Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Buckle und Darum So richtete die Natur in Asien dnrch ungleiche Verteilung des Reichtums So wird denn der Fortschritt der Zivilisation in Europa dadurch herbeigeführt, Buckle und Darum So richtete die Natur in Asien dnrch ungleiche Verteilung des Reichtums So wird denn der Fortschritt der Zivilisation in Europa dadurch herbeigeführt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206380"/> <fw type="header" place="top"> Buckle und Darum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1297"> So richtete die Natur in Asien dnrch ungleiche Verteilung des Reichtums<lb/> und ungleiche Verteilung der geistigen Thätigkeit doppeltes Unheil an. In<lb/> Asien ward der Mensch der Natur, in Europa die Natur dem Menschen unter¬<lb/> than, und dieser große Unterschied bildet die Grundlage der Philosophie<lb/> der Geschichte. „Die gebildeten Nationen verdanken in ihrem gegenwärtigen<lb/> Zustande jenen ursprünglichen Naturzuständen verhältnismäßig wenig, die in<lb/> allen außereuropäischen Kulturländern eine so grenzenlose Macht ausübten.<lb/> So wurde hier der Zug des Handels durch die Flüsse und die natürlichen<lb/> Häfen bestimmt. In Europa hingegen entscheidet des Menschen Geschick und<lb/> Kraft. Sonst waren die reichsten Länder dort, wo die Natur am gütigsten<lb/> ist; heute sind sie da, wo der Mensch am thätigsten ist. In unserm Welt-<lb/> alter wissen wir die Kargheit der Natur zu ersetzen. Haben wir keine Flüsse,<lb/> so bauen wir Kanäle; haben wir keine natürlichen Häfen, so legen wir künst¬<lb/> liche an. Und so auffallend ist diese Neigung, die Macht der Natur zu brechen,<lb/> daß sie sich sogar in der Verteilung des Volkes zeigt. Denn im zivilisirten<lb/> Europa überholt die Bevölkerung der Städte überall die des Landes, und es<lb/> leuchtet ein, je mehr sich die Menschen in großen Städten ansammeln, desto<lb/> mehr werden sie den Stoff ihres Denkens von ihrer eignen Thätigkeit her¬<lb/> nehmen und desto weniger werden sie sich um die Naturerscheinungen, diese<lb/> ergiebige Quelle des Aberglaubens, kümmern."</p><lb/> <p xml:id="ID_1298" next="#ID_1299"> So wird denn der Fortschritt der Zivilisation in Europa dadurch herbeigeführt,<lb/> daß der Einfluß der Natur sich stetig vermindert und der des Geistes sich ebenso<lb/> stetig erhöht. Die Kräfte der Natur bleiben dieselben, sind keiner Steigerung<lb/> fähig, die Hilfsquellen des menschlichen Geistes dagegen werden immer reicher.<lb/> Muß demnach die Zivilisation an den Triumphen des Geistes über die Natur<lb/> gemessen werden, so leuchtet ein, daß die Gesetze des Geistes für den Fort¬<lb/> schritt der Menschheit wichtiger sind als die der Natur. So löst sich die Auf¬<lb/> findung der Gesetze einer europäischen Geschichte in die Auffindung der Gesetze<lb/> des Geistes auf. Um um diese Gesetze zu erforschen, beginnt Buckle mit einer<lb/> Prüfung der „Metaphysik," wie in England die Psychologie genannt wird,<lb/> und gelangt zu dem Ergebnis, daß beide Hauptschüler derselben, die sensua-<lb/> listische wie die idealistische, gleich unfähig und unfruchtbar seien, wobei jedoch<lb/> zu beachten ist, daß er die deutsche Philosophie nur sehr oberflächlich kennt.<lb/> Die „MetaPhysiker," meint er, hätten das Studium des Geistes in eine Ver¬<lb/> wirrung gestürzt, der uur die gleich komme, worin die Religion durch das<lb/> Studium der Theologie gestürzt worden sei. „Mit Ausnahme einiger Gesetze<lb/> über Jdeenassvziation und etwa der neuern Theorie über das Sehen und<lb/> Tasten" sei alles übrige wertloser Plunder. Nicht in sich selber, im eignen<lb/> Selbstbewußtsein, müsse der Forscher die Gesetze des Geistes aufsuchen, sondern<lb/> im Verhalten und Thun der Menschheit. (Genau so sind bei uns Herbart<lb/> und in neuerer Zeit die Mvralstatistiker verfahren. Hier gleich eine kleine Probe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0380]
Buckle und Darum
So richtete die Natur in Asien dnrch ungleiche Verteilung des Reichtums
und ungleiche Verteilung der geistigen Thätigkeit doppeltes Unheil an. In
Asien ward der Mensch der Natur, in Europa die Natur dem Menschen unter¬
than, und dieser große Unterschied bildet die Grundlage der Philosophie
der Geschichte. „Die gebildeten Nationen verdanken in ihrem gegenwärtigen
Zustande jenen ursprünglichen Naturzuständen verhältnismäßig wenig, die in
allen außereuropäischen Kulturländern eine so grenzenlose Macht ausübten.
So wurde hier der Zug des Handels durch die Flüsse und die natürlichen
Häfen bestimmt. In Europa hingegen entscheidet des Menschen Geschick und
Kraft. Sonst waren die reichsten Länder dort, wo die Natur am gütigsten
ist; heute sind sie da, wo der Mensch am thätigsten ist. In unserm Welt-
alter wissen wir die Kargheit der Natur zu ersetzen. Haben wir keine Flüsse,
so bauen wir Kanäle; haben wir keine natürlichen Häfen, so legen wir künst¬
liche an. Und so auffallend ist diese Neigung, die Macht der Natur zu brechen,
daß sie sich sogar in der Verteilung des Volkes zeigt. Denn im zivilisirten
Europa überholt die Bevölkerung der Städte überall die des Landes, und es
leuchtet ein, je mehr sich die Menschen in großen Städten ansammeln, desto
mehr werden sie den Stoff ihres Denkens von ihrer eignen Thätigkeit her¬
nehmen und desto weniger werden sie sich um die Naturerscheinungen, diese
ergiebige Quelle des Aberglaubens, kümmern."
So wird denn der Fortschritt der Zivilisation in Europa dadurch herbeigeführt,
daß der Einfluß der Natur sich stetig vermindert und der des Geistes sich ebenso
stetig erhöht. Die Kräfte der Natur bleiben dieselben, sind keiner Steigerung
fähig, die Hilfsquellen des menschlichen Geistes dagegen werden immer reicher.
Muß demnach die Zivilisation an den Triumphen des Geistes über die Natur
gemessen werden, so leuchtet ein, daß die Gesetze des Geistes für den Fort¬
schritt der Menschheit wichtiger sind als die der Natur. So löst sich die Auf¬
findung der Gesetze einer europäischen Geschichte in die Auffindung der Gesetze
des Geistes auf. Um um diese Gesetze zu erforschen, beginnt Buckle mit einer
Prüfung der „Metaphysik," wie in England die Psychologie genannt wird,
und gelangt zu dem Ergebnis, daß beide Hauptschüler derselben, die sensua-
listische wie die idealistische, gleich unfähig und unfruchtbar seien, wobei jedoch
zu beachten ist, daß er die deutsche Philosophie nur sehr oberflächlich kennt.
Die „MetaPhysiker," meint er, hätten das Studium des Geistes in eine Ver¬
wirrung gestürzt, der uur die gleich komme, worin die Religion durch das
Studium der Theologie gestürzt worden sei. „Mit Ausnahme einiger Gesetze
über Jdeenassvziation und etwa der neuern Theorie über das Sehen und
Tasten" sei alles übrige wertloser Plunder. Nicht in sich selber, im eignen
Selbstbewußtsein, müsse der Forscher die Gesetze des Geistes aufsuchen, sondern
im Verhalten und Thun der Menschheit. (Genau so sind bei uns Herbart
und in neuerer Zeit die Mvralstatistiker verfahren. Hier gleich eine kleine Probe
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