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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Revolution in Brasilien

war nach seiner Natur und Gewohnheit nur imstande, als anerkannter Herrscher,
als verfassungsmäßiger Monarch zu regieren. Die letzten Ursachen, die seinen
Sturz veranlaßten, sind uns nicht alle bekannt, aber die eine von ihnen
ist vollkommen klar. Es ist die weitverbreitete Unzufriedenheit der brasili¬
anischen Landwirte über die Schwierigkeiten, auf welche die Lösung der Arbeiter¬
frage gestoßen war. Brasilien hat viele Jahre in Blüte gestanden, als Neger¬
sklaven zum Betrieb seiner Pflanzungen verwendet wurden, die sich in dem
tropischen Lande am besten dazu eigneten, und selbst als die Sklaverei, bald
nach dem Kriege mit Paraguay, gesetzlich ausgehoben wurde, traten verderbliche
Folgen der Änderung nicht umittelbar zu tage, da die Befreiung der Schwarzen
eine allmähliche war, d. h. durch das Stadium des Lehrlingsverhältuisses,
halber Unabhängigkeit, hindurch gehen sollte. Wäre diese Zwischenzeit eine
kurze gewesen, so würden sich die Schwierigkeiten der Sache sogleich gezeigt
bilden, aber die Lehrlingsperiode war auf einundzwanzig Jahre bemessen, was,
wie man meinte, reichlich zur Ordnung des Verhältnisses genügte, das künftig
zwischen dem Grundbesitzer und seinen ländlichen Arbeitern bestehen sollte.
Diese Ordnung war jedoch im vorigen Jahre noch weit davon entfernt, her¬
gestellt zu sein, und die Pflanzer hatten allen Grund, in schweren Befürchtungen
dem Ablaufe der Verpflichtungen der schwarzen Lehrlinge entgegenzublicken, der
nach vier Jahren eintreten sollte. Arbeit, sagte man sich, wird dann schwer
und nur mit weit größern Kosten zu beschaffen sein als gegenwärtig. Das
aber wird bei dem jetzigen Stande der Dinge auf den Märkten der Welt den
Plantagenbau unvorteilhaft machen. Hat doch schon der Niedergang der Preise
vieler von den Haupterzeugnissen Brasiliens, z. B. des Kaffees, des Zuckers
und der Baumwolle, die Mehrzahl der Pflanzer verarmen lassen. Die Stimmung,
die sich daraus entwickelt hatte, war natürlich nicht geeignet, Begeisterung für
das Bestehende zu erwecken, und wenn es zu viel behaupten hieße, zu sagen,
die brasilianischen Großgrundbesitzer wären reif für die Revolution gewesen,
so wird man doch nicht zu weit gehen, wenn man annimmt, daß sie nicht
geneigt waren, sich irgendwie anzustrengen, um eine solche mißlingen zu macheu.
Es war daher eine verhängnisvolle Übereilung, wem? man die Sklaverei schon
am 13. Mai vorigen Jahres für aufgehoben erklärte. Fügen wir hinzu, daß
die Staatsschuld und die Steuerlast in den letzten Jahren erheblich gestiegen
sind, und daß der gewaltige materielle Aufschwung, den die Nachbarrepnbliken
Uruguay und Argentinien in der jüngsten Zeit genommen haben, als unbe¬
merkte, aber sehr wirksame republikanische Propaganda sich geltend machen
mußte, so sehen wir mehr als genügende Gründe zu der Unzufriedenheit vor
uns, aus der sich erfolgreiche Revolutionen zu entwickeln Pflegen. Schließlich
ist noch ein Umstand zu beachten: der Mangel des Segens, den alte Dynastien
für die konservative Sache haben. Es gab, als die Empörung ausbrach, kaum
irgendwo in Brasilien eine tiefgehende Anhänglichkeit an das regierende Haus.


Die Revolution in Brasilien

war nach seiner Natur und Gewohnheit nur imstande, als anerkannter Herrscher,
als verfassungsmäßiger Monarch zu regieren. Die letzten Ursachen, die seinen
Sturz veranlaßten, sind uns nicht alle bekannt, aber die eine von ihnen
ist vollkommen klar. Es ist die weitverbreitete Unzufriedenheit der brasili¬
anischen Landwirte über die Schwierigkeiten, auf welche die Lösung der Arbeiter¬
frage gestoßen war. Brasilien hat viele Jahre in Blüte gestanden, als Neger¬
sklaven zum Betrieb seiner Pflanzungen verwendet wurden, die sich in dem
tropischen Lande am besten dazu eigneten, und selbst als die Sklaverei, bald
nach dem Kriege mit Paraguay, gesetzlich ausgehoben wurde, traten verderbliche
Folgen der Änderung nicht umittelbar zu tage, da die Befreiung der Schwarzen
eine allmähliche war, d. h. durch das Stadium des Lehrlingsverhältuisses,
halber Unabhängigkeit, hindurch gehen sollte. Wäre diese Zwischenzeit eine
kurze gewesen, so würden sich die Schwierigkeiten der Sache sogleich gezeigt
bilden, aber die Lehrlingsperiode war auf einundzwanzig Jahre bemessen, was,
wie man meinte, reichlich zur Ordnung des Verhältnisses genügte, das künftig
zwischen dem Grundbesitzer und seinen ländlichen Arbeitern bestehen sollte.
Diese Ordnung war jedoch im vorigen Jahre noch weit davon entfernt, her¬
gestellt zu sein, und die Pflanzer hatten allen Grund, in schweren Befürchtungen
dem Ablaufe der Verpflichtungen der schwarzen Lehrlinge entgegenzublicken, der
nach vier Jahren eintreten sollte. Arbeit, sagte man sich, wird dann schwer
und nur mit weit größern Kosten zu beschaffen sein als gegenwärtig. Das
aber wird bei dem jetzigen Stande der Dinge auf den Märkten der Welt den
Plantagenbau unvorteilhaft machen. Hat doch schon der Niedergang der Preise
vieler von den Haupterzeugnissen Brasiliens, z. B. des Kaffees, des Zuckers
und der Baumwolle, die Mehrzahl der Pflanzer verarmen lassen. Die Stimmung,
die sich daraus entwickelt hatte, war natürlich nicht geeignet, Begeisterung für
das Bestehende zu erwecken, und wenn es zu viel behaupten hieße, zu sagen,
die brasilianischen Großgrundbesitzer wären reif für die Revolution gewesen,
so wird man doch nicht zu weit gehen, wenn man annimmt, daß sie nicht
geneigt waren, sich irgendwie anzustrengen, um eine solche mißlingen zu macheu.
Es war daher eine verhängnisvolle Übereilung, wem? man die Sklaverei schon
am 13. Mai vorigen Jahres für aufgehoben erklärte. Fügen wir hinzu, daß
die Staatsschuld und die Steuerlast in den letzten Jahren erheblich gestiegen
sind, und daß der gewaltige materielle Aufschwung, den die Nachbarrepnbliken
Uruguay und Argentinien in der jüngsten Zeit genommen haben, als unbe¬
merkte, aber sehr wirksame republikanische Propaganda sich geltend machen
mußte, so sehen wir mehr als genügende Gründe zu der Unzufriedenheit vor
uns, aus der sich erfolgreiche Revolutionen zu entwickeln Pflegen. Schließlich
ist noch ein Umstand zu beachten: der Mangel des Segens, den alte Dynastien
für die konservative Sache haben. Es gab, als die Empörung ausbrach, kaum
irgendwo in Brasilien eine tiefgehende Anhänglichkeit an das regierende Haus.


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[0436] Die Revolution in Brasilien war nach seiner Natur und Gewohnheit nur imstande, als anerkannter Herrscher, als verfassungsmäßiger Monarch zu regieren. Die letzten Ursachen, die seinen Sturz veranlaßten, sind uns nicht alle bekannt, aber die eine von ihnen ist vollkommen klar. Es ist die weitverbreitete Unzufriedenheit der brasili¬ anischen Landwirte über die Schwierigkeiten, auf welche die Lösung der Arbeiter¬ frage gestoßen war. Brasilien hat viele Jahre in Blüte gestanden, als Neger¬ sklaven zum Betrieb seiner Pflanzungen verwendet wurden, die sich in dem tropischen Lande am besten dazu eigneten, und selbst als die Sklaverei, bald nach dem Kriege mit Paraguay, gesetzlich ausgehoben wurde, traten verderbliche Folgen der Änderung nicht umittelbar zu tage, da die Befreiung der Schwarzen eine allmähliche war, d. h. durch das Stadium des Lehrlingsverhältuisses, halber Unabhängigkeit, hindurch gehen sollte. Wäre diese Zwischenzeit eine kurze gewesen, so würden sich die Schwierigkeiten der Sache sogleich gezeigt bilden, aber die Lehrlingsperiode war auf einundzwanzig Jahre bemessen, was, wie man meinte, reichlich zur Ordnung des Verhältnisses genügte, das künftig zwischen dem Grundbesitzer und seinen ländlichen Arbeitern bestehen sollte. Diese Ordnung war jedoch im vorigen Jahre noch weit davon entfernt, her¬ gestellt zu sein, und die Pflanzer hatten allen Grund, in schweren Befürchtungen dem Ablaufe der Verpflichtungen der schwarzen Lehrlinge entgegenzublicken, der nach vier Jahren eintreten sollte. Arbeit, sagte man sich, wird dann schwer und nur mit weit größern Kosten zu beschaffen sein als gegenwärtig. Das aber wird bei dem jetzigen Stande der Dinge auf den Märkten der Welt den Plantagenbau unvorteilhaft machen. Hat doch schon der Niedergang der Preise vieler von den Haupterzeugnissen Brasiliens, z. B. des Kaffees, des Zuckers und der Baumwolle, die Mehrzahl der Pflanzer verarmen lassen. Die Stimmung, die sich daraus entwickelt hatte, war natürlich nicht geeignet, Begeisterung für das Bestehende zu erwecken, und wenn es zu viel behaupten hieße, zu sagen, die brasilianischen Großgrundbesitzer wären reif für die Revolution gewesen, so wird man doch nicht zu weit gehen, wenn man annimmt, daß sie nicht geneigt waren, sich irgendwie anzustrengen, um eine solche mißlingen zu macheu. Es war daher eine verhängnisvolle Übereilung, wem? man die Sklaverei schon am 13. Mai vorigen Jahres für aufgehoben erklärte. Fügen wir hinzu, daß die Staatsschuld und die Steuerlast in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind, und daß der gewaltige materielle Aufschwung, den die Nachbarrepnbliken Uruguay und Argentinien in der jüngsten Zeit genommen haben, als unbe¬ merkte, aber sehr wirksame republikanische Propaganda sich geltend machen mußte, so sehen wir mehr als genügende Gründe zu der Unzufriedenheit vor uns, aus der sich erfolgreiche Revolutionen zu entwickeln Pflegen. Schließlich ist noch ein Umstand zu beachten: der Mangel des Segens, den alte Dynastien für die konservative Sache haben. Es gab, als die Empörung ausbrach, kaum irgendwo in Brasilien eine tiefgehende Anhänglichkeit an das regierende Haus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/436>, abgerufen am 02.07.2024.