Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

und ehe die wieder gegangen Ware", konnte sie sich unmöglich fortschleichen.
Und dann, vor allen Dingen, durfte er um des Himmels willen nicht klopfen!
Sie sagte es sich selber, daß sie mit der äußersten Vorsicht vorgehen müsse.
Sie wußte, daß man sie von allen Ecken und Enden beobachtete, und daß
die geringste Unregelmäßigkeit Verdacht erregen würde.

Mieder rasselte ein Wagen vorüber, und sie fuhr von ihrem Stuhl aus.
Mit unruhigen Schritten fing sie an, im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei
sie sich öfter nach dem Kopfe griff und die Hände gegen die Schläfen preßte.
Sie fühlte, daß sie diese Ungewißheit nicht würde ertragen können, daß es ihr
unmöglich sei, diesen Tag zu Ende zu leben, ohne sich Klarheit zu verschaffen.
Einen plötzlichen Entschluß fassend, band sie ihre Waldschürze um, spähte zum
Fenster hinaus und schlich sich dann aus dem Zimmer. Aber noch auf der
Schwelle blieb sie stehen und ließ einen musternden Blick dnrch die Kammer
gleiten; und da sie das Gefühl hatte, als wäre sie bleich, rieb sie sich einen
Augenblick beide Backen hart mit den Händen. Dann wartete sie, bis alles
um sie her still geworden war, und schlich über die Diele ins Freie.

Gleich draußen ans der steinernen Treppe durchfuhr es sie wie ein Stich:
sie meinte ganz bestimmt die Gestalt der Mutter drinnen hinter demselben
Fenster zu entdecke", das sie am Abend geöffnet hatte.- Aber mit Aufbietung
aller Kräfte raffte sie sich auf und schritt laugsam, gleichgiltig eine Melodie
vor sich hersummend, vorüber, ja sie stand sogar "litten ans dem Wege still
und blickte unbefangen zu dem Wolken hinauf, als wollte sie sich über das
Wetter vergewissern. Sobald sie in den Wald gekommen war, begann sie
wieder zu eilen. Da gewahrte sie plötzlich um einer Biegung des Weges Lars
Einauge, der ihr in einiger Entfernung mit Stock und Krücke entgegen kam.
Sie stieß einen Fluch ans und wollte ins Gebüsch verschwinden, aber Lars
hatte sie schon gesehen und winkte ihr mit dein Stocke.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nochmals die Laqe der Lehrer um den höhern Schulen Sachsens.
Die "Leipziger Zeitung" vom 13. November enthält einen länger" Aufsatz über ein
neuerdings in der Presse viel erörtertes Themen "Die Lage der Lehrer an den
höhern Lehranstalten in Sachsen." Der Aufsatz ist in den beteiligten Kreisen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

und ehe die wieder gegangen Ware», konnte sie sich unmöglich fortschleichen.
Und dann, vor allen Dingen, durfte er um des Himmels willen nicht klopfen!
Sie sagte es sich selber, daß sie mit der äußersten Vorsicht vorgehen müsse.
Sie wußte, daß man sie von allen Ecken und Enden beobachtete, und daß
die geringste Unregelmäßigkeit Verdacht erregen würde.

Mieder rasselte ein Wagen vorüber, und sie fuhr von ihrem Stuhl aus.
Mit unruhigen Schritten fing sie an, im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei
sie sich öfter nach dem Kopfe griff und die Hände gegen die Schläfen preßte.
Sie fühlte, daß sie diese Ungewißheit nicht würde ertragen können, daß es ihr
unmöglich sei, diesen Tag zu Ende zu leben, ohne sich Klarheit zu verschaffen.
Einen plötzlichen Entschluß fassend, band sie ihre Waldschürze um, spähte zum
Fenster hinaus und schlich sich dann aus dem Zimmer. Aber noch auf der
Schwelle blieb sie stehen und ließ einen musternden Blick dnrch die Kammer
gleiten; und da sie das Gefühl hatte, als wäre sie bleich, rieb sie sich einen
Augenblick beide Backen hart mit den Händen. Dann wartete sie, bis alles
um sie her still geworden war, und schlich über die Diele ins Freie.

Gleich draußen ans der steinernen Treppe durchfuhr es sie wie ein Stich:
sie meinte ganz bestimmt die Gestalt der Mutter drinnen hinter demselben
Fenster zu entdecke», das sie am Abend geöffnet hatte.- Aber mit Aufbietung
aller Kräfte raffte sie sich auf und schritt laugsam, gleichgiltig eine Melodie
vor sich hersummend, vorüber, ja sie stand sogar »litten ans dem Wege still
und blickte unbefangen zu dem Wolken hinauf, als wollte sie sich über das
Wetter vergewissern. Sobald sie in den Wald gekommen war, begann sie
wieder zu eilen. Da gewahrte sie plötzlich um einer Biegung des Weges Lars
Einauge, der ihr in einiger Entfernung mit Stock und Krücke entgegen kam.
Sie stieß einen Fluch ans und wollte ins Gebüsch verschwinden, aber Lars
hatte sie schon gesehen und winkte ihr mit dein Stocke.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nochmals die Laqe der Lehrer um den höhern Schulen Sachsens.
Die „Leipziger Zeitung" vom 13. November enthält einen länger» Aufsatz über ein
neuerdings in der Presse viel erörtertes Themen „Die Lage der Lehrer an den
höhern Lehranstalten in Sachsen." Der Aufsatz ist in den beteiligten Kreisen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206393"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1361" prev="#ID_1360"> und ehe die wieder gegangen Ware», konnte sie sich unmöglich fortschleichen.<lb/>
Und dann, vor allen Dingen, durfte er um des Himmels willen nicht klopfen!<lb/>
Sie sagte es sich selber, daß sie mit der äußersten Vorsicht vorgehen müsse.<lb/>
Sie wußte, daß man sie von allen Ecken und Enden beobachtete, und daß<lb/>
die geringste Unregelmäßigkeit Verdacht erregen würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1362"> Mieder rasselte ein Wagen vorüber, und sie fuhr von ihrem Stuhl aus.<lb/>
Mit unruhigen Schritten fing sie an, im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei<lb/>
sie sich öfter nach dem Kopfe griff und die Hände gegen die Schläfen preßte.<lb/>
Sie fühlte, daß sie diese Ungewißheit nicht würde ertragen können, daß es ihr<lb/>
unmöglich sei, diesen Tag zu Ende zu leben, ohne sich Klarheit zu verschaffen.<lb/>
Einen plötzlichen Entschluß fassend, band sie ihre Waldschürze um, spähte zum<lb/>
Fenster hinaus und schlich sich dann aus dem Zimmer. Aber noch auf der<lb/>
Schwelle blieb sie stehen und ließ einen musternden Blick dnrch die Kammer<lb/>
gleiten; und da sie das Gefühl hatte, als wäre sie bleich, rieb sie sich einen<lb/>
Augenblick beide Backen hart mit den Händen. Dann wartete sie, bis alles<lb/>
um sie her still geworden war, und schlich über die Diele ins Freie.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1363"> Gleich draußen ans der steinernen Treppe durchfuhr es sie wie ein Stich:<lb/>
sie meinte ganz bestimmt die Gestalt der Mutter drinnen hinter demselben<lb/>
Fenster zu entdecke», das sie am Abend geöffnet hatte.- Aber mit Aufbietung<lb/>
aller Kräfte raffte sie sich auf und schritt laugsam, gleichgiltig eine Melodie<lb/>
vor sich hersummend, vorüber, ja sie stand sogar »litten ans dem Wege still<lb/>
und blickte unbefangen zu dem Wolken hinauf, als wollte sie sich über das<lb/>
Wetter vergewissern. Sobald sie in den Wald gekommen war, begann sie<lb/>
wieder zu eilen. Da gewahrte sie plötzlich um einer Biegung des Weges Lars<lb/>
Einauge, der ihr in einiger Entfernung mit Stock und Krücke entgegen kam.<lb/>
Sie stieß einen Fluch ans und wollte ins Gebüsch verschwinden, aber Lars<lb/>
hatte sie schon gesehen und winkte ihr mit dein Stocke.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1364"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1365" next="#ID_1366"> Nochmals die Laqe der Lehrer um den höhern Schulen Sachsens.<lb/>
Die &#x201E;Leipziger Zeitung" vom 13. November enthält einen länger» Aufsatz über ein<lb/>
neuerdings in der Presse viel erörtertes Themen &#x201E;Die Lage der Lehrer an den<lb/>
höhern Lehranstalten in Sachsen."  Der Aufsatz ist in den beteiligten Kreisen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Maßgebliches und Unmaßgebliches und ehe die wieder gegangen Ware», konnte sie sich unmöglich fortschleichen. Und dann, vor allen Dingen, durfte er um des Himmels willen nicht klopfen! Sie sagte es sich selber, daß sie mit der äußersten Vorsicht vorgehen müsse. Sie wußte, daß man sie von allen Ecken und Enden beobachtete, und daß die geringste Unregelmäßigkeit Verdacht erregen würde. Mieder rasselte ein Wagen vorüber, und sie fuhr von ihrem Stuhl aus. Mit unruhigen Schritten fing sie an, im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei sie sich öfter nach dem Kopfe griff und die Hände gegen die Schläfen preßte. Sie fühlte, daß sie diese Ungewißheit nicht würde ertragen können, daß es ihr unmöglich sei, diesen Tag zu Ende zu leben, ohne sich Klarheit zu verschaffen. Einen plötzlichen Entschluß fassend, band sie ihre Waldschürze um, spähte zum Fenster hinaus und schlich sich dann aus dem Zimmer. Aber noch auf der Schwelle blieb sie stehen und ließ einen musternden Blick dnrch die Kammer gleiten; und da sie das Gefühl hatte, als wäre sie bleich, rieb sie sich einen Augenblick beide Backen hart mit den Händen. Dann wartete sie, bis alles um sie her still geworden war, und schlich über die Diele ins Freie. Gleich draußen ans der steinernen Treppe durchfuhr es sie wie ein Stich: sie meinte ganz bestimmt die Gestalt der Mutter drinnen hinter demselben Fenster zu entdecke», das sie am Abend geöffnet hatte.- Aber mit Aufbietung aller Kräfte raffte sie sich auf und schritt laugsam, gleichgiltig eine Melodie vor sich hersummend, vorüber, ja sie stand sogar »litten ans dem Wege still und blickte unbefangen zu dem Wolken hinauf, als wollte sie sich über das Wetter vergewissern. Sobald sie in den Wald gekommen war, begann sie wieder zu eilen. Da gewahrte sie plötzlich um einer Biegung des Weges Lars Einauge, der ihr in einiger Entfernung mit Stock und Krücke entgegen kam. Sie stieß einen Fluch ans und wollte ins Gebüsch verschwinden, aber Lars hatte sie schon gesehen und winkte ihr mit dein Stocke. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Nochmals die Laqe der Lehrer um den höhern Schulen Sachsens. Die „Leipziger Zeitung" vom 13. November enthält einen länger» Aufsatz über ein neuerdings in der Presse viel erörtertes Themen „Die Lage der Lehrer an den höhern Lehranstalten in Sachsen." Der Aufsatz ist in den beteiligten Kreisen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/394>, abgerufen am 30.06.2024.