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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Mimstcr von Schleinitz trat daher sehr entschieden dagegen ans, hauptsächlich
aus dem Grunde, "weil dieser Antrag über den derartigen Standpunkt der
Regierung weit Hinansgreife."

Wenn man nüchtern und hausbacken nach Thatsachen urteilt und sich
nicht durch die Phrase beeinflussen läßt, so hätte man denken sollen, daß eine
Partei, die der Krone eine solche Adresse unterbreiten wollte, sich auch darüber
hätte klar sein müssen, daß zur Durchführung einer solchen Politik Preußen
nicht mir genullt, sondern auch in der Lage hätte sein müsse", den letzten
wehrfähigen Mann, das letzte Roß und den letztem Thaler dranzusetzen. Als
aber die Kommission deS Abgeordnetenhauses über die Militärvvrlage Bericht
erstattete, kam es ganz anders. Die Regierung hatte als Gesamtmehrbednrf für den
Militäretat rund 8 550 000 Thaler verlangt, darunter 8 150 000 Thaler für die
Reorganisation. Die Kommission beantragte, im Ordinarinm 075 000 Thaler
durch oben abgerundet) und im Extravrdinarinm 825 WO Thaler, zusammen
etwa Millionen, zu streichen. Hierdurch war eigentlich der Bruch zwischen
Regierung und Volksvertretung vollzogen, und der "Konflikt" offenkundig
geworden. Noch einmal wurde jedoch der Riß verkleistert und verklebt. Am
/'>1. Mai wurde mit einer Mehrheit von unreif Stimmen, darunter die der sieben
Minister, die damals noch gewählt worden, ein Antrag Kühnes angenommen,
wonach der Regierung überlassen wurde, von den gestrichenen Summen
750 000 Thaler wieder einzustellen und ans die verschiedenen Positionen zu
verteilen. Die Kosten für die Reorganisation wurden wiederum nur als
Extraordinarinm bewilligt. Noch an demselben Tage wurde der Landtag
geschlossen. Der Streitfall war zum zweitenmale verschleppt worden. Denn
die Reorganisation war durchgeführt und bestand, sie sollte und mußte dauernd
und endgiltig bestehen; darüber herrschten im Abgeordnetenhause ebenso wenige
Zweifel wie in den Negiernugskreisen.

Nur einige Tage darauf erblickte die sogenannte Fortschrittspartei, die sich
nach und nach aus einer Vereinigung von Abgeordneten, genannt "Jung-Litauen,"
gebildet hatte, förmlich und urkundlich das Licht der Welt. Es war das kein
bloßer Zufall; denn Fortschrittspartei und Konflikt sind unlöslich mit einander
verbunden, nicht bloß geschichtlich, sondern anch grundsätzlich. Dem Konflikte
verdankt sie ihre Entstehung, ans der anwachsenden Heftigkeit desselben beruhte
ihre Blütezeit, bei dein Erlöschen desselben, d. h. den: wirklichen, das nicht
herbeigeführt wurde durch die Erteilung der Indemnität, sondern dnrch die
Errichtung des neuen Reiches, verschwand sie fast bis zur Unauffindbarkeit;
so oft Aussicht vorhanden ist, einen neuen Konflikt herbeizuführen, tritt sie
wieder lebhafter in die Erscheinung, und sollte es den vereinigten Neichs-
uörglern gelingen, dieses Ziel zu erreichen, das sie so eifrig erstreben, fo können
wir vielleicht noch einmal den Jammerznstand erleben, worin die innere Politik
Preußens sich in den Jahren 1861--litt befunden hat. Hava Doris beim -n-ort-re!


Mimstcr von Schleinitz trat daher sehr entschieden dagegen ans, hauptsächlich
aus dem Grunde, „weil dieser Antrag über den derartigen Standpunkt der
Regierung weit Hinansgreife."

Wenn man nüchtern und hausbacken nach Thatsachen urteilt und sich
nicht durch die Phrase beeinflussen läßt, so hätte man denken sollen, daß eine
Partei, die der Krone eine solche Adresse unterbreiten wollte, sich auch darüber
hätte klar sein müssen, daß zur Durchführung einer solchen Politik Preußen
nicht mir genullt, sondern auch in der Lage hätte sein müsse», den letzten
wehrfähigen Mann, das letzte Roß und den letztem Thaler dranzusetzen. Als
aber die Kommission deS Abgeordnetenhauses über die Militärvvrlage Bericht
erstattete, kam es ganz anders. Die Regierung hatte als Gesamtmehrbednrf für den
Militäretat rund 8 550 000 Thaler verlangt, darunter 8 150 000 Thaler für die
Reorganisation. Die Kommission beantragte, im Ordinarinm 075 000 Thaler
durch oben abgerundet) und im Extravrdinarinm 825 WO Thaler, zusammen
etwa Millionen, zu streichen. Hierdurch war eigentlich der Bruch zwischen
Regierung und Volksvertretung vollzogen, und der „Konflikt" offenkundig
geworden. Noch einmal wurde jedoch der Riß verkleistert und verklebt. Am
/'>1. Mai wurde mit einer Mehrheit von unreif Stimmen, darunter die der sieben
Minister, die damals noch gewählt worden, ein Antrag Kühnes angenommen,
wonach der Regierung überlassen wurde, von den gestrichenen Summen
750 000 Thaler wieder einzustellen und ans die verschiedenen Positionen zu
verteilen. Die Kosten für die Reorganisation wurden wiederum nur als
Extraordinarinm bewilligt. Noch an demselben Tage wurde der Landtag
geschlossen. Der Streitfall war zum zweitenmale verschleppt worden. Denn
die Reorganisation war durchgeführt und bestand, sie sollte und mußte dauernd
und endgiltig bestehen; darüber herrschten im Abgeordnetenhause ebenso wenige
Zweifel wie in den Negiernugskreisen.

Nur einige Tage darauf erblickte die sogenannte Fortschrittspartei, die sich
nach und nach aus einer Vereinigung von Abgeordneten, genannt „Jung-Litauen,"
gebildet hatte, förmlich und urkundlich das Licht der Welt. Es war das kein
bloßer Zufall; denn Fortschrittspartei und Konflikt sind unlöslich mit einander
verbunden, nicht bloß geschichtlich, sondern anch grundsätzlich. Dem Konflikte
verdankt sie ihre Entstehung, ans der anwachsenden Heftigkeit desselben beruhte
ihre Blütezeit, bei dein Erlöschen desselben, d. h. den: wirklichen, das nicht
herbeigeführt wurde durch die Erteilung der Indemnität, sondern dnrch die
Errichtung des neuen Reiches, verschwand sie fast bis zur Unauffindbarkeit;
so oft Aussicht vorhanden ist, einen neuen Konflikt herbeizuführen, tritt sie
wieder lebhafter in die Erscheinung, und sollte es den vereinigten Neichs-
uörglern gelingen, dieses Ziel zu erreichen, das sie so eifrig erstreben, fo können
wir vielleicht noch einmal den Jammerznstand erleben, worin die innere Politik
Preußens sich in den Jahren 1861—litt befunden hat. Hava Doris beim -n-ort-re!


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[0422] Mimstcr von Schleinitz trat daher sehr entschieden dagegen ans, hauptsächlich aus dem Grunde, „weil dieser Antrag über den derartigen Standpunkt der Regierung weit Hinansgreife." Wenn man nüchtern und hausbacken nach Thatsachen urteilt und sich nicht durch die Phrase beeinflussen läßt, so hätte man denken sollen, daß eine Partei, die der Krone eine solche Adresse unterbreiten wollte, sich auch darüber hätte klar sein müssen, daß zur Durchführung einer solchen Politik Preußen nicht mir genullt, sondern auch in der Lage hätte sein müsse», den letzten wehrfähigen Mann, das letzte Roß und den letztem Thaler dranzusetzen. Als aber die Kommission deS Abgeordnetenhauses über die Militärvvrlage Bericht erstattete, kam es ganz anders. Die Regierung hatte als Gesamtmehrbednrf für den Militäretat rund 8 550 000 Thaler verlangt, darunter 8 150 000 Thaler für die Reorganisation. Die Kommission beantragte, im Ordinarinm 075 000 Thaler durch oben abgerundet) und im Extravrdinarinm 825 WO Thaler, zusammen etwa Millionen, zu streichen. Hierdurch war eigentlich der Bruch zwischen Regierung und Volksvertretung vollzogen, und der „Konflikt" offenkundig geworden. Noch einmal wurde jedoch der Riß verkleistert und verklebt. Am /'>1. Mai wurde mit einer Mehrheit von unreif Stimmen, darunter die der sieben Minister, die damals noch gewählt worden, ein Antrag Kühnes angenommen, wonach der Regierung überlassen wurde, von den gestrichenen Summen 750 000 Thaler wieder einzustellen und ans die verschiedenen Positionen zu verteilen. Die Kosten für die Reorganisation wurden wiederum nur als Extraordinarinm bewilligt. Noch an demselben Tage wurde der Landtag geschlossen. Der Streitfall war zum zweitenmale verschleppt worden. Denn die Reorganisation war durchgeführt und bestand, sie sollte und mußte dauernd und endgiltig bestehen; darüber herrschten im Abgeordnetenhause ebenso wenige Zweifel wie in den Negiernugskreisen. Nur einige Tage darauf erblickte die sogenannte Fortschrittspartei, die sich nach und nach aus einer Vereinigung von Abgeordneten, genannt „Jung-Litauen," gebildet hatte, förmlich und urkundlich das Licht der Welt. Es war das kein bloßer Zufall; denn Fortschrittspartei und Konflikt sind unlöslich mit einander verbunden, nicht bloß geschichtlich, sondern anch grundsätzlich. Dem Konflikte verdankt sie ihre Entstehung, ans der anwachsenden Heftigkeit desselben beruhte ihre Blütezeit, bei dein Erlöschen desselben, d. h. den: wirklichen, das nicht herbeigeführt wurde durch die Erteilung der Indemnität, sondern dnrch die Errichtung des neuen Reiches, verschwand sie fast bis zur Unauffindbarkeit; so oft Aussicht vorhanden ist, einen neuen Konflikt herbeizuführen, tritt sie wieder lebhafter in die Erscheinung, und sollte es den vereinigten Neichs- uörglern gelingen, dieses Ziel zu erreichen, das sie so eifrig erstreben, fo können wir vielleicht noch einmal den Jammerznstand erleben, worin die innere Politik Preußens sich in den Jahren 1861—litt befunden hat. Hava Doris beim -n-ort-re!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/422>, abgerufen am 22.12.2024.