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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Revolution in Brasilion

Die Pflanze der Loyalität hatte eben noch nicht Zeit gehabt, zu kräftigem
Wachstum zu gelangen, da die Herrscherfamilie der Braganza erst ungefähr siebzig
Jahre den Thron innehatte. Der Staat Brasilien ist erst unter Napoleon I. ent¬
standen. Als dessen Heer Portugal überschwemmte, verlegte der König
Johann der Sechste seinen Sitz nach der Kolonie Brasilien und machte sie zu
einem Teile des portugiesischen Staates. Nach Beendigung der Wirren auf
der pyrenäischen Halbinsel kehrte er 1821 nach Lissabon zurück, indem er die
Regentschaft in seinen amerikanischen Besitzungen seinein Sohne Dom Pedro über¬
trug, der dann, als die dortige Nationalversammlung die Trennung Brasiliens von
Portugal ausgesprochen hatte, 1822 als Kaiser Dom Pedro der Erste den Thron
bestieg. Da er nach der Verfassung nicht zugleich die Krone von Portugal tragen
konnte, so übertrug er diese beim Ableben seines Vaters 1826 seiner Tochter Maria
da Gloria und blieb in Brasilien; doch dankte er hier infolge von Reibungen mit
der Landesvertretung am 7. April 18Z1 zu Gunsten seines damals siebenjährigen
Sohnes ab. Dieser wurde 1840 für volljährig erklärt, worauf er als Pedro
der Zweite die Regierung in Person übernahm und sich am 18. Juni 184t
krönen ließ. Er hat keine Kinder männlichen Geschlechts, und so war seine
Tochter Jsabella bisher Erbin des Thrones, die mit dem Grafen von En,
einem orleaniftischen Prinzen, vermählt ist und während der Reisen ihres Vaters
in Europa und während dessen bekannter langwieriger Krankheit als Regentin
Gelegenheit hatte, sich am öffentlichen Leben zu bethätigen, aber niemals beliebt
war, weil sie indem Rufe stand, es mit der klerikalen Partei zu halten. Diese war
es vorzüglich, welche die vorzeitige Aufhebung der Sklaverei im Mai 1888, wo
sie wieder einmal ihren Vater in der Regierung vertrat, betrieb und durchsetzte.
Die Ratgeber der Krone waren nicht im Unklaren darüber, daß man damit
einen sehr bedenklichen Schritt that, und ein Minister erklärte der Regentin
freimütig, die unbedingte Durchführung dieser vom Standpunkte menschenfreund¬
licher Theorie betrachtet zwar fehr ruhmwürdige, aber tief in die Interessen
weiter Kreise einschneidende Maßregel könne zu einer Gefahr für den Staat
und das Kaiserhaus werden. Die Prinzessin aber scheint ihn nicht begriffen zu
haben, und das ist nicht verwunderlich, da in beiden Häusern der Cortes, im
Senat und in der Abgeordnetenkammer, die Mehrheit der Beschleunigung des
Vefreiungswerkes geneigt war. Dieses erfolgte denn auch, aber nicht lauge
währte es, so zeigte es sich, daß mau damit einen groben Mißgriff gethan und
Tausende bisher wohlhabender Landwirte um einen erheblichen Teil ihres Be¬
sitzes gebracht hatte, beiläufig ganz dieselbe Folge der plötzlichen Abschaffung
der Sklaverei, die England vor Jahren in Jamaika, und dice die Regie¬
rung der nordamerikanischen Union während des Krieges mit den Südstaaten
versuchte. Ein Antrag, den Pflanzern eine Entschädigung zu bewilligen, wurde
von beiden Kammern der Landesvertretung zurückgewiesen, ja nicht einmal in
Beratung genommen. Dennoch schien es eine Zeitlang nicht zu einer größern


Die Revolution in Brasilion

Die Pflanze der Loyalität hatte eben noch nicht Zeit gehabt, zu kräftigem
Wachstum zu gelangen, da die Herrscherfamilie der Braganza erst ungefähr siebzig
Jahre den Thron innehatte. Der Staat Brasilien ist erst unter Napoleon I. ent¬
standen. Als dessen Heer Portugal überschwemmte, verlegte der König
Johann der Sechste seinen Sitz nach der Kolonie Brasilien und machte sie zu
einem Teile des portugiesischen Staates. Nach Beendigung der Wirren auf
der pyrenäischen Halbinsel kehrte er 1821 nach Lissabon zurück, indem er die
Regentschaft in seinen amerikanischen Besitzungen seinein Sohne Dom Pedro über¬
trug, der dann, als die dortige Nationalversammlung die Trennung Brasiliens von
Portugal ausgesprochen hatte, 1822 als Kaiser Dom Pedro der Erste den Thron
bestieg. Da er nach der Verfassung nicht zugleich die Krone von Portugal tragen
konnte, so übertrug er diese beim Ableben seines Vaters 1826 seiner Tochter Maria
da Gloria und blieb in Brasilien; doch dankte er hier infolge von Reibungen mit
der Landesvertretung am 7. April 18Z1 zu Gunsten seines damals siebenjährigen
Sohnes ab. Dieser wurde 1840 für volljährig erklärt, worauf er als Pedro
der Zweite die Regierung in Person übernahm und sich am 18. Juni 184t
krönen ließ. Er hat keine Kinder männlichen Geschlechts, und so war seine
Tochter Jsabella bisher Erbin des Thrones, die mit dem Grafen von En,
einem orleaniftischen Prinzen, vermählt ist und während der Reisen ihres Vaters
in Europa und während dessen bekannter langwieriger Krankheit als Regentin
Gelegenheit hatte, sich am öffentlichen Leben zu bethätigen, aber niemals beliebt
war, weil sie indem Rufe stand, es mit der klerikalen Partei zu halten. Diese war
es vorzüglich, welche die vorzeitige Aufhebung der Sklaverei im Mai 1888, wo
sie wieder einmal ihren Vater in der Regierung vertrat, betrieb und durchsetzte.
Die Ratgeber der Krone waren nicht im Unklaren darüber, daß man damit
einen sehr bedenklichen Schritt that, und ein Minister erklärte der Regentin
freimütig, die unbedingte Durchführung dieser vom Standpunkte menschenfreund¬
licher Theorie betrachtet zwar fehr ruhmwürdige, aber tief in die Interessen
weiter Kreise einschneidende Maßregel könne zu einer Gefahr für den Staat
und das Kaiserhaus werden. Die Prinzessin aber scheint ihn nicht begriffen zu
haben, und das ist nicht verwunderlich, da in beiden Häusern der Cortes, im
Senat und in der Abgeordnetenkammer, die Mehrheit der Beschleunigung des
Vefreiungswerkes geneigt war. Dieses erfolgte denn auch, aber nicht lauge
währte es, so zeigte es sich, daß mau damit einen groben Mißgriff gethan und
Tausende bisher wohlhabender Landwirte um einen erheblichen Teil ihres Be¬
sitzes gebracht hatte, beiläufig ganz dieselbe Folge der plötzlichen Abschaffung
der Sklaverei, die England vor Jahren in Jamaika, und dice die Regie¬
rung der nordamerikanischen Union während des Krieges mit den Südstaaten
versuchte. Ein Antrag, den Pflanzern eine Entschädigung zu bewilligen, wurde
von beiden Kammern der Landesvertretung zurückgewiesen, ja nicht einmal in
Beratung genommen. Dennoch schien es eine Zeitlang nicht zu einer größern


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[0437] Die Revolution in Brasilion Die Pflanze der Loyalität hatte eben noch nicht Zeit gehabt, zu kräftigem Wachstum zu gelangen, da die Herrscherfamilie der Braganza erst ungefähr siebzig Jahre den Thron innehatte. Der Staat Brasilien ist erst unter Napoleon I. ent¬ standen. Als dessen Heer Portugal überschwemmte, verlegte der König Johann der Sechste seinen Sitz nach der Kolonie Brasilien und machte sie zu einem Teile des portugiesischen Staates. Nach Beendigung der Wirren auf der pyrenäischen Halbinsel kehrte er 1821 nach Lissabon zurück, indem er die Regentschaft in seinen amerikanischen Besitzungen seinein Sohne Dom Pedro über¬ trug, der dann, als die dortige Nationalversammlung die Trennung Brasiliens von Portugal ausgesprochen hatte, 1822 als Kaiser Dom Pedro der Erste den Thron bestieg. Da er nach der Verfassung nicht zugleich die Krone von Portugal tragen konnte, so übertrug er diese beim Ableben seines Vaters 1826 seiner Tochter Maria da Gloria und blieb in Brasilien; doch dankte er hier infolge von Reibungen mit der Landesvertretung am 7. April 18Z1 zu Gunsten seines damals siebenjährigen Sohnes ab. Dieser wurde 1840 für volljährig erklärt, worauf er als Pedro der Zweite die Regierung in Person übernahm und sich am 18. Juni 184t krönen ließ. Er hat keine Kinder männlichen Geschlechts, und so war seine Tochter Jsabella bisher Erbin des Thrones, die mit dem Grafen von En, einem orleaniftischen Prinzen, vermählt ist und während der Reisen ihres Vaters in Europa und während dessen bekannter langwieriger Krankheit als Regentin Gelegenheit hatte, sich am öffentlichen Leben zu bethätigen, aber niemals beliebt war, weil sie indem Rufe stand, es mit der klerikalen Partei zu halten. Diese war es vorzüglich, welche die vorzeitige Aufhebung der Sklaverei im Mai 1888, wo sie wieder einmal ihren Vater in der Regierung vertrat, betrieb und durchsetzte. Die Ratgeber der Krone waren nicht im Unklaren darüber, daß man damit einen sehr bedenklichen Schritt that, und ein Minister erklärte der Regentin freimütig, die unbedingte Durchführung dieser vom Standpunkte menschenfreund¬ licher Theorie betrachtet zwar fehr ruhmwürdige, aber tief in die Interessen weiter Kreise einschneidende Maßregel könne zu einer Gefahr für den Staat und das Kaiserhaus werden. Die Prinzessin aber scheint ihn nicht begriffen zu haben, und das ist nicht verwunderlich, da in beiden Häusern der Cortes, im Senat und in der Abgeordnetenkammer, die Mehrheit der Beschleunigung des Vefreiungswerkes geneigt war. Dieses erfolgte denn auch, aber nicht lauge währte es, so zeigte es sich, daß mau damit einen groben Mißgriff gethan und Tausende bisher wohlhabender Landwirte um einen erheblichen Teil ihres Be¬ sitzes gebracht hatte, beiläufig ganz dieselbe Folge der plötzlichen Abschaffung der Sklaverei, die England vor Jahren in Jamaika, und dice die Regie¬ rung der nordamerikanischen Union während des Krieges mit den Südstaaten versuchte. Ein Antrag, den Pflanzern eine Entschädigung zu bewilligen, wurde von beiden Kammern der Landesvertretung zurückgewiesen, ja nicht einmal in Beratung genommen. Dennoch schien es eine Zeitlang nicht zu einer größern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/437>, abgerufen am 02.07.2024.