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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Davidsbündler

eine Periode nachweist, in der die Kunst ohne jene Wechselwirkung geblüht
habe.'-) R.

Florestan treibt sich seit einiger Zeit in den elendesten Bier- und Weinkellern
Heruni, einen Meßviolinspieler zu hören, der ihn, wie er meint, ordentlich aufge¬
rüttelt und aufgewärmt; denn (fuhr er fort) Violinspieler höre man Wohl, aber
Bioline wenig. Was aber Keckheit der Bogenführung und gesund genialische Auf¬
fassung bis in die kleinsten französischen Airs herab anlange, so suche der Mann
seinesgleichen, der sich beiläufig Großmann nenne und vielmal besser spiele, als er
sich einbilde. Da ihm bei seinen Talenten Anerkennung höchster Kritik nicht fehle"
könne, so ließe schon der Umstand, daß er das herumziehende, poetische Trvnbadour-
leben dem vornehmen Kapellensiechtum vorziehe, das Beste hoffen. In (schloß
Florestan), göttlich denk ich es mir, Davidsbündler, wenn ich so in Wolffs Keller
spielte, und etwa Paganini hereinträte; die miserabelsten Rutscher würde ich im
Anfang auftischen -- Paganini horchte kaum hin; das ärgerte mich, und ich brächte
Sachen aus "Don Juan" und langen, schweren Gesang >-- dn finge er um zu
stutzen; aber mit dem unschuldigsten Geficht von der Welt, als ob ich den Manu
kaum kännte, würde ich weiter spielen und etwa in eine von ihm gesetzte Caprice
fallen -- und da erfaßte mich der Gedanke der Nähe des Großen, und ich würde
anfangen zu weinen, zu lachen, zu brausen, zu beten , alles vergessend und fort¬
gerissen zum Entzücken! Und wenn er dann zu mir träte -- und mir die Hand
gäbe!

Zur Erläuterung des Aufsatzes seit schon Jansen einige Beiträge gegeben,
natürlich nur für das Bruchstück, das ihm vorlag. Wir fügen hier noch einige
auch zu dem bisher unbekannten Teile hinzu.

Der "scharfe, schiefnasige Schwedenkopf" in den ersten Zeilen ist niemand
anders als das Haupt des "Davidsbuudes": Narv, Meister Wieck. Man braucht
nur das Bild anzusehen, das früher schon dem Büchlein von A. v. Meichsner:
Friedrich Wieck und seine Töchter (Leipzig, 1875) und neuerdings wieder
dem Buche von Kohut über Friedrich Wieck (Leipzig, 1889) als'Titelbild
beigegeben ist: da haben wir das scharfgeschnittne Gesicht des Alten mit
der auffällig schiefen Nase. Die Anzahl der Büudler scheint nach dem
Druck im "Kometen" nur fünf zu sein, denn Bg. Se. Hf. Knif erscheint dort
nur als eine Person. Offenbar ist aber die Interpunktion falsch, es muß
hinter jedem der abgekürzten Namen ein Komma stehen, denn von Vg. sowohl
wie von Hf. ist je ein besonders unterzeichnetes Blättchen da. Auf wem die
Abkürzungen zu deuten sind, läßt sich freilich nicht mehr sagen. Unter Friedrich
soll, wie Jansen mitteilt, der Maler und Dichter Lyser verborgen sein, unter
Knif, dem "Bnlkentreter an Se. Georg", d. h. der Waisenhauskirche zu Se.
Georg, der Klavierlehrer Julius Knorr. Auffällig ist es, daß die Buchstaben



5) Des Umstandes noch zu gedenken, daß von den Redaktoren der bekannten musikalischen
Zeitschriften der eine Offizier, der eine Prediger war, der eine Generalstaatsproknrator, der
des Wiener Anzeigers Zivilbeamter ist.
Die Davidsbündler

eine Periode nachweist, in der die Kunst ohne jene Wechselwirkung geblüht
habe.'-) R.

Florestan treibt sich seit einiger Zeit in den elendesten Bier- und Weinkellern
Heruni, einen Meßviolinspieler zu hören, der ihn, wie er meint, ordentlich aufge¬
rüttelt und aufgewärmt; denn (fuhr er fort) Violinspieler höre man Wohl, aber
Bioline wenig. Was aber Keckheit der Bogenführung und gesund genialische Auf¬
fassung bis in die kleinsten französischen Airs herab anlange, so suche der Mann
seinesgleichen, der sich beiläufig Großmann nenne und vielmal besser spiele, als er
sich einbilde. Da ihm bei seinen Talenten Anerkennung höchster Kritik nicht fehle»
könne, so ließe schon der Umstand, daß er das herumziehende, poetische Trvnbadour-
leben dem vornehmen Kapellensiechtum vorziehe, das Beste hoffen. In (schloß
Florestan), göttlich denk ich es mir, Davidsbündler, wenn ich so in Wolffs Keller
spielte, und etwa Paganini hereinträte; die miserabelsten Rutscher würde ich im
Anfang auftischen — Paganini horchte kaum hin; das ärgerte mich, und ich brächte
Sachen aus „Don Juan" und langen, schweren Gesang >— dn finge er um zu
stutzen; aber mit dem unschuldigsten Geficht von der Welt, als ob ich den Manu
kaum kännte, würde ich weiter spielen und etwa in eine von ihm gesetzte Caprice
fallen — und da erfaßte mich der Gedanke der Nähe des Großen, und ich würde
anfangen zu weinen, zu lachen, zu brausen, zu beten , alles vergessend und fort¬
gerissen zum Entzücken! Und wenn er dann zu mir träte — und mir die Hand
gäbe!

Zur Erläuterung des Aufsatzes seit schon Jansen einige Beiträge gegeben,
natürlich nur für das Bruchstück, das ihm vorlag. Wir fügen hier noch einige
auch zu dem bisher unbekannten Teile hinzu.

Der „scharfe, schiefnasige Schwedenkopf" in den ersten Zeilen ist niemand
anders als das Haupt des „Davidsbuudes": Narv, Meister Wieck. Man braucht
nur das Bild anzusehen, das früher schon dem Büchlein von A. v. Meichsner:
Friedrich Wieck und seine Töchter (Leipzig, 1875) und neuerdings wieder
dem Buche von Kohut über Friedrich Wieck (Leipzig, 1889) als'Titelbild
beigegeben ist: da haben wir das scharfgeschnittne Gesicht des Alten mit
der auffällig schiefen Nase. Die Anzahl der Büudler scheint nach dem
Druck im „Kometen" nur fünf zu sein, denn Bg. Se. Hf. Knif erscheint dort
nur als eine Person. Offenbar ist aber die Interpunktion falsch, es muß
hinter jedem der abgekürzten Namen ein Komma stehen, denn von Vg. sowohl
wie von Hf. ist je ein besonders unterzeichnetes Blättchen da. Auf wem die
Abkürzungen zu deuten sind, läßt sich freilich nicht mehr sagen. Unter Friedrich
soll, wie Jansen mitteilt, der Maler und Dichter Lyser verborgen sein, unter
Knif, dem „Bnlkentreter an Se. Georg", d. h. der Waisenhauskirche zu Se.
Georg, der Klavierlehrer Julius Knorr. Auffällig ist es, daß die Buchstaben



5) Des Umstandes noch zu gedenken, daß von den Redaktoren der bekannten musikalischen
Zeitschriften der eine Offizier, der eine Prediger war, der eine Generalstaatsproknrator, der
des Wiener Anzeigers Zivilbeamter ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/44>, abgerufen am 28.06.2024.