Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Allerhand Sprcichdummheiten

kommende ganz aparte Dummheiten, die niemand so leicht nachahmen wird.
Aber wer stellt die zahllosen Schnitzer an den Pranger, die gar nicht komisch
wirken, sondern nur ärgerlich, die zahllosen Abgeschmacktheiten, die alle Welt
jetzt für schon hält?

Vor einigen Jahren hat sich in Deutschland ein "Allgemeiner deutscher
Sprachverein" gebildet, der sich die Reinigung unsrer Sprache von entbehr¬
lichen Fremdwörtern zur Aufgabe gestellt hat, bereits Tausende von Mit¬
gliedern zählt und seine eigne Zeitschrift herausgiebt. Als die Gründung
dieses Vereins angeregt wurde, machten verschiedene Leute darauf aufmerksam,
daß, so wünschenswert es auch sei, einen Verein mit einem solchen Ziel ins
Leben zu rufen, doch eine andre Aufgabe mindestens ebenso dringend, ja
vielleicht noch dringender sei: die Aufgabe, der immer mehr zunehmenden
grammatischen und stilistischen Verwilderung unsrer Sprache zu steuern. Ob
ein Ladendiener lieber prinzipiell und momentan sagt statt grundsätzlich
und augenblicklich, ein Professor lieber Publikation, Argumentation,
Kontroverse, Resultat, Analogie, identisch, irrelevant, pvlemi-
siren sagt statt Veröffentlichung, Beweisführung, Streitfrage, Er¬
gebnis, Ähnlichkeit, übereinstimmend, unwesentlich, bekämpfen,
darauf kommt nicht gar so viel um, denn das entstellt nnr das Kleid
unsrer Sprache, nicht ihren Leib. Wirft man die fremden Wörter aus dem
Satze hinaus und setzt dafür die deutschen ein, so kann der Satz im übrigen
meist unverändert bleiben. Viel schlimmer sind z. B. die undeutschen Nach¬
ahmungen syntaktischer Erscheinungen aus fremden Sprachen. Welche
Fortschritte hat infolge der niederträchtige" Franzosennachäsferei der Genetiv-
schwnnd in unsrer Sprache schon gemacht! Die Anfänge des Mißbranches
liegen freilich weiter zurück (man denke an Ausdrücke wie Universität
Leipzig, Zirkus Renz, Villa Rolle, Cnfv Bauer), aber einen ge¬
radezu beängstigenden Umfang hat er doch erst in neuester Zeit angenommen.
Wie selten hört man noch einen vernünftigen Genetiv, wie Zinggs Hotel,
Schneiders Nachfolger! Alle Welt plärrt jetzt, die Franzosen nachäffend
(c,Kovc>ig,t, Kuelmrä und ähnliches), vom Antrag Richter, vom Fall Hume,
vom Hotel Hauffe, von der Direktion Stägemann, vom SnalBlüth-
ner, vom Konzert Arthur Friedheim, von der Bibliothek Julius
Krone u. s. w. Sogar die Bauern reden schon nicht mehr von der Zwen-
tauer Mühle, sondern von der Mühle Zwenkau. In Leipzig verschenkt
man Gose Nickau -- was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank
gebraut wird? Oder heißt der Brauer so? Deutsche Buchhandlungen und
Knnstanstalten schämen sich nicht, auf ihre Verlagswerke solchen Unsinn zu
setzen, wie Richard Eckstein Nachfolger, Ferdinand Ohlmann Ver¬
lagsbuchhandlung, Kunst- und Lichtdrnclanstalt Stengel und Mar¬
tert, und ähnliches. Solche Fremdwendnngen sind viel schlimmer als alle


Allerhand Sprcichdummheiten

kommende ganz aparte Dummheiten, die niemand so leicht nachahmen wird.
Aber wer stellt die zahllosen Schnitzer an den Pranger, die gar nicht komisch
wirken, sondern nur ärgerlich, die zahllosen Abgeschmacktheiten, die alle Welt
jetzt für schon hält?

Vor einigen Jahren hat sich in Deutschland ein „Allgemeiner deutscher
Sprachverein" gebildet, der sich die Reinigung unsrer Sprache von entbehr¬
lichen Fremdwörtern zur Aufgabe gestellt hat, bereits Tausende von Mit¬
gliedern zählt und seine eigne Zeitschrift herausgiebt. Als die Gründung
dieses Vereins angeregt wurde, machten verschiedene Leute darauf aufmerksam,
daß, so wünschenswert es auch sei, einen Verein mit einem solchen Ziel ins
Leben zu rufen, doch eine andre Aufgabe mindestens ebenso dringend, ja
vielleicht noch dringender sei: die Aufgabe, der immer mehr zunehmenden
grammatischen und stilistischen Verwilderung unsrer Sprache zu steuern. Ob
ein Ladendiener lieber prinzipiell und momentan sagt statt grundsätzlich
und augenblicklich, ein Professor lieber Publikation, Argumentation,
Kontroverse, Resultat, Analogie, identisch, irrelevant, pvlemi-
siren sagt statt Veröffentlichung, Beweisführung, Streitfrage, Er¬
gebnis, Ähnlichkeit, übereinstimmend, unwesentlich, bekämpfen,
darauf kommt nicht gar so viel um, denn das entstellt nnr das Kleid
unsrer Sprache, nicht ihren Leib. Wirft man die fremden Wörter aus dem
Satze hinaus und setzt dafür die deutschen ein, so kann der Satz im übrigen
meist unverändert bleiben. Viel schlimmer sind z. B. die undeutschen Nach¬
ahmungen syntaktischer Erscheinungen aus fremden Sprachen. Welche
Fortschritte hat infolge der niederträchtige» Franzosennachäsferei der Genetiv-
schwnnd in unsrer Sprache schon gemacht! Die Anfänge des Mißbranches
liegen freilich weiter zurück (man denke an Ausdrücke wie Universität
Leipzig, Zirkus Renz, Villa Rolle, Cnfv Bauer), aber einen ge¬
radezu beängstigenden Umfang hat er doch erst in neuester Zeit angenommen.
Wie selten hört man noch einen vernünftigen Genetiv, wie Zinggs Hotel,
Schneiders Nachfolger! Alle Welt plärrt jetzt, die Franzosen nachäffend
(c,Kovc>ig,t, Kuelmrä und ähnliches), vom Antrag Richter, vom Fall Hume,
vom Hotel Hauffe, von der Direktion Stägemann, vom SnalBlüth-
ner, vom Konzert Arthur Friedheim, von der Bibliothek Julius
Krone u. s. w. Sogar die Bauern reden schon nicht mehr von der Zwen-
tauer Mühle, sondern von der Mühle Zwenkau. In Leipzig verschenkt
man Gose Nickau — was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank
gebraut wird? Oder heißt der Brauer so? Deutsche Buchhandlungen und
Knnstanstalten schämen sich nicht, auf ihre Verlagswerke solchen Unsinn zu
setzen, wie Richard Eckstein Nachfolger, Ferdinand Ohlmann Ver¬
lagsbuchhandlung, Kunst- und Lichtdrnclanstalt Stengel und Mar¬
tert, und ähnliches. Solche Fremdwendnngen sind viel schlimmer als alle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206431"/>
          <fw type="header" place="top"> Allerhand Sprcichdummheiten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1476" prev="#ID_1475"> kommende ganz aparte Dummheiten, die niemand so leicht nachahmen wird.<lb/>
Aber wer stellt die zahllosen Schnitzer an den Pranger, die gar nicht komisch<lb/>
wirken, sondern nur ärgerlich, die zahllosen Abgeschmacktheiten, die alle Welt<lb/>
jetzt für schon hält?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1477" next="#ID_1478"> Vor einigen Jahren hat sich in Deutschland ein &#x201E;Allgemeiner deutscher<lb/>
Sprachverein" gebildet, der sich die Reinigung unsrer Sprache von entbehr¬<lb/>
lichen Fremdwörtern zur Aufgabe gestellt hat, bereits Tausende von Mit¬<lb/>
gliedern zählt und seine eigne Zeitschrift herausgiebt. Als die Gründung<lb/>
dieses Vereins angeregt wurde, machten verschiedene Leute darauf aufmerksam,<lb/>
daß, so wünschenswert es auch sei, einen Verein mit einem solchen Ziel ins<lb/>
Leben zu rufen, doch eine andre Aufgabe mindestens ebenso dringend, ja<lb/>
vielleicht noch dringender sei: die Aufgabe, der immer mehr zunehmenden<lb/>
grammatischen und stilistischen Verwilderung unsrer Sprache zu steuern. Ob<lb/>
ein Ladendiener lieber prinzipiell und momentan sagt statt grundsätzlich<lb/>
und augenblicklich, ein Professor lieber Publikation, Argumentation,<lb/>
Kontroverse, Resultat, Analogie, identisch, irrelevant, pvlemi-<lb/>
siren sagt statt Veröffentlichung, Beweisführung, Streitfrage, Er¬<lb/>
gebnis, Ähnlichkeit, übereinstimmend, unwesentlich, bekämpfen,<lb/>
darauf kommt nicht gar so viel um, denn das entstellt nnr das Kleid<lb/>
unsrer Sprache, nicht ihren Leib. Wirft man die fremden Wörter aus dem<lb/>
Satze hinaus und setzt dafür die deutschen ein, so kann der Satz im übrigen<lb/>
meist unverändert bleiben. Viel schlimmer sind z. B. die undeutschen Nach¬<lb/>
ahmungen syntaktischer Erscheinungen aus fremden Sprachen. Welche<lb/>
Fortschritte hat infolge der niederträchtige» Franzosennachäsferei der Genetiv-<lb/>
schwnnd in unsrer Sprache schon gemacht! Die Anfänge des Mißbranches<lb/>
liegen freilich weiter zurück (man denke an Ausdrücke wie Universität<lb/>
Leipzig, Zirkus Renz, Villa Rolle, Cnfv Bauer), aber einen ge¬<lb/>
radezu beängstigenden Umfang hat er doch erst in neuester Zeit angenommen.<lb/>
Wie selten hört man noch einen vernünftigen Genetiv, wie Zinggs Hotel,<lb/>
Schneiders Nachfolger! Alle Welt plärrt jetzt, die Franzosen nachäffend<lb/>
(c,Kovc&gt;ig,t, Kuelmrä und ähnliches), vom Antrag Richter, vom Fall Hume,<lb/>
vom Hotel Hauffe, von der Direktion Stägemann, vom SnalBlüth-<lb/>
ner, vom Konzert Arthur Friedheim, von der Bibliothek Julius<lb/>
Krone u. s. w. Sogar die Bauern reden schon nicht mehr von der Zwen-<lb/>
tauer Mühle, sondern von der Mühle Zwenkau. In Leipzig verschenkt<lb/>
man Gose Nickau &#x2014; was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank<lb/>
gebraut wird? Oder heißt der Brauer so? Deutsche Buchhandlungen und<lb/>
Knnstanstalten schämen sich nicht, auf ihre Verlagswerke solchen Unsinn zu<lb/>
setzen, wie Richard Eckstein Nachfolger, Ferdinand Ohlmann Ver¬<lb/>
lagsbuchhandlung, Kunst- und Lichtdrnclanstalt Stengel und Mar¬<lb/>
tert, und ähnliches.  Solche Fremdwendnngen sind viel schlimmer als alle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] Allerhand Sprcichdummheiten kommende ganz aparte Dummheiten, die niemand so leicht nachahmen wird. Aber wer stellt die zahllosen Schnitzer an den Pranger, die gar nicht komisch wirken, sondern nur ärgerlich, die zahllosen Abgeschmacktheiten, die alle Welt jetzt für schon hält? Vor einigen Jahren hat sich in Deutschland ein „Allgemeiner deutscher Sprachverein" gebildet, der sich die Reinigung unsrer Sprache von entbehr¬ lichen Fremdwörtern zur Aufgabe gestellt hat, bereits Tausende von Mit¬ gliedern zählt und seine eigne Zeitschrift herausgiebt. Als die Gründung dieses Vereins angeregt wurde, machten verschiedene Leute darauf aufmerksam, daß, so wünschenswert es auch sei, einen Verein mit einem solchen Ziel ins Leben zu rufen, doch eine andre Aufgabe mindestens ebenso dringend, ja vielleicht noch dringender sei: die Aufgabe, der immer mehr zunehmenden grammatischen und stilistischen Verwilderung unsrer Sprache zu steuern. Ob ein Ladendiener lieber prinzipiell und momentan sagt statt grundsätzlich und augenblicklich, ein Professor lieber Publikation, Argumentation, Kontroverse, Resultat, Analogie, identisch, irrelevant, pvlemi- siren sagt statt Veröffentlichung, Beweisführung, Streitfrage, Er¬ gebnis, Ähnlichkeit, übereinstimmend, unwesentlich, bekämpfen, darauf kommt nicht gar so viel um, denn das entstellt nnr das Kleid unsrer Sprache, nicht ihren Leib. Wirft man die fremden Wörter aus dem Satze hinaus und setzt dafür die deutschen ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert bleiben. Viel schlimmer sind z. B. die undeutschen Nach¬ ahmungen syntaktischer Erscheinungen aus fremden Sprachen. Welche Fortschritte hat infolge der niederträchtige» Franzosennachäsferei der Genetiv- schwnnd in unsrer Sprache schon gemacht! Die Anfänge des Mißbranches liegen freilich weiter zurück (man denke an Ausdrücke wie Universität Leipzig, Zirkus Renz, Villa Rolle, Cnfv Bauer), aber einen ge¬ radezu beängstigenden Umfang hat er doch erst in neuester Zeit angenommen. Wie selten hört man noch einen vernünftigen Genetiv, wie Zinggs Hotel, Schneiders Nachfolger! Alle Welt plärrt jetzt, die Franzosen nachäffend (c,Kovc>ig,t, Kuelmrä und ähnliches), vom Antrag Richter, vom Fall Hume, vom Hotel Hauffe, von der Direktion Stägemann, vom SnalBlüth- ner, vom Konzert Arthur Friedheim, von der Bibliothek Julius Krone u. s. w. Sogar die Bauern reden schon nicht mehr von der Zwen- tauer Mühle, sondern von der Mühle Zwenkau. In Leipzig verschenkt man Gose Nickau — was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank gebraut wird? Oder heißt der Brauer so? Deutsche Buchhandlungen und Knnstanstalten schämen sich nicht, auf ihre Verlagswerke solchen Unsinn zu setzen, wie Richard Eckstein Nachfolger, Ferdinand Ohlmann Ver¬ lagsbuchhandlung, Kunst- und Lichtdrnclanstalt Stengel und Mar¬ tert, und ähnliches. Solche Fremdwendnngen sind viel schlimmer als alle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/432>, abgerufen am 02.07.2024.