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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Vuckle und Darwin
i

le kommen die beiden zusammen? Darwin, den jedes Kind
kennt, der die Naturwissenschaft und die Geschichte beherrscht, die
Moral, die schöne Litteratur, die Sozial- und sonstige Politik
beeinflußt, und Nuckle, der nie populär war, und dessen "Ge¬
schichte der Zivilisation in England," obwohl ihre deutsche Über¬
setzung 1881 die sechste Auflage erlebt hat, auch in den Kreisen der Gebildeten
selten erwähnt wird? Weil sie zu einander gehören, als Vertreter zweier ein¬
ander ergänzenden Lebeusnnsichten, Ihre Gedankenkreise lagen zu weit aus
einander, als daß sich ein lebhafter Verkehr zwischen ihnen hätte entspinnen
sollen. (Die kürzere Lebenszeit Vuckles, 24. November 1822 bis 29. Mai 1862,
wird von der lungern Darwins, 12. Februar 180" bis 19. April 1882, um¬
klammert.) In dem Werke "Leben und Briefe von Charles Darwin" wird
folgende Anekdote über eine persönliche Begegnung beider in Gesellschaft be¬
richtet. Buckle sprach ohne Unterbrechung, und der bescheidne Darwin ging
schließlich fort, ohne ein einzigesmal zu Worte gekommen zu sein. Als er
hinaus war, sagte Buckle: "Mr. Darwins Bücher sind viel besser als seine
Unterhaltung." Bei dieser Gelegenheit wird auch die allen reichen Leute" sehr
zu empfehlende Art mitgeteilt, wie Buckle Stoff sammelte. Er kaufte alle
Bücher, die er benutzte, und entwarf beim Lesen ein Verzeichnis der wichtigsten
Stellen. Da machte denn später die Ausrüstung seiner Schriften mit Belegen
wenig Mühe. In demselben Werke kommen drei Urteile Darwins über Buckle
vor. In seiner Selbstbiographie schreibt er: "Meiner Meinung nach war das
Buch ^die Geschichte der Zivilisation^ interessant, auch habe ich es zweimal ge¬
lesen; ich bezweifle aber, daß seine Verallgemeinerungen irgend welchen Wert
haben." Und in einem Briefe an Hooker 1858: "Der große Buckle hat mir
nicht sehr imponirt. Ich lese jetzt sein Buch, das, wie mir scheint, mit viel
Sophistik, wunderbar geschickt und originell und mit staunenerregenden Kennt¬
nissen geschrieben ist." Dagegen 1862 (Adressat unbekannt): "Haben Sie
Buckles zweiten Band gelesen? Er hat mich in hohem Grade interessirt. Ich
kümmere mich nicht weiter darum, ob seine Ansichten richtig oder falsch sind,
doch scheinen sie mir Wahres zu enthalten, und meinem Geschmack nach ist er
der beste Schriftsteller, der je in englischer Sprache geschrieben hat."




Vuckle und Darwin
i

le kommen die beiden zusammen? Darwin, den jedes Kind
kennt, der die Naturwissenschaft und die Geschichte beherrscht, die
Moral, die schöne Litteratur, die Sozial- und sonstige Politik
beeinflußt, und Nuckle, der nie populär war, und dessen „Ge¬
schichte der Zivilisation in England," obwohl ihre deutsche Über¬
setzung 1881 die sechste Auflage erlebt hat, auch in den Kreisen der Gebildeten
selten erwähnt wird? Weil sie zu einander gehören, als Vertreter zweier ein¬
ander ergänzenden Lebeusnnsichten, Ihre Gedankenkreise lagen zu weit aus
einander, als daß sich ein lebhafter Verkehr zwischen ihnen hätte entspinnen
sollen. (Die kürzere Lebenszeit Vuckles, 24. November 1822 bis 29. Mai 1862,
wird von der lungern Darwins, 12. Februar 180» bis 19. April 1882, um¬
klammert.) In dem Werke „Leben und Briefe von Charles Darwin" wird
folgende Anekdote über eine persönliche Begegnung beider in Gesellschaft be¬
richtet. Buckle sprach ohne Unterbrechung, und der bescheidne Darwin ging
schließlich fort, ohne ein einzigesmal zu Worte gekommen zu sein. Als er
hinaus war, sagte Buckle: „Mr. Darwins Bücher sind viel besser als seine
Unterhaltung." Bei dieser Gelegenheit wird auch die allen reichen Leute» sehr
zu empfehlende Art mitgeteilt, wie Buckle Stoff sammelte. Er kaufte alle
Bücher, die er benutzte, und entwarf beim Lesen ein Verzeichnis der wichtigsten
Stellen. Da machte denn später die Ausrüstung seiner Schriften mit Belegen
wenig Mühe. In demselben Werke kommen drei Urteile Darwins über Buckle
vor. In seiner Selbstbiographie schreibt er: „Meiner Meinung nach war das
Buch ^die Geschichte der Zivilisation^ interessant, auch habe ich es zweimal ge¬
lesen; ich bezweifle aber, daß seine Verallgemeinerungen irgend welchen Wert
haben." Und in einem Briefe an Hooker 1858: „Der große Buckle hat mir
nicht sehr imponirt. Ich lese jetzt sein Buch, das, wie mir scheint, mit viel
Sophistik, wunderbar geschickt und originell und mit staunenerregenden Kennt¬
nissen geschrieben ist." Dagegen 1862 (Adressat unbekannt): „Haben Sie
Buckles zweiten Band gelesen? Er hat mich in hohem Grade interessirt. Ich
kümmere mich nicht weiter darum, ob seine Ansichten richtig oder falsch sind,
doch scheinen sie mir Wahres zu enthalten, und meinem Geschmack nach ist er
der beste Schriftsteller, der je in englischer Sprache geschrieben hat."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/378>, abgerufen am 02.07.2024.