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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiteu

ebenso lebendig wie anderes Kunstinteresse auch - ^ aber belehren, überzeugen
würde keiner den andern, denn meist ist einer so unwissend wie der andre.
Da wendet man sich dann -- der Fall ist gnr nicht selten -- an die Redaktion
des Ortsblüttchens, die muß es ja wissen, und die schlichtet denn mich vom.
Dreifuße herab den Streit in ihrem "Briefkasten." Aber wie! -- Daß zu den
zehnen, die da beisammen saßen, ein elfter kommen könnte, der ihre zehn
Quartseitcn genau so stümperhaft und lächerlich fände, wie sie selbst unter
einander die gezeichneten Hunde und Pferde gefunden hatten, das kommt ihnen
nicht in den Sinn; Reden und Schreiben, zum Kuckuck! das haben sie doch alle
gelernt.

Aber auch Leute, die täglich von Berufs wegen mit der Feder zu thun
haben, haben oft keine Ahnung davon, was sie selbst und andre für Pfuscher
sind. Einige unsrer beliebtesten Modeschriftsteller der letzten zwei Jahrzehnte
hätten schon wegen der Sprachmißhaudluug, die sie sich fort und fort zu schulden
kommen lassen, nicht zu der Stellung gelangen dürfen, die sie einnehmen. Aber
wo liest man jemals in Kritiken eine Bemerkung über die Darstellungsweise,
die Sprache eines Schriftstellers? Auch das war früher anders. Wer Journale
aus dem Ende des vorigen und noch ans den ersten fünfzig Jahren unsers
Jahrhunderts kennt, wird Nüssen, daß damals in den Kritiken meist anch die
Sprache eines Buches beurteilt, daß besonders gelungene oder besonders fehler¬
hafte Stellen herausgehoben wurden. Obwohl damals im allgemeinen besser
geschrieben wurde als heute, es viel mehr Leute gab als heute, die richtig und
schon schreibe" konnten, wurde doch viel strenger über der Sprache gewacht,
es gab auch viel mehr Leute, die es beurteilen konnten, ob ein Buch gut ge¬
schrieben war oder nicht. Heute liest man auch bei dem schlechtesten, ich meine
dem schlechtest geschriebenen Buche höchst selten einmal ein Wort über die Dar¬
stellung. Alle Welt begnügt sich mit dem Inhalt. Ganz natürlich; der Re¬
zensent kann meist selber nicht beurteilen, wie schlecht das Buch geschrieben ist.
Gar nicht selten ist es mir sogar begegnet, daß in Vücherbesprcchuugen einzelne
Stellen als Proben besonders schöner Darstellung abgedruckt waren, die für
mich gerade ausreichte", die Bücher uicht zu lesen. Spricht wirklich einmal
ein sprachkundiger Rezensent offen einen Tadel ans, was geschieht dann? Der
Verfasser des Buches schreit über Pedanterie, Schulmeister", erklärt Verstöße
gegen die grammatische Regel und den guten Geschmack, die ihm nachgewiesen
werden, als seine stilistische "Eigenart" -- so heißes jetzt fein für Eigentüm¬
lichkeit --, die er sich nicht antasten und verkümmern lasse. Daß es eine sehr
deutliche, gar uicht zu verkennende Grenzlinie giebt ebenso zwischen Ordnungs-
uud Schönheitssinn und Pedanterie wie zwischen Lüderlichkeit und künstlerischer
Freiheit, davon will man nichts hören. Schnlknabenschnitzer und -- stilistische
"Eigenart"! Alle diese Sprachstümperei aber findet sich um bergehoch anf-
gehcinft in unsrer Zeitungssprache. Zum Zeitungsgewerbe drängt sich ja alles,


Allerhand Sprachdummheiteu

ebenso lebendig wie anderes Kunstinteresse auch - ^ aber belehren, überzeugen
würde keiner den andern, denn meist ist einer so unwissend wie der andre.
Da wendet man sich dann — der Fall ist gnr nicht selten — an die Redaktion
des Ortsblüttchens, die muß es ja wissen, und die schlichtet denn mich vom.
Dreifuße herab den Streit in ihrem „Briefkasten." Aber wie! — Daß zu den
zehnen, die da beisammen saßen, ein elfter kommen könnte, der ihre zehn
Quartseitcn genau so stümperhaft und lächerlich fände, wie sie selbst unter
einander die gezeichneten Hunde und Pferde gefunden hatten, das kommt ihnen
nicht in den Sinn; Reden und Schreiben, zum Kuckuck! das haben sie doch alle
gelernt.

Aber auch Leute, die täglich von Berufs wegen mit der Feder zu thun
haben, haben oft keine Ahnung davon, was sie selbst und andre für Pfuscher
sind. Einige unsrer beliebtesten Modeschriftsteller der letzten zwei Jahrzehnte
hätten schon wegen der Sprachmißhaudluug, die sie sich fort und fort zu schulden
kommen lassen, nicht zu der Stellung gelangen dürfen, die sie einnehmen. Aber
wo liest man jemals in Kritiken eine Bemerkung über die Darstellungsweise,
die Sprache eines Schriftstellers? Auch das war früher anders. Wer Journale
aus dem Ende des vorigen und noch ans den ersten fünfzig Jahren unsers
Jahrhunderts kennt, wird Nüssen, daß damals in den Kritiken meist anch die
Sprache eines Buches beurteilt, daß besonders gelungene oder besonders fehler¬
hafte Stellen herausgehoben wurden. Obwohl damals im allgemeinen besser
geschrieben wurde als heute, es viel mehr Leute gab als heute, die richtig und
schon schreibe» konnten, wurde doch viel strenger über der Sprache gewacht,
es gab auch viel mehr Leute, die es beurteilen konnten, ob ein Buch gut ge¬
schrieben war oder nicht. Heute liest man auch bei dem schlechtesten, ich meine
dem schlechtest geschriebenen Buche höchst selten einmal ein Wort über die Dar¬
stellung. Alle Welt begnügt sich mit dem Inhalt. Ganz natürlich; der Re¬
zensent kann meist selber nicht beurteilen, wie schlecht das Buch geschrieben ist.
Gar nicht selten ist es mir sogar begegnet, daß in Vücherbesprcchuugen einzelne
Stellen als Proben besonders schöner Darstellung abgedruckt waren, die für
mich gerade ausreichte«, die Bücher uicht zu lesen. Spricht wirklich einmal
ein sprachkundiger Rezensent offen einen Tadel ans, was geschieht dann? Der
Verfasser des Buches schreit über Pedanterie, Schulmeister«, erklärt Verstöße
gegen die grammatische Regel und den guten Geschmack, die ihm nachgewiesen
werden, als seine stilistische „Eigenart" — so heißes jetzt fein für Eigentüm¬
lichkeit —, die er sich nicht antasten und verkümmern lasse. Daß es eine sehr
deutliche, gar uicht zu verkennende Grenzlinie giebt ebenso zwischen Ordnungs-
uud Schönheitssinn und Pedanterie wie zwischen Lüderlichkeit und künstlerischer
Freiheit, davon will man nichts hören. Schnlknabenschnitzer und — stilistische
„Eigenart"! Alle diese Sprachstümperei aber findet sich um bergehoch anf-
gehcinft in unsrer Zeitungssprache. Zum Zeitungsgewerbe drängt sich ja alles,


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[0430] Allerhand Sprachdummheiteu ebenso lebendig wie anderes Kunstinteresse auch - ^ aber belehren, überzeugen würde keiner den andern, denn meist ist einer so unwissend wie der andre. Da wendet man sich dann — der Fall ist gnr nicht selten — an die Redaktion des Ortsblüttchens, die muß es ja wissen, und die schlichtet denn mich vom. Dreifuße herab den Streit in ihrem „Briefkasten." Aber wie! — Daß zu den zehnen, die da beisammen saßen, ein elfter kommen könnte, der ihre zehn Quartseitcn genau so stümperhaft und lächerlich fände, wie sie selbst unter einander die gezeichneten Hunde und Pferde gefunden hatten, das kommt ihnen nicht in den Sinn; Reden und Schreiben, zum Kuckuck! das haben sie doch alle gelernt. Aber auch Leute, die täglich von Berufs wegen mit der Feder zu thun haben, haben oft keine Ahnung davon, was sie selbst und andre für Pfuscher sind. Einige unsrer beliebtesten Modeschriftsteller der letzten zwei Jahrzehnte hätten schon wegen der Sprachmißhaudluug, die sie sich fort und fort zu schulden kommen lassen, nicht zu der Stellung gelangen dürfen, die sie einnehmen. Aber wo liest man jemals in Kritiken eine Bemerkung über die Darstellungsweise, die Sprache eines Schriftstellers? Auch das war früher anders. Wer Journale aus dem Ende des vorigen und noch ans den ersten fünfzig Jahren unsers Jahrhunderts kennt, wird Nüssen, daß damals in den Kritiken meist anch die Sprache eines Buches beurteilt, daß besonders gelungene oder besonders fehler¬ hafte Stellen herausgehoben wurden. Obwohl damals im allgemeinen besser geschrieben wurde als heute, es viel mehr Leute gab als heute, die richtig und schon schreibe» konnten, wurde doch viel strenger über der Sprache gewacht, es gab auch viel mehr Leute, die es beurteilen konnten, ob ein Buch gut ge¬ schrieben war oder nicht. Heute liest man auch bei dem schlechtesten, ich meine dem schlechtest geschriebenen Buche höchst selten einmal ein Wort über die Dar¬ stellung. Alle Welt begnügt sich mit dem Inhalt. Ganz natürlich; der Re¬ zensent kann meist selber nicht beurteilen, wie schlecht das Buch geschrieben ist. Gar nicht selten ist es mir sogar begegnet, daß in Vücherbesprcchuugen einzelne Stellen als Proben besonders schöner Darstellung abgedruckt waren, die für mich gerade ausreichte«, die Bücher uicht zu lesen. Spricht wirklich einmal ein sprachkundiger Rezensent offen einen Tadel ans, was geschieht dann? Der Verfasser des Buches schreit über Pedanterie, Schulmeister«, erklärt Verstöße gegen die grammatische Regel und den guten Geschmack, die ihm nachgewiesen werden, als seine stilistische „Eigenart" — so heißes jetzt fein für Eigentüm¬ lichkeit —, die er sich nicht antasten und verkümmern lasse. Daß es eine sehr deutliche, gar uicht zu verkennende Grenzlinie giebt ebenso zwischen Ordnungs- uud Schönheitssinn und Pedanterie wie zwischen Lüderlichkeit und künstlerischer Freiheit, davon will man nichts hören. Schnlknabenschnitzer und — stilistische „Eigenart"! Alle diese Sprachstümperei aber findet sich um bergehoch anf- gehcinft in unsrer Zeitungssprache. Zum Zeitungsgewerbe drängt sich ja alles,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/430>, abgerufen am 02.07.2024.