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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstreit in Preußen

gewährte die ersten Mittel zur Reorganisation. Am 5. Dezember 185!) über¬
nahm Albrecht von Roon das Kriegsministerium. Sein Name wird ewig mit
der Umgestaltung unsers Kriegswesens aufs engste verknüpft bleiben. Am
12. Januar 1860 eröffnete der Prinzregent den Landtag mit einer Thronrede,
worin er die Notwendigkeit einer Reform der Heeresverfasfung ausführlich
begründete, und die Beseitigung der bei der Mobilmachung tiefempfundenen
Übelstände für seine Pflicht und sein Recht erklärte. Am Schlüsse heißt es
dann: "Es ist nicht die Absicht, mit dem Vermächtnisse einer großen Zeit zu
brechen. Die preußische Armee wird auch in Zukunft das preußische Volk in
Waffen sein. Es ist die Aufgabe, innerhalb der durch die Finanzkräfte des
Landes gezogenen Grenzen die überkommene Heeresverfasfung durch Verjüngung
ihrer Formell mit neuer Lebenskraft zu erfüllen. Gewähren Sie einer reiflichst
erwogenen, die bürgerlichen wie die militärischen Gesamtinteressen gleichmäßig
umfassenden Vorlage Ihre vorurteilsfreie Prüfung und Beistimmung. Sie wird
nach alleu Seiten hin Zeugnis geben von dem Vertrauen des Landes in meine
redlichen Absichten. Der Vertretung des Landes ist eine Maßregel von solcher
Bedeutung für den Schlitz und den Schirm, für die Größe und die Macht
des Vaterlandes noch nicht vorgelegt worden. Es gilt, die Geschicke des Vater¬
landes gegen die Wechselfälle der Zukunft sicher zu stellen."

Am 10. Februar 1860 wurde das neue Wehrgesetz dein Landtage vor¬
gelegt. Die Dienstzeit bei der Fahne wurde von zwei Jahren auf drei erhöht,
die in der Reserve auf sieben Jahre, während die in der Landwehr herabgesetzt
wurde; die unnatürliche Verbindung eines Linien- und eines Laudwehrregimentes
zu einer Brigade wurde aufgehoben. Bei weitem das wichtigste aber war die
bedeutende Vermehrung der stehenden Truppenkörper; 117 Bataillone, darunter
4 neue Gardeinfanterieregiinenter und 32 neue Linieniilfanterieregimenter, die
die Nummern 41--72 erhielten, wurden gebildet. Die Mittel hierzu sollte
eine neue Grundsteuer liefern. Damit war aber das Herrenhaus uicht ein¬
verstanden, und daran scheiterte schließlich das Zustandekommen des Gesetzes.
Daher stellte am 5. Mui die Regierung den Antrag, "zur Aufrechterhaltung
und Vervollständigung derjenigen Maßnahmen, welche für die fernere Kriegs¬
bereitschaft und erhöhte Streitbarkeit des Heeres erforderlich und auf den bis¬
herigen gesetzlichen Grundlagen thunlich sind, anßer den im gewöhnlichen Budget
bewilligten Mitteln für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. Juni 1861 neun
Millionen Thaler zu bewilligen," und zwar als ein Vertrauensvotum für die
Negierung. Dieser Antrag wurde am 15. Mai mit 315 gegen 2 Stimmen
angenommen. Hierin lag eigentlich schon der Keim zu dem Verfassnngsstreite,
dein sogenannten Konflikte; mau kann in diesem Falle das Fremdwort, das
sich so eingebürgert hat, nicht ganz vermeiden. Das Abgeordnetenhaus hatte
zwar die Vermehrung des Heeres uicht abgelehnt, hatte aber die Mittel dazu
nur als "Extravrdinarilnil" auf eine bestimmte Zeit bewilligt, konnte sie also


Der Verfassungsstreit in Preußen

gewährte die ersten Mittel zur Reorganisation. Am 5. Dezember 185!) über¬
nahm Albrecht von Roon das Kriegsministerium. Sein Name wird ewig mit
der Umgestaltung unsers Kriegswesens aufs engste verknüpft bleiben. Am
12. Januar 1860 eröffnete der Prinzregent den Landtag mit einer Thronrede,
worin er die Notwendigkeit einer Reform der Heeresverfasfung ausführlich
begründete, und die Beseitigung der bei der Mobilmachung tiefempfundenen
Übelstände für seine Pflicht und sein Recht erklärte. Am Schlüsse heißt es
dann: „Es ist nicht die Absicht, mit dem Vermächtnisse einer großen Zeit zu
brechen. Die preußische Armee wird auch in Zukunft das preußische Volk in
Waffen sein. Es ist die Aufgabe, innerhalb der durch die Finanzkräfte des
Landes gezogenen Grenzen die überkommene Heeresverfasfung durch Verjüngung
ihrer Formell mit neuer Lebenskraft zu erfüllen. Gewähren Sie einer reiflichst
erwogenen, die bürgerlichen wie die militärischen Gesamtinteressen gleichmäßig
umfassenden Vorlage Ihre vorurteilsfreie Prüfung und Beistimmung. Sie wird
nach alleu Seiten hin Zeugnis geben von dem Vertrauen des Landes in meine
redlichen Absichten. Der Vertretung des Landes ist eine Maßregel von solcher
Bedeutung für den Schlitz und den Schirm, für die Größe und die Macht
des Vaterlandes noch nicht vorgelegt worden. Es gilt, die Geschicke des Vater¬
landes gegen die Wechselfälle der Zukunft sicher zu stellen."

Am 10. Februar 1860 wurde das neue Wehrgesetz dein Landtage vor¬
gelegt. Die Dienstzeit bei der Fahne wurde von zwei Jahren auf drei erhöht,
die in der Reserve auf sieben Jahre, während die in der Landwehr herabgesetzt
wurde; die unnatürliche Verbindung eines Linien- und eines Laudwehrregimentes
zu einer Brigade wurde aufgehoben. Bei weitem das wichtigste aber war die
bedeutende Vermehrung der stehenden Truppenkörper; 117 Bataillone, darunter
4 neue Gardeinfanterieregiinenter und 32 neue Linieniilfanterieregimenter, die
die Nummern 41—72 erhielten, wurden gebildet. Die Mittel hierzu sollte
eine neue Grundsteuer liefern. Damit war aber das Herrenhaus uicht ein¬
verstanden, und daran scheiterte schließlich das Zustandekommen des Gesetzes.
Daher stellte am 5. Mui die Regierung den Antrag, „zur Aufrechterhaltung
und Vervollständigung derjenigen Maßnahmen, welche für die fernere Kriegs¬
bereitschaft und erhöhte Streitbarkeit des Heeres erforderlich und auf den bis¬
herigen gesetzlichen Grundlagen thunlich sind, anßer den im gewöhnlichen Budget
bewilligten Mitteln für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. Juni 1861 neun
Millionen Thaler zu bewilligen," und zwar als ein Vertrauensvotum für die
Negierung. Dieser Antrag wurde am 15. Mai mit 315 gegen 2 Stimmen
angenommen. Hierin lag eigentlich schon der Keim zu dem Verfassnngsstreite,
dein sogenannten Konflikte; mau kann in diesem Falle das Fremdwort, das
sich so eingebürgert hat, nicht ganz vermeiden. Das Abgeordnetenhaus hatte
zwar die Vermehrung des Heeres uicht abgelehnt, hatte aber die Mittel dazu
nur als „Extravrdinarilnil" auf eine bestimmte Zeit bewilligt, konnte sie also


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[0420] Der Verfassungsstreit in Preußen gewährte die ersten Mittel zur Reorganisation. Am 5. Dezember 185!) über¬ nahm Albrecht von Roon das Kriegsministerium. Sein Name wird ewig mit der Umgestaltung unsers Kriegswesens aufs engste verknüpft bleiben. Am 12. Januar 1860 eröffnete der Prinzregent den Landtag mit einer Thronrede, worin er die Notwendigkeit einer Reform der Heeresverfasfung ausführlich begründete, und die Beseitigung der bei der Mobilmachung tiefempfundenen Übelstände für seine Pflicht und sein Recht erklärte. Am Schlüsse heißt es dann: „Es ist nicht die Absicht, mit dem Vermächtnisse einer großen Zeit zu brechen. Die preußische Armee wird auch in Zukunft das preußische Volk in Waffen sein. Es ist die Aufgabe, innerhalb der durch die Finanzkräfte des Landes gezogenen Grenzen die überkommene Heeresverfasfung durch Verjüngung ihrer Formell mit neuer Lebenskraft zu erfüllen. Gewähren Sie einer reiflichst erwogenen, die bürgerlichen wie die militärischen Gesamtinteressen gleichmäßig umfassenden Vorlage Ihre vorurteilsfreie Prüfung und Beistimmung. Sie wird nach alleu Seiten hin Zeugnis geben von dem Vertrauen des Landes in meine redlichen Absichten. Der Vertretung des Landes ist eine Maßregel von solcher Bedeutung für den Schlitz und den Schirm, für die Größe und die Macht des Vaterlandes noch nicht vorgelegt worden. Es gilt, die Geschicke des Vater¬ landes gegen die Wechselfälle der Zukunft sicher zu stellen." Am 10. Februar 1860 wurde das neue Wehrgesetz dein Landtage vor¬ gelegt. Die Dienstzeit bei der Fahne wurde von zwei Jahren auf drei erhöht, die in der Reserve auf sieben Jahre, während die in der Landwehr herabgesetzt wurde; die unnatürliche Verbindung eines Linien- und eines Laudwehrregimentes zu einer Brigade wurde aufgehoben. Bei weitem das wichtigste aber war die bedeutende Vermehrung der stehenden Truppenkörper; 117 Bataillone, darunter 4 neue Gardeinfanterieregiinenter und 32 neue Linieniilfanterieregimenter, die die Nummern 41—72 erhielten, wurden gebildet. Die Mittel hierzu sollte eine neue Grundsteuer liefern. Damit war aber das Herrenhaus uicht ein¬ verstanden, und daran scheiterte schließlich das Zustandekommen des Gesetzes. Daher stellte am 5. Mui die Regierung den Antrag, „zur Aufrechterhaltung und Vervollständigung derjenigen Maßnahmen, welche für die fernere Kriegs¬ bereitschaft und erhöhte Streitbarkeit des Heeres erforderlich und auf den bis¬ herigen gesetzlichen Grundlagen thunlich sind, anßer den im gewöhnlichen Budget bewilligten Mitteln für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. Juni 1861 neun Millionen Thaler zu bewilligen," und zwar als ein Vertrauensvotum für die Negierung. Dieser Antrag wurde am 15. Mai mit 315 gegen 2 Stimmen angenommen. Hierin lag eigentlich schon der Keim zu dem Verfassnngsstreite, dein sogenannten Konflikte; mau kann in diesem Falle das Fremdwort, das sich so eingebürgert hat, nicht ganz vermeiden. Das Abgeordnetenhaus hatte zwar die Vermehrung des Heeres uicht abgelehnt, hatte aber die Mittel dazu nur als „Extravrdinarilnil" auf eine bestimmte Zeit bewilligt, konnte sie also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/420>, abgerufen am 02.07.2024.