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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Reserveoffiziere

erkennen glnnbt und sich berechtigt fühlt, nuf diese militärisch-bürgerliche
Zwittergestalt ihre giftigen Pfeile zu richten. Sie verstehen unter "Reserveoffizier"
einen Menschen, der alle Schattenseiten des modernen Offiziertnms angenommen
hat, ohne sie durch militärische Vorzüge auszugleichen z sie gehen so weit, daß
sie alle vermeintlichen Schäden und Gebrechen in unserm Beamtentum auf den
verderblichen Einfluß des Reserveoffiziers zurückführen. Das ungesunde Streber¬
tum, die selbstgefällige Schneidigkeit, "eilfertiges Kvminandireu, geschniegelte
Modesucht, verwegne Selbstherrlichkeit, protzige Selbstüberschätzung und brutale
Starrköpfigkeit" -- Charnkterzüge, die man an unsern jungen Beamten wahr¬
zunehmen glaubt, sie alle sollen von dem Reserveoffizier in die bürgerliche
Gesellschaft hinübergeschleppt worden sein und dort zum Entsetze" aller ver¬
ständigen Staatsbürger gepflegt werden. So heißt es an einer Stelle:
"Vollends wird man da nuf die Thorheit mit Fingern deuten müssen, wo sie
gefährlich wird. Das aber droht die "Schuldigkeit" bei den Beamten zu
werden. Hier finden wir die ausgebildetsten Exemplare der schneidigen. Sie
entstehen gemeiniglich durch den Reserveoffizier." Daß diese im Laude der all¬
gemeinen Wehrpflicht notwendige Einrichtung nicht nur eine hohe militärische
Bedeutung hat, sondern auch von unberechenbarem Vorteil für unser nationales
und gesellschaftliches Leben ist, übersehen oder verkennen jene Patrioten vollständig.

Unsere Zeit trägt den Stempel des Spezialistentums, aber auch der Ein¬
seitigkeit; Arbeitsfelder, von denen man früher keine Ahnung hatte, entstehen,
erweitern und teilen sich. Man denke an die naturwissenschaftlichen, die medi¬
zinischen, die philologisch-historischen Sondergebiete; man denke an die weiten
Verzweigungen der Landwirtschaft, der Berwaltungsfächer, der kaufmännischen
und industriellen Thätigkeit. Immer mehr schwinden die Berührungspunkte
unter den einzelnem Ständen, immer mehr sondern sich die scharf umschlossenen
Verufsklassen von einander ab. Sie bilden keine gemeinsamen Interessen, sie
verstehen einander nicht mehr. Jeder lebt in den enggezogenen Grenzen seines
Gewerbes und sucht hier zum eignen Schaden unter wachsender Nerständnis-
lvsigkeit für andre Bestrebungen seinen gesellschaftlichen Verkehr.

Eine solche immer unerträglicher werdende Kastenwirtschaft trägt aber nicht
dazu bei, den frischen Lebenszug, den gemeinsamen Geist, die Allgemeinbildung,
oder mit einem Worte eine gesunde fortschreitende Kultur in unsrer Nation
zu erhalten und zu kräftigem Wir behaupten, daß die militärische Einrichtung
der Reserveoffiziere, durch die Männer aller gebildeten Stunde zu einander
geführt und in hohen gemeinsamen Bestrebungen eng an einander geknüpft
werden, heutzutage fast die einzige Einrichtung sei, die jeuer verhängnisvollen
^Zersplitterung'unsrer Gesellschaft in lauter Einzelgewerbe und Parteigruppen
einen kräftigen Damm entgegenstellt.

Nirgends findet man eine so vielgestaltige, aus allen möglichen Ständen
zusammengesetzte Vereinigung wie im Reserve- und Landwehrkorps. Und


Unsre Reserveoffiziere

erkennen glnnbt und sich berechtigt fühlt, nuf diese militärisch-bürgerliche
Zwittergestalt ihre giftigen Pfeile zu richten. Sie verstehen unter „Reserveoffizier"
einen Menschen, der alle Schattenseiten des modernen Offiziertnms angenommen
hat, ohne sie durch militärische Vorzüge auszugleichen z sie gehen so weit, daß
sie alle vermeintlichen Schäden und Gebrechen in unserm Beamtentum auf den
verderblichen Einfluß des Reserveoffiziers zurückführen. Das ungesunde Streber¬
tum, die selbstgefällige Schneidigkeit, „eilfertiges Kvminandireu, geschniegelte
Modesucht, verwegne Selbstherrlichkeit, protzige Selbstüberschätzung und brutale
Starrköpfigkeit" — Charnkterzüge, die man an unsern jungen Beamten wahr¬
zunehmen glaubt, sie alle sollen von dem Reserveoffizier in die bürgerliche
Gesellschaft hinübergeschleppt worden sein und dort zum Entsetze» aller ver¬
ständigen Staatsbürger gepflegt werden. So heißt es an einer Stelle:
„Vollends wird man da nuf die Thorheit mit Fingern deuten müssen, wo sie
gefährlich wird. Das aber droht die „Schuldigkeit" bei den Beamten zu
werden. Hier finden wir die ausgebildetsten Exemplare der schneidigen. Sie
entstehen gemeiniglich durch den Reserveoffizier." Daß diese im Laude der all¬
gemeinen Wehrpflicht notwendige Einrichtung nicht nur eine hohe militärische
Bedeutung hat, sondern auch von unberechenbarem Vorteil für unser nationales
und gesellschaftliches Leben ist, übersehen oder verkennen jene Patrioten vollständig.

Unsere Zeit trägt den Stempel des Spezialistentums, aber auch der Ein¬
seitigkeit; Arbeitsfelder, von denen man früher keine Ahnung hatte, entstehen,
erweitern und teilen sich. Man denke an die naturwissenschaftlichen, die medi¬
zinischen, die philologisch-historischen Sondergebiete; man denke an die weiten
Verzweigungen der Landwirtschaft, der Berwaltungsfächer, der kaufmännischen
und industriellen Thätigkeit. Immer mehr schwinden die Berührungspunkte
unter den einzelnem Ständen, immer mehr sondern sich die scharf umschlossenen
Verufsklassen von einander ab. Sie bilden keine gemeinsamen Interessen, sie
verstehen einander nicht mehr. Jeder lebt in den enggezogenen Grenzen seines
Gewerbes und sucht hier zum eignen Schaden unter wachsender Nerständnis-
lvsigkeit für andre Bestrebungen seinen gesellschaftlichen Verkehr.

Eine solche immer unerträglicher werdende Kastenwirtschaft trägt aber nicht
dazu bei, den frischen Lebenszug, den gemeinsamen Geist, die Allgemeinbildung,
oder mit einem Worte eine gesunde fortschreitende Kultur in unsrer Nation
zu erhalten und zu kräftigem Wir behaupten, daß die militärische Einrichtung
der Reserveoffiziere, durch die Männer aller gebildeten Stunde zu einander
geführt und in hohen gemeinsamen Bestrebungen eng an einander geknüpft
werden, heutzutage fast die einzige Einrichtung sei, die jeuer verhängnisvollen
^Zersplitterung'unsrer Gesellschaft in lauter Einzelgewerbe und Parteigruppen
einen kräftigen Damm entgegenstellt.

Nirgends findet man eine so vielgestaltige, aus allen möglichen Ständen
zusammengesetzte Vereinigung wie im Reserve- und Landwehrkorps. Und


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[0403] Unsre Reserveoffiziere erkennen glnnbt und sich berechtigt fühlt, nuf diese militärisch-bürgerliche Zwittergestalt ihre giftigen Pfeile zu richten. Sie verstehen unter „Reserveoffizier" einen Menschen, der alle Schattenseiten des modernen Offiziertnms angenommen hat, ohne sie durch militärische Vorzüge auszugleichen z sie gehen so weit, daß sie alle vermeintlichen Schäden und Gebrechen in unserm Beamtentum auf den verderblichen Einfluß des Reserveoffiziers zurückführen. Das ungesunde Streber¬ tum, die selbstgefällige Schneidigkeit, „eilfertiges Kvminandireu, geschniegelte Modesucht, verwegne Selbstherrlichkeit, protzige Selbstüberschätzung und brutale Starrköpfigkeit" — Charnkterzüge, die man an unsern jungen Beamten wahr¬ zunehmen glaubt, sie alle sollen von dem Reserveoffizier in die bürgerliche Gesellschaft hinübergeschleppt worden sein und dort zum Entsetze» aller ver¬ ständigen Staatsbürger gepflegt werden. So heißt es an einer Stelle: „Vollends wird man da nuf die Thorheit mit Fingern deuten müssen, wo sie gefährlich wird. Das aber droht die „Schuldigkeit" bei den Beamten zu werden. Hier finden wir die ausgebildetsten Exemplare der schneidigen. Sie entstehen gemeiniglich durch den Reserveoffizier." Daß diese im Laude der all¬ gemeinen Wehrpflicht notwendige Einrichtung nicht nur eine hohe militärische Bedeutung hat, sondern auch von unberechenbarem Vorteil für unser nationales und gesellschaftliches Leben ist, übersehen oder verkennen jene Patrioten vollständig. Unsere Zeit trägt den Stempel des Spezialistentums, aber auch der Ein¬ seitigkeit; Arbeitsfelder, von denen man früher keine Ahnung hatte, entstehen, erweitern und teilen sich. Man denke an die naturwissenschaftlichen, die medi¬ zinischen, die philologisch-historischen Sondergebiete; man denke an die weiten Verzweigungen der Landwirtschaft, der Berwaltungsfächer, der kaufmännischen und industriellen Thätigkeit. Immer mehr schwinden die Berührungspunkte unter den einzelnem Ständen, immer mehr sondern sich die scharf umschlossenen Verufsklassen von einander ab. Sie bilden keine gemeinsamen Interessen, sie verstehen einander nicht mehr. Jeder lebt in den enggezogenen Grenzen seines Gewerbes und sucht hier zum eignen Schaden unter wachsender Nerständnis- lvsigkeit für andre Bestrebungen seinen gesellschaftlichen Verkehr. Eine solche immer unerträglicher werdende Kastenwirtschaft trägt aber nicht dazu bei, den frischen Lebenszug, den gemeinsamen Geist, die Allgemeinbildung, oder mit einem Worte eine gesunde fortschreitende Kultur in unsrer Nation zu erhalten und zu kräftigem Wir behaupten, daß die militärische Einrichtung der Reserveoffiziere, durch die Männer aller gebildeten Stunde zu einander geführt und in hohen gemeinsamen Bestrebungen eng an einander geknüpft werden, heutzutage fast die einzige Einrichtung sei, die jeuer verhängnisvollen ^Zersplitterung'unsrer Gesellschaft in lauter Einzelgewerbe und Parteigruppen einen kräftigen Damm entgegenstellt. Nirgends findet man eine so vielgestaltige, aus allen möglichen Ständen zusammengesetzte Vereinigung wie im Reserve- und Landwehrkorps. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/403>, abgerufen am 02.07.2024.