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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Reserveoffiziere

sprechen sie denn ihr Mißvergnügen überall aus und suchen das Ansehen der
Offiziere des Beurlaubtenstandes soviel wie möglich herunterzuziehen, um
wenigstens in der bürgerlichen Gesellschaft einen Unterschied nicht aufkommen
zu lassen.

Dieses zügellose Treiben in gewissen Blattern ist um so gefährlicher, als
dadurch im Volke die Achtung und das Vertrauen untergraben wird, das die
eingezogenen Mannschaften nicht allein im Kriegsfalle, sondern bei jeder mili¬
tärischen Übung den Reserve- und Landwehrvffizieren entgegenzubringen haben.
Wenn in der letzten Zeit Klagen über mangelhafte Leistungen einberufener
Offiziere laut geworden sind, so darf man nicht vergessen, das; gerade die
letzten Jahre eine Fülle von dienstlichen Neuerungen gebracht haben, die selbst
der Berufsoffizier nnr mit Anspannung aller Kräfte hat verarbeiten können.
Es giebt unter den Reserveoffiziere" -- und jeder billig deutende Kvmpngnie-
chef wird das rückhaltlos anerkennen -- sehr viele, die ihren militärischen Dienst
während der Übnngszeit mit derselben Tüchtigkeit und oft mit größer", Eifer
verrichten, als mancher junge Berufsoffizier.

Zum Soldaten und vor allem zum Offizier muß mau von Natur geschaffen
sein. Der langjährige Drill, den der Berufssoldat voraus hat, kam, wohl
wertvolle praktische Fertigkeiten geben; aber die hohen Eigenschaften, die den
Offizier thatsächlich ausmachen: Scharfblick, Willenskraft, Entschlossenheit, Aus¬
dauer und Ehrgefühl, sind doch im Grunde lediglich angeerbte Charakterzüge,
die nur schwer auf dem Kasernenhofe und noch weniger auf der Schulbank
anerzogen werden können -- sie müssen angeboren sein.

Die alte Scharnhorstsche Vorschrift über die Wahlen zum Offizier, in der
es heißt: "Einen Anspruch auf Offizierstellen sollen von nnn an in Friedens-
zeiten nur Kenntnisse und Bildung gewähren," hat beim Militär nach und
uach zu einer maßlosen Überschätzung unsrer modernen Schulweisheit und
Schulbildung geführt. Wer Gelegenheit gehabt hat, die Neigungen und Stim¬
mungen unter den jüngern Berufsoffizieren kennen zu lernen, von denen fast
alle eine höhere Schule durchgemacht haben, der wird sich alles Ernstes die
Frage vorlegen müssen, ob es denn vom militärischen Standpunkte wirklich
notwendig sei, von ihnen die Abitnrientenprüfnug zu verlangen, ob unsre
Sckondeleutuauts nicht schon zu viel tote Bücherweisheit besitzen, die ihnen
den ruhigen, klaren Blick trübt und in ihrem praktischen Beruf thatsächlich
mehr schadet als nützt. Denn diese sogenannte Bildung führt ans der einen
Seite leicht zu einen: gewissen geistigen Hochmut, der sich zu höherer Arbeit
berufen glaubt als zum Elementarunterricht der Rekruten, und hat auf der
andern Seite oft einen gründlichen Widerwillen vor jeder Beschäftigung mit
Büchern, vor jeder ernsthaften geistigen Arbeit zur Folge. Scharnhorst hat
unter "Kenntnissen und Bildung" zu seiner Zeit etwas ganz andres verstanden,
als man heutzutage anzunehmen gewohnt ist.


Unsre Reserveoffiziere

sprechen sie denn ihr Mißvergnügen überall aus und suchen das Ansehen der
Offiziere des Beurlaubtenstandes soviel wie möglich herunterzuziehen, um
wenigstens in der bürgerlichen Gesellschaft einen Unterschied nicht aufkommen
zu lassen.

Dieses zügellose Treiben in gewissen Blattern ist um so gefährlicher, als
dadurch im Volke die Achtung und das Vertrauen untergraben wird, das die
eingezogenen Mannschaften nicht allein im Kriegsfalle, sondern bei jeder mili¬
tärischen Übung den Reserve- und Landwehrvffizieren entgegenzubringen haben.
Wenn in der letzten Zeit Klagen über mangelhafte Leistungen einberufener
Offiziere laut geworden sind, so darf man nicht vergessen, das; gerade die
letzten Jahre eine Fülle von dienstlichen Neuerungen gebracht haben, die selbst
der Berufsoffizier nnr mit Anspannung aller Kräfte hat verarbeiten können.
Es giebt unter den Reserveoffiziere» — und jeder billig deutende Kvmpngnie-
chef wird das rückhaltlos anerkennen — sehr viele, die ihren militärischen Dienst
während der Übnngszeit mit derselben Tüchtigkeit und oft mit größer», Eifer
verrichten, als mancher junge Berufsoffizier.

Zum Soldaten und vor allem zum Offizier muß mau von Natur geschaffen
sein. Der langjährige Drill, den der Berufssoldat voraus hat, kam, wohl
wertvolle praktische Fertigkeiten geben; aber die hohen Eigenschaften, die den
Offizier thatsächlich ausmachen: Scharfblick, Willenskraft, Entschlossenheit, Aus¬
dauer und Ehrgefühl, sind doch im Grunde lediglich angeerbte Charakterzüge,
die nur schwer auf dem Kasernenhofe und noch weniger auf der Schulbank
anerzogen werden können — sie müssen angeboren sein.

Die alte Scharnhorstsche Vorschrift über die Wahlen zum Offizier, in der
es heißt: „Einen Anspruch auf Offizierstellen sollen von nnn an in Friedens-
zeiten nur Kenntnisse und Bildung gewähren," hat beim Militär nach und
uach zu einer maßlosen Überschätzung unsrer modernen Schulweisheit und
Schulbildung geführt. Wer Gelegenheit gehabt hat, die Neigungen und Stim¬
mungen unter den jüngern Berufsoffizieren kennen zu lernen, von denen fast
alle eine höhere Schule durchgemacht haben, der wird sich alles Ernstes die
Frage vorlegen müssen, ob es denn vom militärischen Standpunkte wirklich
notwendig sei, von ihnen die Abitnrientenprüfnug zu verlangen, ob unsre
Sckondeleutuauts nicht schon zu viel tote Bücherweisheit besitzen, die ihnen
den ruhigen, klaren Blick trübt und in ihrem praktischen Beruf thatsächlich
mehr schadet als nützt. Denn diese sogenannte Bildung führt ans der einen
Seite leicht zu einen: gewissen geistigen Hochmut, der sich zu höherer Arbeit
berufen glaubt als zum Elementarunterricht der Rekruten, und hat auf der
andern Seite oft einen gründlichen Widerwillen vor jeder Beschäftigung mit
Büchern, vor jeder ernsthaften geistigen Arbeit zur Folge. Scharnhorst hat
unter „Kenntnissen und Bildung" zu seiner Zeit etwas ganz andres verstanden,
als man heutzutage anzunehmen gewohnt ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/405>, abgerufen am 30.06.2024.