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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Revolution in Brasilion

Hauses sich offen zu ihrer Sache bekannten, und daß ein bisheriger Konservativer
eine längere Rede mit dein Rufe schloß: "Nieder-mit der Monarchie! Es lebe
die Republik!" "Zur Vernhiguug ängstlicher Gemüter -- sagt die "Köl¬
nische Zeitung," deren Bericht über die Propaganda wir hier auszugsweise
mitteilen - die daran erinnerten, daß sie als Abgeordnete dem Kaiser und der
gegenwärtigen Dynastie Treue geschworen hätten, nahm man endlich im vorigen
Monat ein Gesetz an. wonach jeder Deputirte, der vor den Mitgliedern des
Bureaus erklärt, daß dieser Eid seinein Glauben und seinen politischen An¬
sichten zuwiderlaufe, von der Ableistung desselben zu entbinden sei."

Die Republikaner hatten viel erreicht, sie waren eine mächtige Partei ge¬
worden, sie konnten sich dicht vor ihrem Ziele glauben, und es steht fest, daß
sie schon vor vier Monaten in Paris die neuen grün und gelben Fahnen für
die brasilianische Republik bestellten, die sie auszurufen vorhatten. Dennoch
waren sie für sich allein noch keine solche Macht, die im Ernste zu fürchten
war, mehr lant und dreist als entschlossen, geschickte Wühler, aber keine Kämpfer.
Sie würden noch lange gebraucht haben, um so weit zu gelangen, daß sie der
Negierung den Handschuh hinwerfen konnten, wenn diese nicht den Kopf ver¬
loren hätte, und wenn nicht die bewaffnete Macht des Landes auf die Seite
der Verschwörer getreten wäre. Das scheint schon vor einiger Zeit im Werke
gewesen zu sein; denn General da Fonseca ist ein alter Verschwörer, der es
schon einmal mit einem Pronumiamento versuchte, aber damit kein Glück hatte
und nach der fernen Provinz Matto Grosso verbannt wurde. Vermutlich hat
er bald nach seiner Rückkehr von da, die Unzufriedenheit der Soldaten mit der
geringen Gunst, die ihnen der Kaiser erwies, und mit der niedrigen Rolle, die
das Heer spielte, benutzend, eine neue Meuterei angezettelt und sich zugleich
mit deu Führern der Republikaner in Verbindung gesetzt, die von da an größeres
Vertrauen auf den schließlichen Sieg um deu Tag legten. Er gab ihnen die
Stärke, deren sie trotz ihrer Zahl ermangelten, er wird sich wahrscheinlich ihrer
nur für eigne Zwecke bedient haben, und er wird, wenn es zur endgiltigen
Teilung der Beute kommt, den Löwenanteil beanspruchen. Advokaten, Litte¬
raten und Professoren gründen erfahruugsmüßig keine Staaten von Dauer,
wohl aber haben im Norden wie im Süden Amerikas wiederholt Generale recht
brauchbare Präsidenten von Republiken abgegeben. Wir erwarten als Schluß
der Revolution in Brasilien eine Militärdiktatur, worauf auch die Thatsache
hinweist, daß man zu Gouverneuren der neunzehn Provinzen des Laudes, die
sich nnn in ebenso viele Republiken unter einer Zentralbehörde nach dem
Muster der in Washington bestehenden verwandeln sollen, ausschließlich Offi¬
ziere ernannt worden sind.

Was die schließliche Wirkung der brasilischen Revolution auf Europa sein
wird, ist abzuwarten. Das deutsche Interesse berührt sie nicht; denn ein paar
Vörseujuden, die in brasilischen Papieren Geschäfte machen, kommen nicht in


Die Revolution in Brasilion

Hauses sich offen zu ihrer Sache bekannten, und daß ein bisheriger Konservativer
eine längere Rede mit dein Rufe schloß: „Nieder-mit der Monarchie! Es lebe
die Republik!" „Zur Vernhiguug ängstlicher Gemüter — sagt die „Köl¬
nische Zeitung," deren Bericht über die Propaganda wir hier auszugsweise
mitteilen - die daran erinnerten, daß sie als Abgeordnete dem Kaiser und der
gegenwärtigen Dynastie Treue geschworen hätten, nahm man endlich im vorigen
Monat ein Gesetz an. wonach jeder Deputirte, der vor den Mitgliedern des
Bureaus erklärt, daß dieser Eid seinein Glauben und seinen politischen An¬
sichten zuwiderlaufe, von der Ableistung desselben zu entbinden sei."

Die Republikaner hatten viel erreicht, sie waren eine mächtige Partei ge¬
worden, sie konnten sich dicht vor ihrem Ziele glauben, und es steht fest, daß
sie schon vor vier Monaten in Paris die neuen grün und gelben Fahnen für
die brasilianische Republik bestellten, die sie auszurufen vorhatten. Dennoch
waren sie für sich allein noch keine solche Macht, die im Ernste zu fürchten
war, mehr lant und dreist als entschlossen, geschickte Wühler, aber keine Kämpfer.
Sie würden noch lange gebraucht haben, um so weit zu gelangen, daß sie der
Negierung den Handschuh hinwerfen konnten, wenn diese nicht den Kopf ver¬
loren hätte, und wenn nicht die bewaffnete Macht des Landes auf die Seite
der Verschwörer getreten wäre. Das scheint schon vor einiger Zeit im Werke
gewesen zu sein; denn General da Fonseca ist ein alter Verschwörer, der es
schon einmal mit einem Pronumiamento versuchte, aber damit kein Glück hatte
und nach der fernen Provinz Matto Grosso verbannt wurde. Vermutlich hat
er bald nach seiner Rückkehr von da, die Unzufriedenheit der Soldaten mit der
geringen Gunst, die ihnen der Kaiser erwies, und mit der niedrigen Rolle, die
das Heer spielte, benutzend, eine neue Meuterei angezettelt und sich zugleich
mit deu Führern der Republikaner in Verbindung gesetzt, die von da an größeres
Vertrauen auf den schließlichen Sieg um deu Tag legten. Er gab ihnen die
Stärke, deren sie trotz ihrer Zahl ermangelten, er wird sich wahrscheinlich ihrer
nur für eigne Zwecke bedient haben, und er wird, wenn es zur endgiltigen
Teilung der Beute kommt, den Löwenanteil beanspruchen. Advokaten, Litte¬
raten und Professoren gründen erfahruugsmüßig keine Staaten von Dauer,
wohl aber haben im Norden wie im Süden Amerikas wiederholt Generale recht
brauchbare Präsidenten von Republiken abgegeben. Wir erwarten als Schluß
der Revolution in Brasilien eine Militärdiktatur, worauf auch die Thatsache
hinweist, daß man zu Gouverneuren der neunzehn Provinzen des Laudes, die
sich nnn in ebenso viele Republiken unter einer Zentralbehörde nach dem
Muster der in Washington bestehenden verwandeln sollen, ausschließlich Offi¬
ziere ernannt worden sind.

Was die schließliche Wirkung der brasilischen Revolution auf Europa sein
wird, ist abzuwarten. Das deutsche Interesse berührt sie nicht; denn ein paar
Vörseujuden, die in brasilischen Papieren Geschäfte machen, kommen nicht in


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[0440] Die Revolution in Brasilion Hauses sich offen zu ihrer Sache bekannten, und daß ein bisheriger Konservativer eine längere Rede mit dein Rufe schloß: „Nieder-mit der Monarchie! Es lebe die Republik!" „Zur Vernhiguug ängstlicher Gemüter — sagt die „Köl¬ nische Zeitung," deren Bericht über die Propaganda wir hier auszugsweise mitteilen - die daran erinnerten, daß sie als Abgeordnete dem Kaiser und der gegenwärtigen Dynastie Treue geschworen hätten, nahm man endlich im vorigen Monat ein Gesetz an. wonach jeder Deputirte, der vor den Mitgliedern des Bureaus erklärt, daß dieser Eid seinein Glauben und seinen politischen An¬ sichten zuwiderlaufe, von der Ableistung desselben zu entbinden sei." Die Republikaner hatten viel erreicht, sie waren eine mächtige Partei ge¬ worden, sie konnten sich dicht vor ihrem Ziele glauben, und es steht fest, daß sie schon vor vier Monaten in Paris die neuen grün und gelben Fahnen für die brasilianische Republik bestellten, die sie auszurufen vorhatten. Dennoch waren sie für sich allein noch keine solche Macht, die im Ernste zu fürchten war, mehr lant und dreist als entschlossen, geschickte Wühler, aber keine Kämpfer. Sie würden noch lange gebraucht haben, um so weit zu gelangen, daß sie der Negierung den Handschuh hinwerfen konnten, wenn diese nicht den Kopf ver¬ loren hätte, und wenn nicht die bewaffnete Macht des Landes auf die Seite der Verschwörer getreten wäre. Das scheint schon vor einiger Zeit im Werke gewesen zu sein; denn General da Fonseca ist ein alter Verschwörer, der es schon einmal mit einem Pronumiamento versuchte, aber damit kein Glück hatte und nach der fernen Provinz Matto Grosso verbannt wurde. Vermutlich hat er bald nach seiner Rückkehr von da, die Unzufriedenheit der Soldaten mit der geringen Gunst, die ihnen der Kaiser erwies, und mit der niedrigen Rolle, die das Heer spielte, benutzend, eine neue Meuterei angezettelt und sich zugleich mit deu Führern der Republikaner in Verbindung gesetzt, die von da an größeres Vertrauen auf den schließlichen Sieg um deu Tag legten. Er gab ihnen die Stärke, deren sie trotz ihrer Zahl ermangelten, er wird sich wahrscheinlich ihrer nur für eigne Zwecke bedient haben, und er wird, wenn es zur endgiltigen Teilung der Beute kommt, den Löwenanteil beanspruchen. Advokaten, Litte¬ raten und Professoren gründen erfahruugsmüßig keine Staaten von Dauer, wohl aber haben im Norden wie im Süden Amerikas wiederholt Generale recht brauchbare Präsidenten von Republiken abgegeben. Wir erwarten als Schluß der Revolution in Brasilien eine Militärdiktatur, worauf auch die Thatsache hinweist, daß man zu Gouverneuren der neunzehn Provinzen des Laudes, die sich nnn in ebenso viele Republiken unter einer Zentralbehörde nach dem Muster der in Washington bestehenden verwandeln sollen, ausschließlich Offi¬ ziere ernannt worden sind. Was die schließliche Wirkung der brasilischen Revolution auf Europa sein wird, ist abzuwarten. Das deutsche Interesse berührt sie nicht; denn ein paar Vörseujuden, die in brasilischen Papieren Geschäfte machen, kommen nicht in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/440>, abgerufen am 02.07.2024.