Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Buckle und Darwin zunehmender Kultur hört das Volk auf, kriegerisch zu sein; die Kriegführung Demnach hängen die Veränderungen im Zustande eines Kulturvolkes Da demzufolge der Zustand der Völker von dem Schatze ihres Wissens Buckle und Darwin zunehmender Kultur hört das Volk auf, kriegerisch zu sein; die Kriegführung Demnach hängen die Veränderungen im Zustande eines Kulturvolkes Da demzufolge der Zustand der Völker von dem Schatze ihres Wissens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206383"/> <fw type="header" place="top"> Buckle und Darwin</fw><lb/> <p xml:id="ID_1304" prev="#ID_1303"> zunehmender Kultur hört das Volk auf, kriegerisch zu sein; die Kriegführung<lb/> wird einem besondern Stande übertragen, und je höher die Kultur steigt,<lb/> desto tiefer sinkt die Wertschätzung dieses Standes. In dem hochzivilisirten<lb/> England läßt der Vater den tüchtigsten seiner Söhne in bürgerliche Berufs-<lb/> arten eintreten und steckt nur den Taugenichts unter die Soldaten. In dem<lb/> barbarischen Nußland dagegen geht der letzte Fähnrich im Range dem ange¬<lb/> sehensten Bürger vor. Und doch sind die Russen nicht unsittlicher als die<lb/> Engländer; eher umgekehrt. Nicht im Herzen liegt der Fehler, sondern im<lb/> Kopfe. Der Fortschritt der Wissenschaft hat nicht bloß, indem er dem Leben<lb/> einen neuen, reichen Inhalt gab, die Neigung zum Kriege vermindert, sondern<lb/> noch auf andre Weise. Eine Zeit lang war auch der Handel kriegerisch, indem,<lb/> das Merkantilsystem die Staatslenker zu dem Irrtum verführte, mau müsse<lb/> den Wohlstand der andern Völker durch Gewaltthaten schädigen, um den des<lb/> eignen Staates zu fördern. Nachdem bessere Einsicht diesen Irrtum zerstört<lb/> hat, ist das Handelsinteresse eine Hauptschutzwehr des Friedens geworden.<lb/> Sodann hat das erleichterte Reisen den Nationalhaß beseitigt. Alle die bis¬<lb/> herigen Vorstellungen, die ehemals Engländer und Franzosen gegenseitig von<lb/> einander hegten, sind geschwunden — nebenbei gesagt, ein Beweis dafür, daß<lb/> das Gute in der Welt überwiegt; wäre das Gegenteil der Fall, so würden<lb/> die Völker durch genauere gegenseitige Bekanntschaft nicht eine bessere, sondern<lb/> eine schlechtere Meinung von einander bekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1305"> Demnach hängen die Veränderungen im Zustande eines Kulturvolkes<lb/> von drei Dingen ab: von dem Umfange des Wissens seiner hervorragenden<lb/> Männer, von den Gegenständen, die den Inhalt dieses Wissens bilden, und<lb/> von den: Grade, in dem das Wissen der Gebildeten in der Masse Verbrei¬<lb/> tung findet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1306"> Da demzufolge der Zustand der Völker von dem Schatze ihres Wissens<lb/> abhängt, so fällt die Geschichte der Zivilisation der Hauptsache nach mit der<lb/> des Erkenntnisfortschritts zusammen. Für eine solche fehlen aber (d. h. fehlten<lb/> in England, als Buckle schrieb) alle Vorarbeiten. Denn unglücklicherweise haben<lb/> die Geschichtschreiber bisher lauter unnützes Zeug berichtet, „am allercmsführ-<lb/> lichsten das allerunnützeste, die Kriegsgeschichten." Deshalb sieht sich Buckle<lb/> genötigt von seinem ursprünglichen, die ganze Zivilisation umfassenden Plane ab¬<lb/> zugehen und sich auf die Geschichte der Zivilisation seines Vaterlandes zu be¬<lb/> schränken. Dies eignet sich auch vorzugsweise zum Gegenstande dieser Unter¬<lb/> suchung, weil hier die Zivilisation sich freier als irgendwo anders aus dem<lb/> Volke heraus entwickelt hat; frei in doppelter Beziehung: frei von ausländischem<lb/> Einfluß und von Bevormundung durch die Regierung. Damit aber daneben<lb/> auch die entgegengesetzte Art der Entwicklung, die durch unnatürliche Einflüsse<lb/> gehemmte und gestörte, zur Anschauung komme, will er auch die Geschichte der<lb/> französischen Zivilisation darstellen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0383]
Buckle und Darwin
zunehmender Kultur hört das Volk auf, kriegerisch zu sein; die Kriegführung
wird einem besondern Stande übertragen, und je höher die Kultur steigt,
desto tiefer sinkt die Wertschätzung dieses Standes. In dem hochzivilisirten
England läßt der Vater den tüchtigsten seiner Söhne in bürgerliche Berufs-
arten eintreten und steckt nur den Taugenichts unter die Soldaten. In dem
barbarischen Nußland dagegen geht der letzte Fähnrich im Range dem ange¬
sehensten Bürger vor. Und doch sind die Russen nicht unsittlicher als die
Engländer; eher umgekehrt. Nicht im Herzen liegt der Fehler, sondern im
Kopfe. Der Fortschritt der Wissenschaft hat nicht bloß, indem er dem Leben
einen neuen, reichen Inhalt gab, die Neigung zum Kriege vermindert, sondern
noch auf andre Weise. Eine Zeit lang war auch der Handel kriegerisch, indem,
das Merkantilsystem die Staatslenker zu dem Irrtum verführte, mau müsse
den Wohlstand der andern Völker durch Gewaltthaten schädigen, um den des
eignen Staates zu fördern. Nachdem bessere Einsicht diesen Irrtum zerstört
hat, ist das Handelsinteresse eine Hauptschutzwehr des Friedens geworden.
Sodann hat das erleichterte Reisen den Nationalhaß beseitigt. Alle die bis¬
herigen Vorstellungen, die ehemals Engländer und Franzosen gegenseitig von
einander hegten, sind geschwunden — nebenbei gesagt, ein Beweis dafür, daß
das Gute in der Welt überwiegt; wäre das Gegenteil der Fall, so würden
die Völker durch genauere gegenseitige Bekanntschaft nicht eine bessere, sondern
eine schlechtere Meinung von einander bekommen.
Demnach hängen die Veränderungen im Zustande eines Kulturvolkes
von drei Dingen ab: von dem Umfange des Wissens seiner hervorragenden
Männer, von den Gegenständen, die den Inhalt dieses Wissens bilden, und
von den: Grade, in dem das Wissen der Gebildeten in der Masse Verbrei¬
tung findet.
Da demzufolge der Zustand der Völker von dem Schatze ihres Wissens
abhängt, so fällt die Geschichte der Zivilisation der Hauptsache nach mit der
des Erkenntnisfortschritts zusammen. Für eine solche fehlen aber (d. h. fehlten
in England, als Buckle schrieb) alle Vorarbeiten. Denn unglücklicherweise haben
die Geschichtschreiber bisher lauter unnützes Zeug berichtet, „am allercmsführ-
lichsten das allerunnützeste, die Kriegsgeschichten." Deshalb sieht sich Buckle
genötigt von seinem ursprünglichen, die ganze Zivilisation umfassenden Plane ab¬
zugehen und sich auf die Geschichte der Zivilisation seines Vaterlandes zu be¬
schränken. Dies eignet sich auch vorzugsweise zum Gegenstande dieser Unter¬
suchung, weil hier die Zivilisation sich freier als irgendwo anders aus dem
Volke heraus entwickelt hat; frei in doppelter Beziehung: frei von ausländischem
Einfluß und von Bevormundung durch die Regierung. Damit aber daneben
auch die entgegengesetzte Art der Entwicklung, die durch unnatürliche Einflüsse
gehemmte und gestörte, zur Anschauung komme, will er auch die Geschichte der
französischen Zivilisation darstellen.
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