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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

Arten strafrechtlicher Haftung, die von uns nach Grund und Inhalt scharf
gesondert werden, zu einer einzigen verbinden will. Eine solche Bermengung
der Haftbarkeit wegen vorsätzlicher Begehung eines Verbrechens durch die Presse
mit der wegen fahrlässiger Verletzung der Nedakteurpslicht gehört dem fran¬
zösischen Rechte an. Das deutsche Rechtsgefühl aber hatte dieser gleichen Be¬
handlung wesentlich verschiedner Fälle einen immer schärfern Widerspruch ent¬
gegengesetzt; seit dem preußischen Preßgesetz von 1851 war sie allmählich fast
ganz aus der deutschen Gesetzgebung verschwunden und durch die oben be¬
sprochene Sonderung ersetzt worden. Es ist mir unbegreiflich, wie Gerland
einerseits auf Grund meiner Forschungen zugeben kann, das preußische
System bilde die Grundlage der Reichspreßgesetzgebuug, und doch gleich
darauf behaupten, dieses System habe hier eine weitere, dem bisherigen Recht
unbekannte Ausbildung erhalten, die sich an die französische Haftung der
g"zrMts rtZ8ponLg.vlkL anlehne. Das ist ein vollkommener Widerspruch.

Auch Gerland führt nun freilich an, daß unser Preßgesetz noch eine zweite
Haftbarkeit des Redakteurs anerkenne- wegen Vernachlässigung der Pflicht-
mäßigen Sorgfalt in der Überwachung der rechtmäßigen Haltung seines Blattes;
und er findet hierin mit mir "eine den deutschen Rechtsanschauungen ent¬
sprechende Fortbildung des französischen Geranteilwesens." Allein abgesehen
von dem auch hierin zu Tage tretenden Widerspruch, daß von den beiden
Haftungen des Reichspreßgesetzes die eine eine Anlehnung an die französische
Geranteuhaftung, die andre eine Fortbildung derselben darstellen soll, svdnß
also ein und derselbe Rechtsgebäude in ein und demselben Gesetz in doppelter,
sich widersprechender Gestalt zum Ausdruck gekommen wäre, abgesehen hiervon
bleibt sür diese zweite Fahrlässigkeitshaftuug bei der von Gerlaud vertretenen
Auffassung der Thäterhaftung ein eignes Anwendungsgebiet nicht mehr übrig.
Trifft den Redakteur die volle Thäterstrafe auch dann, wenn er nicht Thäter
ist, und kann er von dieser Strafbarkeit mir durch "außergewöhnliche Um¬
stände" befreit werden, "die auch einen gewissenhaften Redakteur ohne eignes
Verschulden verhindern, im Einzelfall die gebotene Thätigkeit auszuüben," so
giebt es überhaupt keine Fülle, wo die zweite Haftbarkeit wegen fahrlässiger
Verletzung der Redakteurpflicht platzgreifen könnte. Alle Fülle, die um sich
unter diese zu ziehen wären, würden bereits nnter die Thäterhaftung fallen,
und wo diese ausgeschlossen wäre (bei gänzlich unverschuldeter Nichtausübung
der Redakteurthätigkeit), da wäre es auch die Fahrlässigkeitshaftnng. Das
ergiebt sich denn auch auf den ersten Blick aus den von Gerland für die
eine und für die andre Art der Haftung angeführten Beispielen: es besteht
zwischen beiden kein Unterschied, zum Teil fallen sie geradezu zusammen.
Die Bestimmungen des Gesetzes über die Fahrlässigkeitshaftnng wären so¬
nach gegenstandslos und könnten gar nicht zur Anwendung gebracht werden;
in Wahrheit bestünde also "ach unserm Recht doch nur eine Haftung


Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

Arten strafrechtlicher Haftung, die von uns nach Grund und Inhalt scharf
gesondert werden, zu einer einzigen verbinden will. Eine solche Bermengung
der Haftbarkeit wegen vorsätzlicher Begehung eines Verbrechens durch die Presse
mit der wegen fahrlässiger Verletzung der Nedakteurpslicht gehört dem fran¬
zösischen Rechte an. Das deutsche Rechtsgefühl aber hatte dieser gleichen Be¬
handlung wesentlich verschiedner Fälle einen immer schärfern Widerspruch ent¬
gegengesetzt; seit dem preußischen Preßgesetz von 1851 war sie allmählich fast
ganz aus der deutschen Gesetzgebung verschwunden und durch die oben be¬
sprochene Sonderung ersetzt worden. Es ist mir unbegreiflich, wie Gerland
einerseits auf Grund meiner Forschungen zugeben kann, das preußische
System bilde die Grundlage der Reichspreßgesetzgebuug, und doch gleich
darauf behaupten, dieses System habe hier eine weitere, dem bisherigen Recht
unbekannte Ausbildung erhalten, die sich an die französische Haftung der
g«zrMts rtZ8ponLg.vlkL anlehne. Das ist ein vollkommener Widerspruch.

Auch Gerland führt nun freilich an, daß unser Preßgesetz noch eine zweite
Haftbarkeit des Redakteurs anerkenne- wegen Vernachlässigung der Pflicht-
mäßigen Sorgfalt in der Überwachung der rechtmäßigen Haltung seines Blattes;
und er findet hierin mit mir „eine den deutschen Rechtsanschauungen ent¬
sprechende Fortbildung des französischen Geranteilwesens." Allein abgesehen
von dem auch hierin zu Tage tretenden Widerspruch, daß von den beiden
Haftungen des Reichspreßgesetzes die eine eine Anlehnung an die französische
Geranteuhaftung, die andre eine Fortbildung derselben darstellen soll, svdnß
also ein und derselbe Rechtsgebäude in ein und demselben Gesetz in doppelter,
sich widersprechender Gestalt zum Ausdruck gekommen wäre, abgesehen hiervon
bleibt sür diese zweite Fahrlässigkeitshaftuug bei der von Gerlaud vertretenen
Auffassung der Thäterhaftung ein eignes Anwendungsgebiet nicht mehr übrig.
Trifft den Redakteur die volle Thäterstrafe auch dann, wenn er nicht Thäter
ist, und kann er von dieser Strafbarkeit mir durch „außergewöhnliche Um¬
stände" befreit werden, „die auch einen gewissenhaften Redakteur ohne eignes
Verschulden verhindern, im Einzelfall die gebotene Thätigkeit auszuüben," so
giebt es überhaupt keine Fülle, wo die zweite Haftbarkeit wegen fahrlässiger
Verletzung der Redakteurpflicht platzgreifen könnte. Alle Fülle, die um sich
unter diese zu ziehen wären, würden bereits nnter die Thäterhaftung fallen,
und wo diese ausgeschlossen wäre (bei gänzlich unverschuldeter Nichtausübung
der Redakteurthätigkeit), da wäre es auch die Fahrlässigkeitshaftnng. Das
ergiebt sich denn auch auf den ersten Blick aus den von Gerland für die
eine und für die andre Art der Haftung angeführten Beispielen: es besteht
zwischen beiden kein Unterschied, zum Teil fallen sie geradezu zusammen.
Die Bestimmungen des Gesetzes über die Fahrlässigkeitshaftnng wären so¬
nach gegenstandslos und könnten gar nicht zur Anwendung gebracht werden;
in Wahrheit bestünde also »ach unserm Recht doch nur eine Haftung


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[0454] Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs Arten strafrechtlicher Haftung, die von uns nach Grund und Inhalt scharf gesondert werden, zu einer einzigen verbinden will. Eine solche Bermengung der Haftbarkeit wegen vorsätzlicher Begehung eines Verbrechens durch die Presse mit der wegen fahrlässiger Verletzung der Nedakteurpslicht gehört dem fran¬ zösischen Rechte an. Das deutsche Rechtsgefühl aber hatte dieser gleichen Be¬ handlung wesentlich verschiedner Fälle einen immer schärfern Widerspruch ent¬ gegengesetzt; seit dem preußischen Preßgesetz von 1851 war sie allmählich fast ganz aus der deutschen Gesetzgebung verschwunden und durch die oben be¬ sprochene Sonderung ersetzt worden. Es ist mir unbegreiflich, wie Gerland einerseits auf Grund meiner Forschungen zugeben kann, das preußische System bilde die Grundlage der Reichspreßgesetzgebuug, und doch gleich darauf behaupten, dieses System habe hier eine weitere, dem bisherigen Recht unbekannte Ausbildung erhalten, die sich an die französische Haftung der g«zrMts rtZ8ponLg.vlkL anlehne. Das ist ein vollkommener Widerspruch. Auch Gerland führt nun freilich an, daß unser Preßgesetz noch eine zweite Haftbarkeit des Redakteurs anerkenne- wegen Vernachlässigung der Pflicht- mäßigen Sorgfalt in der Überwachung der rechtmäßigen Haltung seines Blattes; und er findet hierin mit mir „eine den deutschen Rechtsanschauungen ent¬ sprechende Fortbildung des französischen Geranteilwesens." Allein abgesehen von dem auch hierin zu Tage tretenden Widerspruch, daß von den beiden Haftungen des Reichspreßgesetzes die eine eine Anlehnung an die französische Geranteuhaftung, die andre eine Fortbildung derselben darstellen soll, svdnß also ein und derselbe Rechtsgebäude in ein und demselben Gesetz in doppelter, sich widersprechender Gestalt zum Ausdruck gekommen wäre, abgesehen hiervon bleibt sür diese zweite Fahrlässigkeitshaftuug bei der von Gerlaud vertretenen Auffassung der Thäterhaftung ein eignes Anwendungsgebiet nicht mehr übrig. Trifft den Redakteur die volle Thäterstrafe auch dann, wenn er nicht Thäter ist, und kann er von dieser Strafbarkeit mir durch „außergewöhnliche Um¬ stände" befreit werden, „die auch einen gewissenhaften Redakteur ohne eignes Verschulden verhindern, im Einzelfall die gebotene Thätigkeit auszuüben," so giebt es überhaupt keine Fülle, wo die zweite Haftbarkeit wegen fahrlässiger Verletzung der Redakteurpflicht platzgreifen könnte. Alle Fülle, die um sich unter diese zu ziehen wären, würden bereits nnter die Thäterhaftung fallen, und wo diese ausgeschlossen wäre (bei gänzlich unverschuldeter Nichtausübung der Redakteurthätigkeit), da wäre es auch die Fahrlässigkeitshaftnng. Das ergiebt sich denn auch auf den ersten Blick aus den von Gerland für die eine und für die andre Art der Haftung angeführten Beispielen: es besteht zwischen beiden kein Unterschied, zum Teil fallen sie geradezu zusammen. Die Bestimmungen des Gesetzes über die Fahrlässigkeitshaftnng wären so¬ nach gegenstandslos und könnten gar nicht zur Anwendung gebracht werden; in Wahrheit bestünde also »ach unserm Recht doch nur eine Haftung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/454>, abgerufen am 02.07.2024.