Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

Thäterschaft des Verantwortlicher Redakteurs aufgestellt, die jedoch durch den
Gegenbeweis jederzeit widerlegt werden kann. Ausgehend von der regelmäßigen
Art des Zustandekommens einer Zeitung nimmt das Gesetz an, daß gewöhnlich
der ganze Inhalt der Zeitung von dem Redakteur selbst herrühre oder doch
von diesen: mit Wissen und Willen zur Veröffentlichung gebracht sei, und das
Gesetz schreibt daher diese Annahme auch dem Richter vor. Allein nicht unbe¬
dingt. Der Gesetzgeber war sich sehr wohl bewußt, daß diese allgemeine An¬
nahme im Einzelfall sich leicht als unzutreffend erweist, daß es Fälle genug
giebt, wo die Voraussetzungen für die Thäterschaft des Redakteurs thatsächlich
fehlen, wo also die Annahme der Thäterschaft ungerecht wäre, und dem hat
er eben durch Offenlassen des Gegenbeweises Rechnung getragen. Dieser Gegen¬
beweis kann mit allen Mitteln geführt werden; er kann geführt werden durch
Berufung auf alle Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergiebt, daß der
verantwortliche Redakteur Thäter des Verbrechens in Wahrheit nicht ist.
Insbesondre kann er dahin geführt werden, daß der Redakteur, sei es von der
Veröffentlichung, sei es von dem Inhalte, sei es von dem strafbaren Charakter
der in seinem Blatt abgedruckten Äußerung nichts gewußt hat, gleichviel,
aus welchem Grunde er dies nicht gewußt hat, ob mit oder ohne Fahrlässig¬
keit, ob mit oder ohne Verletzung seiner Redakteurpflicht. Gelingt dieser Gegen¬
beweis, so ist der Redakteur vou der strafrechtlichen Haftung als Thäter frei;
denn dann steht eben fest, daß er nicht Thäter des betreffenden Verbrechens
ist, es nicht verübt hat. Gelingt aber der Gegenbeweis nicht, so steht nun¬
mehr auf Grund jener allgemeinen Annahme sowie auf Grund des weitern
Umstandes, daß diese Annahme auch durch die besondern Verhältnisse des Einzel¬
falls nicht hat erschüttert werden können, die Thäterschaft des verantwortlichen
Redakteurs fest, und er ist mit der gesetzlichen Strafe zu belegen. Er ist
damit zu belegen, nicht weil er Redakteur ist und etwa seine Redakteurpflicht
verletzt hat -- um diese handelt es sich hierbei überhaupt nicht --, sondern weil
er Thäter des verübten Verbrechens ist. Er steht auch hier dem Strafgesetze
gegenüber wie jeder andre, es finden aus ihn wie auf jeden andern die allge¬
meinen strafrechtlichen Grundsätze Anwendung. Nur in der Beweisgrnndlage,
auf der die Feststellung seiner Thäterschaft beruht, unterscheidet sich diese Haft¬
barkeit des verantwortlichen Redakteurs von der andrer Personen.

Vorstehendes ist, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, der Sinn der
hauptsächlich in Frage kommenden Bestimmung in H 20 Abs. 2 unsers Pre߬
gesetzes: "Der verantwortliche Redakteur ist als Thäter zu bestrafen, wenn
nicht durch besondre Umstände jd. h. durch die Umstände des EinzelfallesI
die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird."

Neben dieser allgemein strafrechtlichen Haftung des verantwortlichen Re¬
dakteurs kennt unser Preßgesetz aber noch eine besondre preßrechtliche, die nicht auf
der Verübung eiuer allgemein strafbaren Handlung durch die Presse, sondern


Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

Thäterschaft des Verantwortlicher Redakteurs aufgestellt, die jedoch durch den
Gegenbeweis jederzeit widerlegt werden kann. Ausgehend von der regelmäßigen
Art des Zustandekommens einer Zeitung nimmt das Gesetz an, daß gewöhnlich
der ganze Inhalt der Zeitung von dem Redakteur selbst herrühre oder doch
von diesen: mit Wissen und Willen zur Veröffentlichung gebracht sei, und das
Gesetz schreibt daher diese Annahme auch dem Richter vor. Allein nicht unbe¬
dingt. Der Gesetzgeber war sich sehr wohl bewußt, daß diese allgemeine An¬
nahme im Einzelfall sich leicht als unzutreffend erweist, daß es Fälle genug
giebt, wo die Voraussetzungen für die Thäterschaft des Redakteurs thatsächlich
fehlen, wo also die Annahme der Thäterschaft ungerecht wäre, und dem hat
er eben durch Offenlassen des Gegenbeweises Rechnung getragen. Dieser Gegen¬
beweis kann mit allen Mitteln geführt werden; er kann geführt werden durch
Berufung auf alle Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergiebt, daß der
verantwortliche Redakteur Thäter des Verbrechens in Wahrheit nicht ist.
Insbesondre kann er dahin geführt werden, daß der Redakteur, sei es von der
Veröffentlichung, sei es von dem Inhalte, sei es von dem strafbaren Charakter
der in seinem Blatt abgedruckten Äußerung nichts gewußt hat, gleichviel,
aus welchem Grunde er dies nicht gewußt hat, ob mit oder ohne Fahrlässig¬
keit, ob mit oder ohne Verletzung seiner Redakteurpflicht. Gelingt dieser Gegen¬
beweis, so ist der Redakteur vou der strafrechtlichen Haftung als Thäter frei;
denn dann steht eben fest, daß er nicht Thäter des betreffenden Verbrechens
ist, es nicht verübt hat. Gelingt aber der Gegenbeweis nicht, so steht nun¬
mehr auf Grund jener allgemeinen Annahme sowie auf Grund des weitern
Umstandes, daß diese Annahme auch durch die besondern Verhältnisse des Einzel¬
falls nicht hat erschüttert werden können, die Thäterschaft des verantwortlichen
Redakteurs fest, und er ist mit der gesetzlichen Strafe zu belegen. Er ist
damit zu belegen, nicht weil er Redakteur ist und etwa seine Redakteurpflicht
verletzt hat — um diese handelt es sich hierbei überhaupt nicht —, sondern weil
er Thäter des verübten Verbrechens ist. Er steht auch hier dem Strafgesetze
gegenüber wie jeder andre, es finden aus ihn wie auf jeden andern die allge¬
meinen strafrechtlichen Grundsätze Anwendung. Nur in der Beweisgrnndlage,
auf der die Feststellung seiner Thäterschaft beruht, unterscheidet sich diese Haft¬
barkeit des verantwortlichen Redakteurs von der andrer Personen.

Vorstehendes ist, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, der Sinn der
hauptsächlich in Frage kommenden Bestimmung in H 20 Abs. 2 unsers Pre߬
gesetzes: „Der verantwortliche Redakteur ist als Thäter zu bestrafen, wenn
nicht durch besondre Umstände jd. h. durch die Umstände des EinzelfallesI
die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird."

Neben dieser allgemein strafrechtlichen Haftung des verantwortlichen Re¬
dakteurs kennt unser Preßgesetz aber noch eine besondre preßrechtliche, die nicht auf
der Verübung eiuer allgemein strafbaren Handlung durch die Presse, sondern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206451"/>
          <fw type="header" place="top"> Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1563" prev="#ID_1562"> Thäterschaft des Verantwortlicher Redakteurs aufgestellt, die jedoch durch den<lb/>
Gegenbeweis jederzeit widerlegt werden kann. Ausgehend von der regelmäßigen<lb/>
Art des Zustandekommens einer Zeitung nimmt das Gesetz an, daß gewöhnlich<lb/>
der ganze Inhalt der Zeitung von dem Redakteur selbst herrühre oder doch<lb/>
von diesen: mit Wissen und Willen zur Veröffentlichung gebracht sei, und das<lb/>
Gesetz schreibt daher diese Annahme auch dem Richter vor. Allein nicht unbe¬<lb/>
dingt. Der Gesetzgeber war sich sehr wohl bewußt, daß diese allgemeine An¬<lb/>
nahme im Einzelfall sich leicht als unzutreffend erweist, daß es Fälle genug<lb/>
giebt, wo die Voraussetzungen für die Thäterschaft des Redakteurs thatsächlich<lb/>
fehlen, wo also die Annahme der Thäterschaft ungerecht wäre, und dem hat<lb/>
er eben durch Offenlassen des Gegenbeweises Rechnung getragen. Dieser Gegen¬<lb/>
beweis kann mit allen Mitteln geführt werden; er kann geführt werden durch<lb/>
Berufung auf alle Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergiebt, daß der<lb/>
verantwortliche Redakteur Thäter des Verbrechens in Wahrheit nicht ist.<lb/>
Insbesondre kann er dahin geführt werden, daß der Redakteur, sei es von der<lb/>
Veröffentlichung, sei es von dem Inhalte, sei es von dem strafbaren Charakter<lb/>
der in seinem Blatt abgedruckten Äußerung nichts gewußt hat, gleichviel,<lb/>
aus welchem Grunde er dies nicht gewußt hat, ob mit oder ohne Fahrlässig¬<lb/>
keit, ob mit oder ohne Verletzung seiner Redakteurpflicht. Gelingt dieser Gegen¬<lb/>
beweis, so ist der Redakteur vou der strafrechtlichen Haftung als Thäter frei;<lb/>
denn dann steht eben fest, daß er nicht Thäter des betreffenden Verbrechens<lb/>
ist, es nicht verübt hat. Gelingt aber der Gegenbeweis nicht, so steht nun¬<lb/>
mehr auf Grund jener allgemeinen Annahme sowie auf Grund des weitern<lb/>
Umstandes, daß diese Annahme auch durch die besondern Verhältnisse des Einzel¬<lb/>
falls nicht hat erschüttert werden können, die Thäterschaft des verantwortlichen<lb/>
Redakteurs fest, und er ist mit der gesetzlichen Strafe zu belegen. Er ist<lb/>
damit zu belegen, nicht weil er Redakteur ist und etwa seine Redakteurpflicht<lb/>
verletzt hat &#x2014; um diese handelt es sich hierbei überhaupt nicht &#x2014;, sondern weil<lb/>
er Thäter des verübten Verbrechens ist. Er steht auch hier dem Strafgesetze<lb/>
gegenüber wie jeder andre, es finden aus ihn wie auf jeden andern die allge¬<lb/>
meinen strafrechtlichen Grundsätze Anwendung. Nur in der Beweisgrnndlage,<lb/>
auf der die Feststellung seiner Thäterschaft beruht, unterscheidet sich diese Haft¬<lb/>
barkeit des verantwortlichen Redakteurs von der andrer Personen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1564"> Vorstehendes ist, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, der Sinn der<lb/>
hauptsächlich in Frage kommenden Bestimmung in H 20 Abs. 2 unsers Pre߬<lb/>
gesetzes: &#x201E;Der verantwortliche Redakteur ist als Thäter zu bestrafen, wenn<lb/>
nicht durch besondre Umstände jd. h. durch die Umstände des EinzelfallesI<lb/>
die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1565" next="#ID_1566"> Neben dieser allgemein strafrechtlichen Haftung des verantwortlichen Re¬<lb/>
dakteurs kennt unser Preßgesetz aber noch eine besondre preßrechtliche, die nicht auf<lb/>
der Verübung eiuer allgemein strafbaren Handlung durch die Presse, sondern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs Thäterschaft des Verantwortlicher Redakteurs aufgestellt, die jedoch durch den Gegenbeweis jederzeit widerlegt werden kann. Ausgehend von der regelmäßigen Art des Zustandekommens einer Zeitung nimmt das Gesetz an, daß gewöhnlich der ganze Inhalt der Zeitung von dem Redakteur selbst herrühre oder doch von diesen: mit Wissen und Willen zur Veröffentlichung gebracht sei, und das Gesetz schreibt daher diese Annahme auch dem Richter vor. Allein nicht unbe¬ dingt. Der Gesetzgeber war sich sehr wohl bewußt, daß diese allgemeine An¬ nahme im Einzelfall sich leicht als unzutreffend erweist, daß es Fälle genug giebt, wo die Voraussetzungen für die Thäterschaft des Redakteurs thatsächlich fehlen, wo also die Annahme der Thäterschaft ungerecht wäre, und dem hat er eben durch Offenlassen des Gegenbeweises Rechnung getragen. Dieser Gegen¬ beweis kann mit allen Mitteln geführt werden; er kann geführt werden durch Berufung auf alle Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergiebt, daß der verantwortliche Redakteur Thäter des Verbrechens in Wahrheit nicht ist. Insbesondre kann er dahin geführt werden, daß der Redakteur, sei es von der Veröffentlichung, sei es von dem Inhalte, sei es von dem strafbaren Charakter der in seinem Blatt abgedruckten Äußerung nichts gewußt hat, gleichviel, aus welchem Grunde er dies nicht gewußt hat, ob mit oder ohne Fahrlässig¬ keit, ob mit oder ohne Verletzung seiner Redakteurpflicht. Gelingt dieser Gegen¬ beweis, so ist der Redakteur vou der strafrechtlichen Haftung als Thäter frei; denn dann steht eben fest, daß er nicht Thäter des betreffenden Verbrechens ist, es nicht verübt hat. Gelingt aber der Gegenbeweis nicht, so steht nun¬ mehr auf Grund jener allgemeinen Annahme sowie auf Grund des weitern Umstandes, daß diese Annahme auch durch die besondern Verhältnisse des Einzel¬ falls nicht hat erschüttert werden können, die Thäterschaft des verantwortlichen Redakteurs fest, und er ist mit der gesetzlichen Strafe zu belegen. Er ist damit zu belegen, nicht weil er Redakteur ist und etwa seine Redakteurpflicht verletzt hat — um diese handelt es sich hierbei überhaupt nicht —, sondern weil er Thäter des verübten Verbrechens ist. Er steht auch hier dem Strafgesetze gegenüber wie jeder andre, es finden aus ihn wie auf jeden andern die allge¬ meinen strafrechtlichen Grundsätze Anwendung. Nur in der Beweisgrnndlage, auf der die Feststellung seiner Thäterschaft beruht, unterscheidet sich diese Haft¬ barkeit des verantwortlichen Redakteurs von der andrer Personen. Vorstehendes ist, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, der Sinn der hauptsächlich in Frage kommenden Bestimmung in H 20 Abs. 2 unsers Pre߬ gesetzes: „Der verantwortliche Redakteur ist als Thäter zu bestrafen, wenn nicht durch besondre Umstände jd. h. durch die Umstände des EinzelfallesI die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird." Neben dieser allgemein strafrechtlichen Haftung des verantwortlichen Re¬ dakteurs kennt unser Preßgesetz aber noch eine besondre preßrechtliche, die nicht auf der Verübung eiuer allgemein strafbaren Handlung durch die Presse, sondern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/452>, abgerufen am 02.07.2024.