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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

Strafe des verübten Verbrechens trifft den verantwortlichen Redakteur also
entweder, weil er das Verbrechen felbst begangen, oder weil er fahrlässiger-
weise seine Redakteurpflicht verletzt hat. Nur dann, wenn ihm ohne jedes
eigne Verschulden, aus Gründen, die ganz anßer seinem Willen lagen, die Er¬
füllung seiner Nedakteurpflicht unmöglich war, soll er von dieser Haftbarkeit
für die volle Strafe des Verbrechens frei bleiben. Hiernach wäre also beispiels¬
weise ein Redakteur, der eine kleine Erholungsreise unternommen hatte und in
dessen Blatt nun während seiner Abwesenheit ohne sein Wissen ein Staats¬
geheimnis veröffentlicht worden ist, nach Strafgesetzbuch 8 92 Ur. 1 wegen
Landesverrats mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu bestrafen. Sein
Fehler bestünde allein darin, daß er trotz seiner Abwesenheit das Blatt als
Redakteur gezeichnet hatte, statt für die Bestellung eines Vertreters Sorge zu
tragen; diesen Fehler aber hätte er mit mindestens zwei Jahren Zuchthaus zu
büßen. Gleiches Schicksal hätte hiernach im vergangnen Jahre auch den ver¬
antwortlichen Redakteur der "Deutschen Rundschau" treffen müssen, wenn das
Reichsgericht in der Veröffentlichung des Tagebuchs Kaiser Friedrichs eine
strafbare Handlung erblickt hätte, ohne Rücksicht darauf, ob er sich des straf¬
baren Charakters der Veröffentlichung bewußt war oder nicht.

Im Gegensatz zu dieser Auffassung der strafrechtlichen Haftung des ver¬
antwortlichen Redakteurs habe ich nun in meinem angeführten Buche mit ein¬
gehender Begründung die Meinung vertreten, daß nach unserm heute geltenden
Reichspreßgesetz zwei ganz verschiedne^ und auf verschiednen Grundlagen be¬
ruhende Haftungen des verantwortlichen Redakteurs zu unterscheiden seien:
eine nach allgemeinem Strafrecht und eine besondre preßrechtliche.

Der Redakteur haftet einmal nach den allgemeine-? Grundsätzen des Straf¬
rechts, wenn und sofern die in seinem Blatte enthaltene strafbare Äußerung
in Wahrheit von ihm selbst herrührt, von ihm selbst wissentlich und willentlich
veröffentlicht worden ist. Er haftet hier mit der vollen gesetzlichen Strase
desjenigen Verbrechens, das.durch die betreffende Äußerung verübt worden ist,
und zwar als Thäter, eben weil er dieses Verbrechen selbst als solcher verübt
hat, gerade so wie jeder andre, der das gleiche gethan hat. Daß er dies aber
gethan habe, müßte ihm an sich in jedem Einzelfalle erst bewiesen werden.
Allein ein solcher Nachweis begegnet in der Praxis überaus großen Schwierig¬
keiten, und es besteht daher die Gefahr, daß verbrecherische Redakteure nur
allzu leicht infolge dieser Belveisschlvierigteiten der verdienten Strafe entgehen.
Daher hat das Gesetz diese Beweisschwierigkeiten durch eine besondre Be¬
stimmung zu heben gesucht, wonach zur Verurteilung des verantwortlichen
Redakteurs als eines Thäters zwar der positive Nachweis seiner Thäterschaft
nicht erforderlich sein, wohl aber diese Verurteilung dnrch den Gegenbeweis
seiner Nichtthäterschaft ausgeschlossen werde" soll. Das Gesetz hat mit andern
Worten eine Beweisregel, eine sogenannte Präsumtion oder Vermutung für die


Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

Strafe des verübten Verbrechens trifft den verantwortlichen Redakteur also
entweder, weil er das Verbrechen felbst begangen, oder weil er fahrlässiger-
weise seine Redakteurpflicht verletzt hat. Nur dann, wenn ihm ohne jedes
eigne Verschulden, aus Gründen, die ganz anßer seinem Willen lagen, die Er¬
füllung seiner Nedakteurpflicht unmöglich war, soll er von dieser Haftbarkeit
für die volle Strafe des Verbrechens frei bleiben. Hiernach wäre also beispiels¬
weise ein Redakteur, der eine kleine Erholungsreise unternommen hatte und in
dessen Blatt nun während seiner Abwesenheit ohne sein Wissen ein Staats¬
geheimnis veröffentlicht worden ist, nach Strafgesetzbuch 8 92 Ur. 1 wegen
Landesverrats mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu bestrafen. Sein
Fehler bestünde allein darin, daß er trotz seiner Abwesenheit das Blatt als
Redakteur gezeichnet hatte, statt für die Bestellung eines Vertreters Sorge zu
tragen; diesen Fehler aber hätte er mit mindestens zwei Jahren Zuchthaus zu
büßen. Gleiches Schicksal hätte hiernach im vergangnen Jahre auch den ver¬
antwortlichen Redakteur der „Deutschen Rundschau" treffen müssen, wenn das
Reichsgericht in der Veröffentlichung des Tagebuchs Kaiser Friedrichs eine
strafbare Handlung erblickt hätte, ohne Rücksicht darauf, ob er sich des straf¬
baren Charakters der Veröffentlichung bewußt war oder nicht.

Im Gegensatz zu dieser Auffassung der strafrechtlichen Haftung des ver¬
antwortlichen Redakteurs habe ich nun in meinem angeführten Buche mit ein¬
gehender Begründung die Meinung vertreten, daß nach unserm heute geltenden
Reichspreßgesetz zwei ganz verschiedne^ und auf verschiednen Grundlagen be¬
ruhende Haftungen des verantwortlichen Redakteurs zu unterscheiden seien:
eine nach allgemeinem Strafrecht und eine besondre preßrechtliche.

Der Redakteur haftet einmal nach den allgemeine-? Grundsätzen des Straf¬
rechts, wenn und sofern die in seinem Blatte enthaltene strafbare Äußerung
in Wahrheit von ihm selbst herrührt, von ihm selbst wissentlich und willentlich
veröffentlicht worden ist. Er haftet hier mit der vollen gesetzlichen Strase
desjenigen Verbrechens, das.durch die betreffende Äußerung verübt worden ist,
und zwar als Thäter, eben weil er dieses Verbrechen selbst als solcher verübt
hat, gerade so wie jeder andre, der das gleiche gethan hat. Daß er dies aber
gethan habe, müßte ihm an sich in jedem Einzelfalle erst bewiesen werden.
Allein ein solcher Nachweis begegnet in der Praxis überaus großen Schwierig¬
keiten, und es besteht daher die Gefahr, daß verbrecherische Redakteure nur
allzu leicht infolge dieser Belveisschlvierigteiten der verdienten Strafe entgehen.
Daher hat das Gesetz diese Beweisschwierigkeiten durch eine besondre Be¬
stimmung zu heben gesucht, wonach zur Verurteilung des verantwortlichen
Redakteurs als eines Thäters zwar der positive Nachweis seiner Thäterschaft
nicht erforderlich sein, wohl aber diese Verurteilung dnrch den Gegenbeweis
seiner Nichtthäterschaft ausgeschlossen werde» soll. Das Gesetz hat mit andern
Worten eine Beweisregel, eine sogenannte Präsumtion oder Vermutung für die


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[0451] Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs Strafe des verübten Verbrechens trifft den verantwortlichen Redakteur also entweder, weil er das Verbrechen felbst begangen, oder weil er fahrlässiger- weise seine Redakteurpflicht verletzt hat. Nur dann, wenn ihm ohne jedes eigne Verschulden, aus Gründen, die ganz anßer seinem Willen lagen, die Er¬ füllung seiner Nedakteurpflicht unmöglich war, soll er von dieser Haftbarkeit für die volle Strafe des Verbrechens frei bleiben. Hiernach wäre also beispiels¬ weise ein Redakteur, der eine kleine Erholungsreise unternommen hatte und in dessen Blatt nun während seiner Abwesenheit ohne sein Wissen ein Staats¬ geheimnis veröffentlicht worden ist, nach Strafgesetzbuch 8 92 Ur. 1 wegen Landesverrats mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren zu bestrafen. Sein Fehler bestünde allein darin, daß er trotz seiner Abwesenheit das Blatt als Redakteur gezeichnet hatte, statt für die Bestellung eines Vertreters Sorge zu tragen; diesen Fehler aber hätte er mit mindestens zwei Jahren Zuchthaus zu büßen. Gleiches Schicksal hätte hiernach im vergangnen Jahre auch den ver¬ antwortlichen Redakteur der „Deutschen Rundschau" treffen müssen, wenn das Reichsgericht in der Veröffentlichung des Tagebuchs Kaiser Friedrichs eine strafbare Handlung erblickt hätte, ohne Rücksicht darauf, ob er sich des straf¬ baren Charakters der Veröffentlichung bewußt war oder nicht. Im Gegensatz zu dieser Auffassung der strafrechtlichen Haftung des ver¬ antwortlichen Redakteurs habe ich nun in meinem angeführten Buche mit ein¬ gehender Begründung die Meinung vertreten, daß nach unserm heute geltenden Reichspreßgesetz zwei ganz verschiedne^ und auf verschiednen Grundlagen be¬ ruhende Haftungen des verantwortlichen Redakteurs zu unterscheiden seien: eine nach allgemeinem Strafrecht und eine besondre preßrechtliche. Der Redakteur haftet einmal nach den allgemeine-? Grundsätzen des Straf¬ rechts, wenn und sofern die in seinem Blatte enthaltene strafbare Äußerung in Wahrheit von ihm selbst herrührt, von ihm selbst wissentlich und willentlich veröffentlicht worden ist. Er haftet hier mit der vollen gesetzlichen Strase desjenigen Verbrechens, das.durch die betreffende Äußerung verübt worden ist, und zwar als Thäter, eben weil er dieses Verbrechen selbst als solcher verübt hat, gerade so wie jeder andre, der das gleiche gethan hat. Daß er dies aber gethan habe, müßte ihm an sich in jedem Einzelfalle erst bewiesen werden. Allein ein solcher Nachweis begegnet in der Praxis überaus großen Schwierig¬ keiten, und es besteht daher die Gefahr, daß verbrecherische Redakteure nur allzu leicht infolge dieser Belveisschlvierigteiten der verdienten Strafe entgehen. Daher hat das Gesetz diese Beweisschwierigkeiten durch eine besondre Be¬ stimmung zu heben gesucht, wonach zur Verurteilung des verantwortlichen Redakteurs als eines Thäters zwar der positive Nachweis seiner Thäterschaft nicht erforderlich sein, wohl aber diese Verurteilung dnrch den Gegenbeweis seiner Nichtthäterschaft ausgeschlossen werde» soll. Das Gesetz hat mit andern Worten eine Beweisregel, eine sogenannte Präsumtion oder Vermutung für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/451>, abgerufen am 22.12.2024.