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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der verfassnngsstreit in Preußen

aber folgende Stellen liest: "Die mehrfach gemachte Unterstellung, als ob ein
großer Teil der Volksvertretung und mit ihr der preußischen Wähler sich feind¬
licher Eingriffe in die Rechte der Krone schuldig machen könnte, verkennt den
tief monarchischen Grundzug der Nation, in welchem das Königtum seine starken
Wurzeln treibt. Ew. Majestät bitten wir unterthänigst, keinen Unterschied
finden zu wollen zwischen der begeisterten Liebe, welche das Land Ew. Majestät
jederzeit entgegengetragen(!) hat, und zwischen einem Ergebnis der Wahlen,
welches unzweifelhaft gegen einzelne Anschauungen und Maßregeln der könig¬
lichen Staatsregierung gerichtet war. Weit entfernt, in eine Prärogative
der Krone einzugreifen, glauben wir, diese Krone nur zu stützen und zu stärken,
indem wir Ew. Majestät in tiefster Ehrfurcht die Überzeugung aussprechen,
daß keine Regierung, welche in diesen Punkten den Bedürfnissen der Nation
widerstrebt, die untrennbaren Interessen der Krone und des Landes zu fördern
imstande sein würde," so wird man doch sehr lebhaft an den bekannten Satz
der praktischen Rechtskunde erinnert: 8i tevisti, luz^s.! nur mit dem Unter¬
schiede, daß hier von vornherein etwas abgeleugnet wird, das man sest ent¬
schlossen war zu thun und jahrelang gethan hat. Die Hauptsache, die Militär¬
frage, ist in der Adresse mit keinem Worte berührt.

Am 7. Juli erteilte der König folgende Antwort: "Ich habe die mir
soeben ausgedrückten Versicherungen der Treue und loyalen Ergebenheit gern
entgegengenommen. Indem ich wiederholt ausspreche, daß ich unverändert auf
dem Boden der beschworner Verfassung stehe, sowie auf dem meines Programms
vom November 1858, und daß ich mich hierbei in voller Übereinstimmung mit
meinem Ministerium befinde, knüpfe ich hieran die feste Erwartung, Ihre aus¬
gesprochenen Gesinnungen durch die That bewährt zu sehen, und da Sie einen
Satz meines Programms von 1858 herausgehoben haben, so wollen Sie sich
dasselbe Zeile für Zeile einprägen; dann werden Sie meine Gesinnungen recht
erkennen." Eine Wirkung hatten diese höchst beherzigenswerten Worte nicht.

Endlos lang schleppten sich die Verhandlungen die ganzen Sommermonate
hindurch hin, unterbrochen von mancherlei Zwischenfällen. Einige nebensächliche
Gegenstünde wurden auch erledigt; was die Hauptsache betraf, die Wehrhaft-
machung des Staates, und zwar zu Wasser wie zu Lande, so kam man auch
nicht um eines Fußes Breite weiter. Das Entgegenkommen der Regierung
wurde nicht erwidert; alle ihre Zugestündnisse, die wirklich bis an die äußerste
Grenze des Möglichen gingen, d. h. wenn der Grundpfeiler und das Bollwerk
des Landes nicht angegriffen werden sollte, nämlich das Kriegsheer, wurden
als ungenügend befunden und schroff zurückgewiesen. Die Debatte über den
Militärctat begann im Abgeordnetenhause erst am 11. September und nahm
sieben volle Tage in Anspruch. Dazwischen wurden fortwährend Sitzungen
der Budgetkommission abgehalten. Erst am achten Tage, am 23. September,
kam es zur Schluszabstimmung. Obgleich der Minister dringend davor warnte,


Der verfassnngsstreit in Preußen

aber folgende Stellen liest: „Die mehrfach gemachte Unterstellung, als ob ein
großer Teil der Volksvertretung und mit ihr der preußischen Wähler sich feind¬
licher Eingriffe in die Rechte der Krone schuldig machen könnte, verkennt den
tief monarchischen Grundzug der Nation, in welchem das Königtum seine starken
Wurzeln treibt. Ew. Majestät bitten wir unterthänigst, keinen Unterschied
finden zu wollen zwischen der begeisterten Liebe, welche das Land Ew. Majestät
jederzeit entgegengetragen(!) hat, und zwischen einem Ergebnis der Wahlen,
welches unzweifelhaft gegen einzelne Anschauungen und Maßregeln der könig¬
lichen Staatsregierung gerichtet war. Weit entfernt, in eine Prärogative
der Krone einzugreifen, glauben wir, diese Krone nur zu stützen und zu stärken,
indem wir Ew. Majestät in tiefster Ehrfurcht die Überzeugung aussprechen,
daß keine Regierung, welche in diesen Punkten den Bedürfnissen der Nation
widerstrebt, die untrennbaren Interessen der Krone und des Landes zu fördern
imstande sein würde," so wird man doch sehr lebhaft an den bekannten Satz
der praktischen Rechtskunde erinnert: 8i tevisti, luz^s.! nur mit dem Unter¬
schiede, daß hier von vornherein etwas abgeleugnet wird, das man sest ent¬
schlossen war zu thun und jahrelang gethan hat. Die Hauptsache, die Militär¬
frage, ist in der Adresse mit keinem Worte berührt.

Am 7. Juli erteilte der König folgende Antwort: „Ich habe die mir
soeben ausgedrückten Versicherungen der Treue und loyalen Ergebenheit gern
entgegengenommen. Indem ich wiederholt ausspreche, daß ich unverändert auf
dem Boden der beschworner Verfassung stehe, sowie auf dem meines Programms
vom November 1858, und daß ich mich hierbei in voller Übereinstimmung mit
meinem Ministerium befinde, knüpfe ich hieran die feste Erwartung, Ihre aus¬
gesprochenen Gesinnungen durch die That bewährt zu sehen, und da Sie einen
Satz meines Programms von 1858 herausgehoben haben, so wollen Sie sich
dasselbe Zeile für Zeile einprägen; dann werden Sie meine Gesinnungen recht
erkennen." Eine Wirkung hatten diese höchst beherzigenswerten Worte nicht.

Endlos lang schleppten sich die Verhandlungen die ganzen Sommermonate
hindurch hin, unterbrochen von mancherlei Zwischenfällen. Einige nebensächliche
Gegenstünde wurden auch erledigt; was die Hauptsache betraf, die Wehrhaft-
machung des Staates, und zwar zu Wasser wie zu Lande, so kam man auch
nicht um eines Fußes Breite weiter. Das Entgegenkommen der Regierung
wurde nicht erwidert; alle ihre Zugestündnisse, die wirklich bis an die äußerste
Grenze des Möglichen gingen, d. h. wenn der Grundpfeiler und das Bollwerk
des Landes nicht angegriffen werden sollte, nämlich das Kriegsheer, wurden
als ungenügend befunden und schroff zurückgewiesen. Die Debatte über den
Militärctat begann im Abgeordnetenhause erst am 11. September und nahm
sieben volle Tage in Anspruch. Dazwischen wurden fortwährend Sitzungen
der Budgetkommission abgehalten. Erst am achten Tage, am 23. September,
kam es zur Schluszabstimmung. Obgleich der Minister dringend davor warnte,


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[0460] Der verfassnngsstreit in Preußen aber folgende Stellen liest: „Die mehrfach gemachte Unterstellung, als ob ein großer Teil der Volksvertretung und mit ihr der preußischen Wähler sich feind¬ licher Eingriffe in die Rechte der Krone schuldig machen könnte, verkennt den tief monarchischen Grundzug der Nation, in welchem das Königtum seine starken Wurzeln treibt. Ew. Majestät bitten wir unterthänigst, keinen Unterschied finden zu wollen zwischen der begeisterten Liebe, welche das Land Ew. Majestät jederzeit entgegengetragen(!) hat, und zwischen einem Ergebnis der Wahlen, welches unzweifelhaft gegen einzelne Anschauungen und Maßregeln der könig¬ lichen Staatsregierung gerichtet war. Weit entfernt, in eine Prärogative der Krone einzugreifen, glauben wir, diese Krone nur zu stützen und zu stärken, indem wir Ew. Majestät in tiefster Ehrfurcht die Überzeugung aussprechen, daß keine Regierung, welche in diesen Punkten den Bedürfnissen der Nation widerstrebt, die untrennbaren Interessen der Krone und des Landes zu fördern imstande sein würde," so wird man doch sehr lebhaft an den bekannten Satz der praktischen Rechtskunde erinnert: 8i tevisti, luz^s.! nur mit dem Unter¬ schiede, daß hier von vornherein etwas abgeleugnet wird, das man sest ent¬ schlossen war zu thun und jahrelang gethan hat. Die Hauptsache, die Militär¬ frage, ist in der Adresse mit keinem Worte berührt. Am 7. Juli erteilte der König folgende Antwort: „Ich habe die mir soeben ausgedrückten Versicherungen der Treue und loyalen Ergebenheit gern entgegengenommen. Indem ich wiederholt ausspreche, daß ich unverändert auf dem Boden der beschworner Verfassung stehe, sowie auf dem meines Programms vom November 1858, und daß ich mich hierbei in voller Übereinstimmung mit meinem Ministerium befinde, knüpfe ich hieran die feste Erwartung, Ihre aus¬ gesprochenen Gesinnungen durch die That bewährt zu sehen, und da Sie einen Satz meines Programms von 1858 herausgehoben haben, so wollen Sie sich dasselbe Zeile für Zeile einprägen; dann werden Sie meine Gesinnungen recht erkennen." Eine Wirkung hatten diese höchst beherzigenswerten Worte nicht. Endlos lang schleppten sich die Verhandlungen die ganzen Sommermonate hindurch hin, unterbrochen von mancherlei Zwischenfällen. Einige nebensächliche Gegenstünde wurden auch erledigt; was die Hauptsache betraf, die Wehrhaft- machung des Staates, und zwar zu Wasser wie zu Lande, so kam man auch nicht um eines Fußes Breite weiter. Das Entgegenkommen der Regierung wurde nicht erwidert; alle ihre Zugestündnisse, die wirklich bis an die äußerste Grenze des Möglichen gingen, d. h. wenn der Grundpfeiler und das Bollwerk des Landes nicht angegriffen werden sollte, nämlich das Kriegsheer, wurden als ungenügend befunden und schroff zurückgewiesen. Die Debatte über den Militärctat begann im Abgeordnetenhause erst am 11. September und nahm sieben volle Tage in Anspruch. Dazwischen wurden fortwährend Sitzungen der Budgetkommission abgehalten. Erst am achten Tage, am 23. September, kam es zur Schluszabstimmung. Obgleich der Minister dringend davor warnte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/460>, abgerufen am 02.07.2024.