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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Revolution in Brasilien

deuten der Fakultäten, sogar die Zöglinge des Kadettenhauses erklärten in
schwülstigen und hochtrabenden Adressen ihre Mißbilligung des Verfahrens der
Behörde. Die Propaganda schwoll so an Zahl und Selbstgefühl zusehends,
und die Leiter hielten am 30. April d. I. in Sav Paulo einen all¬
gemeinen Kongreß ab, der von jeder Provinz des Reiches mit fünf Abgeord¬
neten beschickt wurde, und auf dem man den Beschluß faßte, die Partei neu zu
organisiren und den Herausgeber des Blattes in Rio Janeiro, Quin-
tino Vveayuva, der jetzt im Ministerium der neuen Regierung die auswärtigen
Angelegenheiten besorgt, an die Spitze der Partei zu stellen. Bald nachher
veröffentlichte dieser ein langes, phrasenrciches Manifest und die Zustimmung
des frühern Führers der Partei zu den darin niedergelegten Grundsätzen, auch
machte er bekannt, daß er einen Vvllstreckuugsausschuß gebildet habe. Seit
deu ersten Maitagen, besonders seit dem Beginn der Krisis im vorletzten
Ministerium, nahm die Bewegung einen noch leidenschaftlichem Charakter an,
und die drei großen Blätter der Hauptstadt, namentlich das Dmrio schürten
sie mit allein Eifer und größter Unverschämtheit. So machte die genannte
Zeitung u. a. zu der beabsichtigten Reise des Grafen von En, des Gemahls
der zukünftigen Kaiserin, der die Nvrdprvvinzen besuchen sollte, die freche Be¬
merkung, er werde damit zu spät kommen und nichts ausrichten, weil die Dy¬
nastie diese und andre Teile des Reiches bereits für immer verloren habe. Kurz
vorher hatte dasselbe Blatt seinen Lesern auseinandergesetzt, daß der Zusammen¬
sturz der Monarchie unvermeidlich geworden sei. In der 6^vtg, aber stand
um dieselbe Zeit die Ankündigung, noch im Laufe des Jahres werde in
Brasilien die Republik ausgerufen werden, und man könne zum ersten Präsi¬
denten derselben deu Staatsrat Saraiva empfehlen. Auch an die Mitglieder
des kaiserlichen Hauses, vorzüglich an den Grafen von En, traten die Ver¬
schwörer mit dreisten Kundgebungen ihrer Gesinnungen und Hoffnungen heran.
Als er als Protektor des Klubs der Volunwrios 6-r ?u,tria einer Versamm¬
lung desselben beigewohnt hatte, um dessen neuen Vorstand in sein Amt ein¬
zuführen, und bei seiner Entfernung deu Vorsaal durchschritt, wurde er mit dem
vielstimmigen Rufe: "Es lebe die Republik!" empfangen. Dabei ist zu be¬
merken, daß der Graf die Stellung eines Oberbefehlshabers der brasilianischen
Armee bekleidet, und daß die Versammlung großenteils aus aktiven und ver¬
abschiedeten Offizieren dieses Heeres bestand. Als er die Reise nach den Nord-
Provinzen antrat, die zunächst von Teilnahme an deren Heimsuchung durch
Dürre und Teuerung, dann aber allerdings auch von politischen Absichten
eingegeben war, stellte die Presse die letztern in den unwürdigsten Ausdrücken als
Persönliches Räukespiel dar, und die Führer der Republikaner gaben ihm einen
voll ihren Wanderprcdigern mit, der etwaigen Huldigungen durch seine Brand¬
reden entgegenwirken sollte. Im vorigen Sommer war die republikanische
Propaganda schon so weit gekommen, daß liberale Mitglieder des Abgeordneten-


Die Revolution in Brasilien

deuten der Fakultäten, sogar die Zöglinge des Kadettenhauses erklärten in
schwülstigen und hochtrabenden Adressen ihre Mißbilligung des Verfahrens der
Behörde. Die Propaganda schwoll so an Zahl und Selbstgefühl zusehends,
und die Leiter hielten am 30. April d. I. in Sav Paulo einen all¬
gemeinen Kongreß ab, der von jeder Provinz des Reiches mit fünf Abgeord¬
neten beschickt wurde, und auf dem man den Beschluß faßte, die Partei neu zu
organisiren und den Herausgeber des Blattes in Rio Janeiro, Quin-
tino Vveayuva, der jetzt im Ministerium der neuen Regierung die auswärtigen
Angelegenheiten besorgt, an die Spitze der Partei zu stellen. Bald nachher
veröffentlichte dieser ein langes, phrasenrciches Manifest und die Zustimmung
des frühern Führers der Partei zu den darin niedergelegten Grundsätzen, auch
machte er bekannt, daß er einen Vvllstreckuugsausschuß gebildet habe. Seit
deu ersten Maitagen, besonders seit dem Beginn der Krisis im vorletzten
Ministerium, nahm die Bewegung einen noch leidenschaftlichem Charakter an,
und die drei großen Blätter der Hauptstadt, namentlich das Dmrio schürten
sie mit allein Eifer und größter Unverschämtheit. So machte die genannte
Zeitung u. a. zu der beabsichtigten Reise des Grafen von En, des Gemahls
der zukünftigen Kaiserin, der die Nvrdprvvinzen besuchen sollte, die freche Be¬
merkung, er werde damit zu spät kommen und nichts ausrichten, weil die Dy¬
nastie diese und andre Teile des Reiches bereits für immer verloren habe. Kurz
vorher hatte dasselbe Blatt seinen Lesern auseinandergesetzt, daß der Zusammen¬
sturz der Monarchie unvermeidlich geworden sei. In der 6^vtg, aber stand
um dieselbe Zeit die Ankündigung, noch im Laufe des Jahres werde in
Brasilien die Republik ausgerufen werden, und man könne zum ersten Präsi¬
denten derselben deu Staatsrat Saraiva empfehlen. Auch an die Mitglieder
des kaiserlichen Hauses, vorzüglich an den Grafen von En, traten die Ver¬
schwörer mit dreisten Kundgebungen ihrer Gesinnungen und Hoffnungen heran.
Als er als Protektor des Klubs der Volunwrios 6-r ?u,tria einer Versamm¬
lung desselben beigewohnt hatte, um dessen neuen Vorstand in sein Amt ein¬
zuführen, und bei seiner Entfernung deu Vorsaal durchschritt, wurde er mit dem
vielstimmigen Rufe: „Es lebe die Republik!" empfangen. Dabei ist zu be¬
merken, daß der Graf die Stellung eines Oberbefehlshabers der brasilianischen
Armee bekleidet, und daß die Versammlung großenteils aus aktiven und ver¬
abschiedeten Offizieren dieses Heeres bestand. Als er die Reise nach den Nord-
Provinzen antrat, die zunächst von Teilnahme an deren Heimsuchung durch
Dürre und Teuerung, dann aber allerdings auch von politischen Absichten
eingegeben war, stellte die Presse die letztern in den unwürdigsten Ausdrücken als
Persönliches Räukespiel dar, und die Führer der Republikaner gaben ihm einen
voll ihren Wanderprcdigern mit, der etwaigen Huldigungen durch seine Brand¬
reden entgegenwirken sollte. Im vorigen Sommer war die republikanische
Propaganda schon so weit gekommen, daß liberale Mitglieder des Abgeordneten-


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[0439] Die Revolution in Brasilien deuten der Fakultäten, sogar die Zöglinge des Kadettenhauses erklärten in schwülstigen und hochtrabenden Adressen ihre Mißbilligung des Verfahrens der Behörde. Die Propaganda schwoll so an Zahl und Selbstgefühl zusehends, und die Leiter hielten am 30. April d. I. in Sav Paulo einen all¬ gemeinen Kongreß ab, der von jeder Provinz des Reiches mit fünf Abgeord¬ neten beschickt wurde, und auf dem man den Beschluß faßte, die Partei neu zu organisiren und den Herausgeber des Blattes in Rio Janeiro, Quin- tino Vveayuva, der jetzt im Ministerium der neuen Regierung die auswärtigen Angelegenheiten besorgt, an die Spitze der Partei zu stellen. Bald nachher veröffentlichte dieser ein langes, phrasenrciches Manifest und die Zustimmung des frühern Führers der Partei zu den darin niedergelegten Grundsätzen, auch machte er bekannt, daß er einen Vvllstreckuugsausschuß gebildet habe. Seit deu ersten Maitagen, besonders seit dem Beginn der Krisis im vorletzten Ministerium, nahm die Bewegung einen noch leidenschaftlichem Charakter an, und die drei großen Blätter der Hauptstadt, namentlich das Dmrio schürten sie mit allein Eifer und größter Unverschämtheit. So machte die genannte Zeitung u. a. zu der beabsichtigten Reise des Grafen von En, des Gemahls der zukünftigen Kaiserin, der die Nvrdprvvinzen besuchen sollte, die freche Be¬ merkung, er werde damit zu spät kommen und nichts ausrichten, weil die Dy¬ nastie diese und andre Teile des Reiches bereits für immer verloren habe. Kurz vorher hatte dasselbe Blatt seinen Lesern auseinandergesetzt, daß der Zusammen¬ sturz der Monarchie unvermeidlich geworden sei. In der 6^vtg, aber stand um dieselbe Zeit die Ankündigung, noch im Laufe des Jahres werde in Brasilien die Republik ausgerufen werden, und man könne zum ersten Präsi¬ denten derselben deu Staatsrat Saraiva empfehlen. Auch an die Mitglieder des kaiserlichen Hauses, vorzüglich an den Grafen von En, traten die Ver¬ schwörer mit dreisten Kundgebungen ihrer Gesinnungen und Hoffnungen heran. Als er als Protektor des Klubs der Volunwrios 6-r ?u,tria einer Versamm¬ lung desselben beigewohnt hatte, um dessen neuen Vorstand in sein Amt ein¬ zuführen, und bei seiner Entfernung deu Vorsaal durchschritt, wurde er mit dem vielstimmigen Rufe: „Es lebe die Republik!" empfangen. Dabei ist zu be¬ merken, daß der Graf die Stellung eines Oberbefehlshabers der brasilianischen Armee bekleidet, und daß die Versammlung großenteils aus aktiven und ver¬ abschiedeten Offizieren dieses Heeres bestand. Als er die Reise nach den Nord- Provinzen antrat, die zunächst von Teilnahme an deren Heimsuchung durch Dürre und Teuerung, dann aber allerdings auch von politischen Absichten eingegeben war, stellte die Presse die letztern in den unwürdigsten Ausdrücken als Persönliches Räukespiel dar, und die Führer der Republikaner gaben ihm einen voll ihren Wanderprcdigern mit, der etwaigen Huldigungen durch seine Brand¬ reden entgegenwirken sollte. Im vorigen Sommer war die republikanische Propaganda schon so weit gekommen, daß liberale Mitglieder des Abgeordneten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/439>, abgerufen am 02.07.2024.