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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Oclfassungsftreit in Prenszen

zuHeben und den alte" Absolutismus wiederherzustellen. Aber manche Ma߬
regeln des Ministeriums Manteuffel kauu mau reaktionär nennen, ohne im
geringsten von dem, Mas man jetzt Freisini? nennt, angekränkelt zu sein. Ich
rechne dahin nicht die Bildung einer ersten Kammer, des Herrenhauses, durch
Verordnung vom 12. Oktober 1854, wohl aber die Begünstigung der evan¬
gelischen Orthodoxie, die Gestaltung unzähliger ultramontaner Übergriffe, die
Aufhebung der Gemeinde- und Kreisvrganisation März 1850, die Ein-
führung der Schulregulative lind besonders die Wiederherstellung eines pri-
vilegirten Gerichtsstandes und der gutsherrlichen Polizeigewalt. Das am
27. September 1855 gewählte Abgeordnetenhaus nannte man wegen seiner
Gefügigkeit gegen die Negierung spottweise die Landratskammer. In der Haupt¬
sache freilich beweist diese ganze sogenannte Reaktion nur unwiderleglich, daß
die große Masse des Volkes, hoch und niedrig, der demokratischen Treibereien
und Hetzereien herzlich müde war, daß sie vor der Revolution und ihren ver¬
meintlichen Segnungen Ekel empfand, daß sie Ruhe, Frieden und Sicherheit
haben wollte, und daß sie glaubte, daß diese Güter doch besser durch die Re-
gierung gewahrt seien, als durch die redewütigen "Vvlksführer." Nach außen,
in deutschen sowohl wie in europäischen Fragen, nahm Preußen eine geradezu
klägliche Stellung ein. Einiges Nähere darüber findet der Leser in meinem
Buche "Vom alten. zum neuen Reich." Hier ist uicht der Ort, jene unerträg¬
lichen Deiuntiguugeu Preußens nochmals eingehender zu besprechen. Sie be¬
weisen aber schlagend, daß die Stellung unsers Staates wesentlich, ja fast
allein abhängt von seinem Monarchen und dessen Regierung, und daß
Kammerreden und Beschlüsse in dieser Beziehung herzlich wenig Bedeutung
haben.

Als der Prinz von Preußen, der nachmals Kaiser und König Wilhelm
der Siegreiche hieß, im Jahre 1858 endgiltig für seinen unheilbar erkrankten
Brilder die Regentschaft übernommen hatte, berief er das Ministerium! der
neuen Ära, dessen Vorsitzender der Fürst Karl Anton von Hoheuzvlleru-
Sigmariugeu war. In einer Ansprache um dieses Ministerium vom 8. No¬
vember d. I. kündigte der Prinzregent an, daß er eine gründliche Umgestal¬
tung des preußischen Heerwesens durchzuführen beabsichtige. Im Jahre 1859
wurden zu Gunsten des in Italien hart bedrängten Österreich sechs Armee¬
korps mobil gemacht, kamen jedoch uicht mehr zu thätiger Verwendung, da
der Kaiser von Österreich sich durch Napoleon zu dem übereilten Friedensschlusse
von Villafmuca hatte bereden lassen. Bei dieser Mobilmachung trat eine
Reihe von Mängeln, Unzuträglichkeiten und Übelstünden zu Tage, die es für
jeden Fachmann unwiderleglich bewiesen, daß eine Reorganisation der Kriegs-
verfassung unbedingt erforderlich war. Für die Mobilmachung gegen Frank¬
reich waren von den, Abgeordnetenhause sieben Millionen Thaler bewilligt
worden, von denen nur ein geringer Teil gebraucht war. Was übrig blieb,


Der Oclfassungsftreit in Prenszen

zuHeben und den alte» Absolutismus wiederherzustellen. Aber manche Ma߬
regeln des Ministeriums Manteuffel kauu mau reaktionär nennen, ohne im
geringsten von dem, Mas man jetzt Freisini? nennt, angekränkelt zu sein. Ich
rechne dahin nicht die Bildung einer ersten Kammer, des Herrenhauses, durch
Verordnung vom 12. Oktober 1854, wohl aber die Begünstigung der evan¬
gelischen Orthodoxie, die Gestaltung unzähliger ultramontaner Übergriffe, die
Aufhebung der Gemeinde- und Kreisvrganisation März 1850, die Ein-
führung der Schulregulative lind besonders die Wiederherstellung eines pri-
vilegirten Gerichtsstandes und der gutsherrlichen Polizeigewalt. Das am
27. September 1855 gewählte Abgeordnetenhaus nannte man wegen seiner
Gefügigkeit gegen die Negierung spottweise die Landratskammer. In der Haupt¬
sache freilich beweist diese ganze sogenannte Reaktion nur unwiderleglich, daß
die große Masse des Volkes, hoch und niedrig, der demokratischen Treibereien
und Hetzereien herzlich müde war, daß sie vor der Revolution und ihren ver¬
meintlichen Segnungen Ekel empfand, daß sie Ruhe, Frieden und Sicherheit
haben wollte, und daß sie glaubte, daß diese Güter doch besser durch die Re-
gierung gewahrt seien, als durch die redewütigen „Vvlksführer." Nach außen,
in deutschen sowohl wie in europäischen Fragen, nahm Preußen eine geradezu
klägliche Stellung ein. Einiges Nähere darüber findet der Leser in meinem
Buche „Vom alten. zum neuen Reich." Hier ist uicht der Ort, jene unerträg¬
lichen Deiuntiguugeu Preußens nochmals eingehender zu besprechen. Sie be¬
weisen aber schlagend, daß die Stellung unsers Staates wesentlich, ja fast
allein abhängt von seinem Monarchen und dessen Regierung, und daß
Kammerreden und Beschlüsse in dieser Beziehung herzlich wenig Bedeutung
haben.

Als der Prinz von Preußen, der nachmals Kaiser und König Wilhelm
der Siegreiche hieß, im Jahre 1858 endgiltig für seinen unheilbar erkrankten
Brilder die Regentschaft übernommen hatte, berief er das Ministerium! der
neuen Ära, dessen Vorsitzender der Fürst Karl Anton von Hoheuzvlleru-
Sigmariugeu war. In einer Ansprache um dieses Ministerium vom 8. No¬
vember d. I. kündigte der Prinzregent an, daß er eine gründliche Umgestal¬
tung des preußischen Heerwesens durchzuführen beabsichtige. Im Jahre 1859
wurden zu Gunsten des in Italien hart bedrängten Österreich sechs Armee¬
korps mobil gemacht, kamen jedoch uicht mehr zu thätiger Verwendung, da
der Kaiser von Österreich sich durch Napoleon zu dem übereilten Friedensschlusse
von Villafmuca hatte bereden lassen. Bei dieser Mobilmachung trat eine
Reihe von Mängeln, Unzuträglichkeiten und Übelstünden zu Tage, die es für
jeden Fachmann unwiderleglich bewiesen, daß eine Reorganisation der Kriegs-
verfassung unbedingt erforderlich war. Für die Mobilmachung gegen Frank¬
reich waren von den, Abgeordnetenhause sieben Millionen Thaler bewilligt
worden, von denen nur ein geringer Teil gebraucht war. Was übrig blieb,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/419>, abgerufen am 02.07.2024.