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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Reserveoffiziere

Juristen nennen, denn nach den neuesten statistischen Angaben zählt man in
Preußen nicht weniger als 4800 Assessoren und Referendare, ja man spricht
sogar schon von einem "Asfesforismns" in der Gesellschaft.

Der für einen Zeitabschnitt bezeichnende Typus muß in allen Berufs-
arten zu finden sein, und da liegt denn in unsrer, von militärischem Geiste
durchwehten Zeit der Gedanke nicht sehr fern, den Reserve- oder Lnndwehr-
ofsizier als die charakteristische Gestalt unsrer Tage zu bezeichnen. Dieser Ge¬
danke drängt sich noch mehr ans, wenn man in der Rang- und Quartierliste
der tgi. preußischen Armee für 188!" ungefähr 12 000 Offiziere des Beurlnub-
teustaudes zählt, wenn man sieht, welcher Wert auf diese militärische Auszeich¬
nung im bürgerlichen Leben gelegt wird, wie vom Reichskanzler herunter bis
zum jüngsten Beamten die Nebenstellung als Offizier bei jeder Gelegenheit be¬
tont zu werden Pflegt.

Thatsächlich hat man anch schon versucht, gewisse Strömungen unsrer
Zeit in der Politik und Gesellschaft mit dieser Erscheinung in Verbindung zu
bringen. Selbst in der Litteratur sängt "der Reserveoffizier" an, eine Rolle
zu spielen; es ist sogar kürzlich in den Grenzboten von einem Schriftsteller
gesagt worden: "Der Charakter, den er naiv und doch künstlerisch bewußt in
seinen Gedichten zur Anschauung bringt, ist so typisch modern, wie nur möglich-
es ist der norddeutsche Edelmann und Reserveoffizier unsrer Tage." Was
mit dieser Charakteristik gemeint ist, liegt auf der Hand. Man glaubt in dein
Dichter ein gewisses Maß militärischer Tilgenden und patriotischer Züge zu
erkennen, die ihn vor andern Schriftstellern auszeichnen.

Aber diese wohlmeinende Auffassung von dem Begriff "Reserveoffizier"
scheint gegenwärtig nicht die herrschende zu sein; jn es ist geradezu auffallend,
mit welcher Freude sich gewisse freisinnige Blätter darin gefallen, auf den
"Sonunerlentnant" mit allen erdenklichen Waffen loszuschlagen. Seitdem ihnen
das Handwerk gelegt ist, ihren Groll über den Militarismus in Ausfällen
gegen die aktiven Offiziere Luft zu macheu, richten sie ihre gehässigen Angriffe
in allen Tonarten gegen den Reserveoffizier und finden damit nicht allein beim
großen Publikum, sondern leider auch bei Berufssoldaten offnen oder versteckten
Beifall, mindestens keine Abwehr oder Widerlegung. Giebt es doch sogar
militärische Schriften, die den Reserveoffizier als dunkeln Hintergrund benutzen,
um die vorteilhaften Eigenschaften des aktiven Offiziers in eine günstigere Be¬
leuchtung zu rücken. Man denke nur an die vielgenannte Broschüre "Ein
Sommernachtstraum," worin der Verfasser, ein älterer Infanterist, gegen das
"Massendrückebergertnm" auf dem Schlachtfelde eifert und für seine Darstellung
als Beispiele persönlicher Feigheit einen Einjährig-Freiwilligen und einen
Reserveoffizier nimmt! Soll man sich da noch wundern, wenn die ganze
militärfeindliche Presse in dem Reserveoffizier geradezu das fratzenhafte Zerr¬
bild eines nach ihrer Ansicht überschätzten und verhätschelten Heerwesens zu


Unsre Reserveoffiziere

Juristen nennen, denn nach den neuesten statistischen Angaben zählt man in
Preußen nicht weniger als 4800 Assessoren und Referendare, ja man spricht
sogar schon von einem „Asfesforismns" in der Gesellschaft.

Der für einen Zeitabschnitt bezeichnende Typus muß in allen Berufs-
arten zu finden sein, und da liegt denn in unsrer, von militärischem Geiste
durchwehten Zeit der Gedanke nicht sehr fern, den Reserve- oder Lnndwehr-
ofsizier als die charakteristische Gestalt unsrer Tage zu bezeichnen. Dieser Ge¬
danke drängt sich noch mehr ans, wenn man in der Rang- und Quartierliste
der tgi. preußischen Armee für 188!» ungefähr 12 000 Offiziere des Beurlnub-
teustaudes zählt, wenn man sieht, welcher Wert auf diese militärische Auszeich¬
nung im bürgerlichen Leben gelegt wird, wie vom Reichskanzler herunter bis
zum jüngsten Beamten die Nebenstellung als Offizier bei jeder Gelegenheit be¬
tont zu werden Pflegt.

Thatsächlich hat man anch schon versucht, gewisse Strömungen unsrer
Zeit in der Politik und Gesellschaft mit dieser Erscheinung in Verbindung zu
bringen. Selbst in der Litteratur sängt „der Reserveoffizier" an, eine Rolle
zu spielen; es ist sogar kürzlich in den Grenzboten von einem Schriftsteller
gesagt worden: „Der Charakter, den er naiv und doch künstlerisch bewußt in
seinen Gedichten zur Anschauung bringt, ist so typisch modern, wie nur möglich-
es ist der norddeutsche Edelmann und Reserveoffizier unsrer Tage." Was
mit dieser Charakteristik gemeint ist, liegt auf der Hand. Man glaubt in dein
Dichter ein gewisses Maß militärischer Tilgenden und patriotischer Züge zu
erkennen, die ihn vor andern Schriftstellern auszeichnen.

Aber diese wohlmeinende Auffassung von dem Begriff „Reserveoffizier"
scheint gegenwärtig nicht die herrschende zu sein; jn es ist geradezu auffallend,
mit welcher Freude sich gewisse freisinnige Blätter darin gefallen, auf den
„Sonunerlentnant" mit allen erdenklichen Waffen loszuschlagen. Seitdem ihnen
das Handwerk gelegt ist, ihren Groll über den Militarismus in Ausfällen
gegen die aktiven Offiziere Luft zu macheu, richten sie ihre gehässigen Angriffe
in allen Tonarten gegen den Reserveoffizier und finden damit nicht allein beim
großen Publikum, sondern leider auch bei Berufssoldaten offnen oder versteckten
Beifall, mindestens keine Abwehr oder Widerlegung. Giebt es doch sogar
militärische Schriften, die den Reserveoffizier als dunkeln Hintergrund benutzen,
um die vorteilhaften Eigenschaften des aktiven Offiziers in eine günstigere Be¬
leuchtung zu rücken. Man denke nur an die vielgenannte Broschüre „Ein
Sommernachtstraum," worin der Verfasser, ein älterer Infanterist, gegen das
„Massendrückebergertnm" auf dem Schlachtfelde eifert und für seine Darstellung
als Beispiele persönlicher Feigheit einen Einjährig-Freiwilligen und einen
Reserveoffizier nimmt! Soll man sich da noch wundern, wenn die ganze
militärfeindliche Presse in dem Reserveoffizier geradezu das fratzenhafte Zerr¬
bild eines nach ihrer Ansicht überschätzten und verhätschelten Heerwesens zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/402>, abgerufen am 21.12.2024.