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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Reserveoffiziere

glaubt man denn, daß es z. B. dem Juristen oder Philologen zum Schaden
gereiche, wenn ihn der kameradschaftliche Verkehr mit einem Landwirt, einem
Baumeister oder einem Kaufmann zusammenführt? wenn er außer der Gerichts¬
oder Schulstube auch die Interessen, Bedürfnisse und Bestrebungen andrer
Berufskreise kennen lernt? Es giebt eine Schulbehörde, die für ihren Bezirk
mit Vorliebe Reserve- und Landwehrvffiziere anstellt; handelt sie unrichtig
oder gar ungerecht? Gewiß nicht, vielleicht hat sie erkannt, daß der militärische
Dienst für einen Lehrer in jeder Beziehung von vorteilhaften Folgen ist, daß,
dadurch wenigstens in einer Art dein wachsenden einseitigen Fachgelehrteu-
thnm, dein Krebsschaden unsrer höhern Schulen, entgegengearbeitet wird, dnrch
das unsre Lehrer statt zu vielseitig gebildeten Männern zu kurzatmigen Manege¬
reitern erzogen werden, die außerhalb ihrer gewohnten Reitbahn vom Pferde
fallen. Ja wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, der
Lehrerstand z.B. habe lediglich durch die Thatsache, daß gegenwärtig eine
auffallend große Zahl seiner Mitglieder dem Offizierstande angehört, eine ganz
andre Stellung gewonnen, als ihm vor dreißig Jahren thatsächlich eingeräumt
wurde. Und das bezieht sich mehr oder weniger auch auf alle andern Stände,
aus denen sich das Offizierkorps der Reserve und Landwehr rekrutirt.

Ist diese Hebung, Annäherung nud Vereinigung der gebildeten Klassen
kein Gewinn für unser nationales Leben? Den Ausländern füllt nu unsern
jungen Gelehrten und Beamten das frische, freudige Wesen auf, das kaltblütige,
entschlossene Handeln, die sichere Ruhe im Verkehr. Nicht mit Unrecht hat
man diese vorteilhafte Wandlung militärischen Einflüssen zugeschrieben.

Um so unverständlicher sind die vielfachen Angriffe der freisinnigen Presse
gegen den Reserveoffizier. Geradezu beleidigend ist es, wenn es in einer viel¬
gelesenen Provinzialzeitung heißt: "Schneidigkeit ist nicht nur die Haupttugend
des Reserveleutnants oder Büttels, sondern auch des Menschenfressers (es ist
von den kannibalischen Völkern auf dem Bismarckarchipel die Rede). Ja,
wer weiß, wozu diese schneidigen und hochbegabten Menschenfresser es noch
bringen können, seitdem sie in den Unterthauenverband des Beamte"- nud
Offizierparadieses eingetreten sind."

Was soll man zu solchen ebenso boshaften wie lächerlichen Angriffen sagen?
Aber diese fortwährenden, selbst in den kleinsten Winkelblättern fortgesetzten
Schmähungen des Reserveleutnants haben auch eine ernsthafte Seite. Sie
gehen gewöhnlich von Leuten aus, die dnrch irgendwelche Umstände während
ihrer einjährig-freiwilligen Dienstzeit, durch persönliche Untüchtigkeit oder un¬
günstige äußere Verhältnisse, in ihrer militärischen Laufbahn Schiffbruch gelitten
haben. Mit leicht begreiflicher Anwandlung des Neides schauen sie auf ihre
begünstigten frühern Kameraden, die als Offiziere laut ihres Patents "alle mit
dieser Charge verbundenen Prärogative und Gerechtsame genießen" und bei
jeder Kontrolversammlung ihre unmittelbaren Borgesetzten werden können. So


Unsre Reserveoffiziere

glaubt man denn, daß es z. B. dem Juristen oder Philologen zum Schaden
gereiche, wenn ihn der kameradschaftliche Verkehr mit einem Landwirt, einem
Baumeister oder einem Kaufmann zusammenführt? wenn er außer der Gerichts¬
oder Schulstube auch die Interessen, Bedürfnisse und Bestrebungen andrer
Berufskreise kennen lernt? Es giebt eine Schulbehörde, die für ihren Bezirk
mit Vorliebe Reserve- und Landwehrvffiziere anstellt; handelt sie unrichtig
oder gar ungerecht? Gewiß nicht, vielleicht hat sie erkannt, daß der militärische
Dienst für einen Lehrer in jeder Beziehung von vorteilhaften Folgen ist, daß,
dadurch wenigstens in einer Art dein wachsenden einseitigen Fachgelehrteu-
thnm, dein Krebsschaden unsrer höhern Schulen, entgegengearbeitet wird, dnrch
das unsre Lehrer statt zu vielseitig gebildeten Männern zu kurzatmigen Manege¬
reitern erzogen werden, die außerhalb ihrer gewohnten Reitbahn vom Pferde
fallen. Ja wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, der
Lehrerstand z.B. habe lediglich durch die Thatsache, daß gegenwärtig eine
auffallend große Zahl seiner Mitglieder dem Offizierstande angehört, eine ganz
andre Stellung gewonnen, als ihm vor dreißig Jahren thatsächlich eingeräumt
wurde. Und das bezieht sich mehr oder weniger auch auf alle andern Stände,
aus denen sich das Offizierkorps der Reserve und Landwehr rekrutirt.

Ist diese Hebung, Annäherung nud Vereinigung der gebildeten Klassen
kein Gewinn für unser nationales Leben? Den Ausländern füllt nu unsern
jungen Gelehrten und Beamten das frische, freudige Wesen auf, das kaltblütige,
entschlossene Handeln, die sichere Ruhe im Verkehr. Nicht mit Unrecht hat
man diese vorteilhafte Wandlung militärischen Einflüssen zugeschrieben.

Um so unverständlicher sind die vielfachen Angriffe der freisinnigen Presse
gegen den Reserveoffizier. Geradezu beleidigend ist es, wenn es in einer viel¬
gelesenen Provinzialzeitung heißt: „Schneidigkeit ist nicht nur die Haupttugend
des Reserveleutnants oder Büttels, sondern auch des Menschenfressers (es ist
von den kannibalischen Völkern auf dem Bismarckarchipel die Rede). Ja,
wer weiß, wozu diese schneidigen und hochbegabten Menschenfresser es noch
bringen können, seitdem sie in den Unterthauenverband des Beamte»- nud
Offizierparadieses eingetreten sind."

Was soll man zu solchen ebenso boshaften wie lächerlichen Angriffen sagen?
Aber diese fortwährenden, selbst in den kleinsten Winkelblättern fortgesetzten
Schmähungen des Reserveleutnants haben auch eine ernsthafte Seite. Sie
gehen gewöhnlich von Leuten aus, die dnrch irgendwelche Umstände während
ihrer einjährig-freiwilligen Dienstzeit, durch persönliche Untüchtigkeit oder un¬
günstige äußere Verhältnisse, in ihrer militärischen Laufbahn Schiffbruch gelitten
haben. Mit leicht begreiflicher Anwandlung des Neides schauen sie auf ihre
begünstigten frühern Kameraden, die als Offiziere laut ihres Patents „alle mit
dieser Charge verbundenen Prärogative und Gerechtsame genießen" und bei
jeder Kontrolversammlung ihre unmittelbaren Borgesetzten werden können. So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/404>, abgerufen am 02.07.2024.