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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstreit in Preußen

nach Ablauf derselben anch wieder zurückziehen. Die neuen Truppenkörper
waren aber endgiltig aufgestellt, und die Negierung war keineswegs geneigt,
sie etwa nach Jahresfrist wieder aufzulösen. Dieses Verhältnis war mmatürlich
und auf die Lauge der Zeit nicht haltbar; es konnte schließlich nur üble Folgen
haben. Zunächst freilich wurde das gute Einvernehmen nicht gestört. In der
Thronrede, mit der am 23. Mai der Landtag geschlossen wurde, dankte der
Prinzregeut für deu außerordentlichen Militärkredit, der einstimmig bewilligt
worden sei, und sprach dann die Hoffnung aus, "daß die Notwendigkeit
der Heeresreform endlich richtig gewürdigt und die Losung der zurückgestellten
Frage, deren Erledigung als ein unerläßliches Bedürfnis anerkannt sei, in
kürzester Frist gelingen werde."

Am 2. Januar 1861 bestieg Wilhelm I. den Thron, nachdem der Tod
den langen Leiden seines schwer heimgesuchten Bruders ein Ende gemacht
hatte. Am 14. Juni eröffnete er seinen ersten Landtag als König mit einer
Thronrede, in der wieder ein besondrer Nachdruck auf die Notwendigkeit der
Verstärkung des Heeres gelegt wurde, bei der jedoch die möglichste Sparsamkeit
angewandt werden sollte. Diesesmal schien es fast, als ob das Abgeordnetenhaus
der Regierung ein größeres Entgegenkommen zeigen wollte. Denn in der Adresse,
mit der die Thronrede beantwortet wurde, wird auch die deutsche Frage berührt.
Ju dem vorgeschlagenen Entwürfe, der schließlich auch angenommen wurde,
lautet die Hauptstelle: "Daß dann jnämlich bei einer Einigung Dentschlandss
Preußen die ihm durch seine Geschichte und seiue Machtverhältnisse gebührende
Stellung eingeräumt werde, ist eine Forderung, welche in dem unzertrennlichen
Interesse Deutschlands wie Preußens ihre Begründung findet." Der Abgeordnete
Stavenhagen hatte folgende Fassung vorgeschlagen: "Wir fühlen uns gedrungen,
unsre Überzeugung offen anzusprechen, daß eine Umgestaltung der Heeres¬
verfassung nur dann vollständig ihren Zweck erreichen kann, wenn die oberste
Führung des deutschen Heeres in Eurer Majestät königliche Hand gelegt wird.
Daß dann Preußen die ihm durch seine Geschichte nud seine Machtverhältnisse
gebührende Stellung an der Spitze des deutscheu Bundesstaates eingeräumt
werde, ist eine Forderung, welche in dem unzertrennlichen Interesse Deutsch¬
lands und Preußens ihre Begründung findet." Das war ein vollständiges
Politisches Programm in der deutschen Frage, ein Programm, dem jeder gute
Patriot ohne weiteres zustimmen konnte, aber auch ein Programm, das weder
Österreich noch die meisten Vnndesstanten jemals angenommen Hütten, ohne
daß die Verständigkeit desselben ihnen durch die ullwm, ratio rvM unwider-
leglich deutlich gemacht worden, d. h. ohne daß sie durch die unwiderstehliche
Gewalt der Waffe" dazu gezwungen worden wären. Die Entgegennahme einer
solchen Adresse durch die Regierung mußte ganz unzweifelhaft einen Bruch
Preußens mit Österreich und dem Bunde herbeiführen und konnte leicht der
lusus Kokil, werden, den man 1806 ziemlich schwierig auffinden mußte. Der


Der Verfassungsstreit in Preußen

nach Ablauf derselben anch wieder zurückziehen. Die neuen Truppenkörper
waren aber endgiltig aufgestellt, und die Negierung war keineswegs geneigt,
sie etwa nach Jahresfrist wieder aufzulösen. Dieses Verhältnis war mmatürlich
und auf die Lauge der Zeit nicht haltbar; es konnte schließlich nur üble Folgen
haben. Zunächst freilich wurde das gute Einvernehmen nicht gestört. In der
Thronrede, mit der am 23. Mai der Landtag geschlossen wurde, dankte der
Prinzregeut für deu außerordentlichen Militärkredit, der einstimmig bewilligt
worden sei, und sprach dann die Hoffnung aus, „daß die Notwendigkeit
der Heeresreform endlich richtig gewürdigt und die Losung der zurückgestellten
Frage, deren Erledigung als ein unerläßliches Bedürfnis anerkannt sei, in
kürzester Frist gelingen werde."

Am 2. Januar 1861 bestieg Wilhelm I. den Thron, nachdem der Tod
den langen Leiden seines schwer heimgesuchten Bruders ein Ende gemacht
hatte. Am 14. Juni eröffnete er seinen ersten Landtag als König mit einer
Thronrede, in der wieder ein besondrer Nachdruck auf die Notwendigkeit der
Verstärkung des Heeres gelegt wurde, bei der jedoch die möglichste Sparsamkeit
angewandt werden sollte. Diesesmal schien es fast, als ob das Abgeordnetenhaus
der Regierung ein größeres Entgegenkommen zeigen wollte. Denn in der Adresse,
mit der die Thronrede beantwortet wurde, wird auch die deutsche Frage berührt.
Ju dem vorgeschlagenen Entwürfe, der schließlich auch angenommen wurde,
lautet die Hauptstelle: „Daß dann jnämlich bei einer Einigung Dentschlandss
Preußen die ihm durch seine Geschichte und seiue Machtverhältnisse gebührende
Stellung eingeräumt werde, ist eine Forderung, welche in dem unzertrennlichen
Interesse Deutschlands wie Preußens ihre Begründung findet." Der Abgeordnete
Stavenhagen hatte folgende Fassung vorgeschlagen: „Wir fühlen uns gedrungen,
unsre Überzeugung offen anzusprechen, daß eine Umgestaltung der Heeres¬
verfassung nur dann vollständig ihren Zweck erreichen kann, wenn die oberste
Führung des deutschen Heeres in Eurer Majestät königliche Hand gelegt wird.
Daß dann Preußen die ihm durch seine Geschichte nud seine Machtverhältnisse
gebührende Stellung an der Spitze des deutscheu Bundesstaates eingeräumt
werde, ist eine Forderung, welche in dem unzertrennlichen Interesse Deutsch¬
lands und Preußens ihre Begründung findet." Das war ein vollständiges
Politisches Programm in der deutschen Frage, ein Programm, dem jeder gute
Patriot ohne weiteres zustimmen konnte, aber auch ein Programm, das weder
Österreich noch die meisten Vnndesstanten jemals angenommen Hütten, ohne
daß die Verständigkeit desselben ihnen durch die ullwm, ratio rvM unwider-
leglich deutlich gemacht worden, d. h. ohne daß sie durch die unwiderstehliche
Gewalt der Waffe» dazu gezwungen worden wären. Die Entgegennahme einer
solchen Adresse durch die Regierung mußte ganz unzweifelhaft einen Bruch
Preußens mit Österreich und dem Bunde herbeiführen und konnte leicht der
lusus Kokil, werden, den man 1806 ziemlich schwierig auffinden mußte. Der


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[0421] Der Verfassungsstreit in Preußen nach Ablauf derselben anch wieder zurückziehen. Die neuen Truppenkörper waren aber endgiltig aufgestellt, und die Negierung war keineswegs geneigt, sie etwa nach Jahresfrist wieder aufzulösen. Dieses Verhältnis war mmatürlich und auf die Lauge der Zeit nicht haltbar; es konnte schließlich nur üble Folgen haben. Zunächst freilich wurde das gute Einvernehmen nicht gestört. In der Thronrede, mit der am 23. Mai der Landtag geschlossen wurde, dankte der Prinzregeut für deu außerordentlichen Militärkredit, der einstimmig bewilligt worden sei, und sprach dann die Hoffnung aus, „daß die Notwendigkeit der Heeresreform endlich richtig gewürdigt und die Losung der zurückgestellten Frage, deren Erledigung als ein unerläßliches Bedürfnis anerkannt sei, in kürzester Frist gelingen werde." Am 2. Januar 1861 bestieg Wilhelm I. den Thron, nachdem der Tod den langen Leiden seines schwer heimgesuchten Bruders ein Ende gemacht hatte. Am 14. Juni eröffnete er seinen ersten Landtag als König mit einer Thronrede, in der wieder ein besondrer Nachdruck auf die Notwendigkeit der Verstärkung des Heeres gelegt wurde, bei der jedoch die möglichste Sparsamkeit angewandt werden sollte. Diesesmal schien es fast, als ob das Abgeordnetenhaus der Regierung ein größeres Entgegenkommen zeigen wollte. Denn in der Adresse, mit der die Thronrede beantwortet wurde, wird auch die deutsche Frage berührt. Ju dem vorgeschlagenen Entwürfe, der schließlich auch angenommen wurde, lautet die Hauptstelle: „Daß dann jnämlich bei einer Einigung Dentschlandss Preußen die ihm durch seine Geschichte und seiue Machtverhältnisse gebührende Stellung eingeräumt werde, ist eine Forderung, welche in dem unzertrennlichen Interesse Deutschlands wie Preußens ihre Begründung findet." Der Abgeordnete Stavenhagen hatte folgende Fassung vorgeschlagen: „Wir fühlen uns gedrungen, unsre Überzeugung offen anzusprechen, daß eine Umgestaltung der Heeres¬ verfassung nur dann vollständig ihren Zweck erreichen kann, wenn die oberste Führung des deutschen Heeres in Eurer Majestät königliche Hand gelegt wird. Daß dann Preußen die ihm durch seine Geschichte nud seine Machtverhältnisse gebührende Stellung an der Spitze des deutscheu Bundesstaates eingeräumt werde, ist eine Forderung, welche in dem unzertrennlichen Interesse Deutsch¬ lands und Preußens ihre Begründung findet." Das war ein vollständiges Politisches Programm in der deutschen Frage, ein Programm, dem jeder gute Patriot ohne weiteres zustimmen konnte, aber auch ein Programm, das weder Österreich noch die meisten Vnndesstanten jemals angenommen Hütten, ohne daß die Verständigkeit desselben ihnen durch die ullwm, ratio rvM unwider- leglich deutlich gemacht worden, d. h. ohne daß sie durch die unwiderstehliche Gewalt der Waffe» dazu gezwungen worden wären. Die Entgegennahme einer solchen Adresse durch die Regierung mußte ganz unzweifelhaft einen Bruch Preußens mit Österreich und dem Bunde herbeiführen und konnte leicht der lusus Kokil, werden, den man 1806 ziemlich schwierig auffinden mußte. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/421>, abgerufen am 02.07.2024.