es doch ganz entschieden,, um nicht mehr zu sagen, unhöflich, den eignen Willen dem des, Königs entgegenzusetzen oder ihn gar darüber zu stelle». Diese „UnHöflichkeit" läßt sich nun auf sehr einfache Weise vermeiden, wenn man den Ausdruck „König" vermeidet und dafür stets sagt „die Krone." Zwar entspricht das in keiner Weise der preußischen Verfassung; denn abgesehen von Zusammensetzungen wie Krvnfideikommiß und Kroudsyudici findet sich der Ausdruck „die Krone" in der Verfassungsurkunde nur ein einzigesmal, nämlich in Art. 53: „Die Krone ist erblich" u. s. w., und daß das Wort hier etwas andres bedeutet, als was die „entschieden Liberalen" darunter verstanden wissen wollen, liegt auf der Hand. Aber das thut nichts; der kleine Kunstgriff thut noch immer seine vorzüglichen Dienste. Die Krone ist schließlich eine Abstraktion, etwas, das man nicht fassen und greifen kann; sie schwebt hoch über uns, „weit in nebelgrauer Ferne"; was im Staate vorgeht, wie regiert wird, darum braucht „die Krone" sich nicht zu kümmern. „Der König," von dem Titel 3 der Verfassung handelt und den fast jeder Artikel dieses Titels nur so be¬ zeichnet, bleibt ganz aus dem Spiele. Wer merkt das gerade? Die wenigsten Leute kennen die Verfassung, und von den wenigen, die sie etwa gelesen haben, achten doch nicht viele auf solche Kleinigkeiten. „Der König" kann natürlich nicht nachgebe», aber „die Krone" entläßt die Regierung, die den Willen der Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht vollziehen will, beruft ein neues Ministerium aus eben dieser Mehrheit, und Einigkeit, Friede und Freude ist wiederhergestellt. Dieses Verfahren beobachtet man ja ungefähr seit zweihundert Jahren in England; warum nicht auch in Preußen? In der Verfassung steht zwar kein Buchstabe davon; aber in diesem Falle braucht man darauf ja kein besondres Gewicht zu legen, oder man könnte zu Art. 62 etwa folgenden Zusatz machen: „Ist zwischen den drei Faktoren der Gesetzgebung keine Einigung zu erzielen, so gilt unbedingt der Wille der Mehrheit des Abgeordnetenhauses." Dann ist die Lücke in der Verfassung ausgefüllt, der alleinseligmachende Par¬ lamentarismus ist hergestellt, d. h. die Parteiwirtschaft oder Diktatur einer zufällig zusammengewürfelten Mehrheit, und wie leicht könnte man dann einmal so einen kleinen, netten Konvent 5 Iki. 1793 zu stände bringen! Das entgegengesetzte Auskunftsmittel würde sein, daß in dem gedachten Falle die unbeschränkte Macht des Königs, wie sie vor Erlaß der Verfassung in Preußen zu Rechte bestand, wieder einträte; zu diesem Zwecke müßte die Verfassung ganz oder teilweise auf kürzere oder längere Zeit aufgehoben werden. Das hat aber, seit Preußen ein Verfassungsstant ist, weder ein Herrscher, noch ein Ministerium, noch eine nennenswert große Partei jemals gewollt. Wer das Gegenteil behauptet, der redet entweder in den Tag hinein oder sagt be¬ wußterweise die Unwahrheit. Läßt sich also auch so der Streit nicht beilegen, so ist es ganz unvermeidlich, daß nach und nach aus der Rechtsfrage eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/463>, abgerufen am 02.07.2024.