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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die ZurechnmigsfÄhigkeit nach geltendem Recht

bilder dieser litterarischen Gattung -- Görres für die Oppositionellen, Gentz
für die Regierungsmänner, Ranke in der historisch-politischen Zeitschrift für
die Vermittelnden -- scheinen ganz vergessen zu sein! Es ist kein Vergnügen,
diese drei Schriften durchzulesen: ein unerquicklicher Stoff aufs unerquicklichste
behandelt.




Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht
von <L, wernicke

er Fortschritt der medizinischen Wissenschaft in neuerer Zeit ist
in vielen Veziehuugeu auch der Rechtsprechung zu gute gekommen.
So bedeutet es in Fragen der Zurechnungsfähigkeit einen
Fortschritt und erleichtert das Urteil im besondern Falle unge¬
mein, daß um die Stelle des Begriffs der Geistesstörung der der
Geisteskrankheit getreten ist. Allerdings ist anch noch Geisteskrankheit ein
vieldeutiger Begriff, etwa so, wie wenn man von Leberkrankheit oder Darm¬
krankheit an sich sprechen wollte, aber doch nur so weit, als er wie jeder
Sammelname die verschiednen möglichen Geisteskrankheiten umfaßt. Es ist auch
zuzugeben, daß die Geisteskrankheiten noch lange nicht so gut bekannt und von
einander abgegrenzt sind, wie die der genannten beiden Körperorgane. Dennoch
ist für den einigermaßen erfahrenen und durchgebildete!: Fachmann die Geistes¬
krankheit ein so bestimmt mich außen hin abgegrenztes Gebiet, daß ein Zweifel,
ob sie in einem bestimmten Falle anzunehmen sei oder nicht, nur selten vor¬
kommen wird; und dies verdanken wir wesentlich jener Veränderung des Stand¬
punktes der Wissenschaft, die damit beginnen mußte, an ein bestimmtes Organ
des Geistes zu glaube", das, wie jedes andre, selbständig erkranken könne.

Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir in dem Wortlaut des 51.
Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuches den Ausdruck dieses veränderten
Standpunktes der Wissenschaft erblicken. Der Paragraph lautet: "Eine straf¬
bare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung
der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter
Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbe¬
stimmung ausgeschlossen war." Die krankhafte Störung der Geistesthätigkeit
soll augenscheinlich Geisteskrankheit bedeuten. Die Fassung des Paragraphen
hat denn auch niemals den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, daß
die Geisteskranken als unzurechnungsfähig betrachtet werden müssen.


Die ZurechnmigsfÄhigkeit nach geltendem Recht

bilder dieser litterarischen Gattung — Görres für die Oppositionellen, Gentz
für die Regierungsmänner, Ranke in der historisch-politischen Zeitschrift für
die Vermittelnden — scheinen ganz vergessen zu sein! Es ist kein Vergnügen,
diese drei Schriften durchzulesen: ein unerquicklicher Stoff aufs unerquicklichste
behandelt.




Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht
von <L, wernicke

er Fortschritt der medizinischen Wissenschaft in neuerer Zeit ist
in vielen Veziehuugeu auch der Rechtsprechung zu gute gekommen.
So bedeutet es in Fragen der Zurechnungsfähigkeit einen
Fortschritt und erleichtert das Urteil im besondern Falle unge¬
mein, daß um die Stelle des Begriffs der Geistesstörung der der
Geisteskrankheit getreten ist. Allerdings ist anch noch Geisteskrankheit ein
vieldeutiger Begriff, etwa so, wie wenn man von Leberkrankheit oder Darm¬
krankheit an sich sprechen wollte, aber doch nur so weit, als er wie jeder
Sammelname die verschiednen möglichen Geisteskrankheiten umfaßt. Es ist auch
zuzugeben, daß die Geisteskrankheiten noch lange nicht so gut bekannt und von
einander abgegrenzt sind, wie die der genannten beiden Körperorgane. Dennoch
ist für den einigermaßen erfahrenen und durchgebildete!: Fachmann die Geistes¬
krankheit ein so bestimmt mich außen hin abgegrenztes Gebiet, daß ein Zweifel,
ob sie in einem bestimmten Falle anzunehmen sei oder nicht, nur selten vor¬
kommen wird; und dies verdanken wir wesentlich jener Veränderung des Stand¬
punktes der Wissenschaft, die damit beginnen mußte, an ein bestimmtes Organ
des Geistes zu glaube», das, wie jedes andre, selbständig erkranken könne.

Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir in dem Wortlaut des 51.
Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuches den Ausdruck dieses veränderten
Standpunktes der Wissenschaft erblicken. Der Paragraph lautet: „Eine straf¬
bare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung
der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter
Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbe¬
stimmung ausgeschlossen war." Die krankhafte Störung der Geistesthätigkeit
soll augenscheinlich Geisteskrankheit bedeuten. Die Fassung des Paragraphen
hat denn auch niemals den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, daß
die Geisteskranken als unzurechnungsfähig betrachtet werden müssen.


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[0371] Die ZurechnmigsfÄhigkeit nach geltendem Recht bilder dieser litterarischen Gattung — Görres für die Oppositionellen, Gentz für die Regierungsmänner, Ranke in der historisch-politischen Zeitschrift für die Vermittelnden — scheinen ganz vergessen zu sein! Es ist kein Vergnügen, diese drei Schriften durchzulesen: ein unerquicklicher Stoff aufs unerquicklichste behandelt. Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht von <L, wernicke er Fortschritt der medizinischen Wissenschaft in neuerer Zeit ist in vielen Veziehuugeu auch der Rechtsprechung zu gute gekommen. So bedeutet es in Fragen der Zurechnungsfähigkeit einen Fortschritt und erleichtert das Urteil im besondern Falle unge¬ mein, daß um die Stelle des Begriffs der Geistesstörung der der Geisteskrankheit getreten ist. Allerdings ist anch noch Geisteskrankheit ein vieldeutiger Begriff, etwa so, wie wenn man von Leberkrankheit oder Darm¬ krankheit an sich sprechen wollte, aber doch nur so weit, als er wie jeder Sammelname die verschiednen möglichen Geisteskrankheiten umfaßt. Es ist auch zuzugeben, daß die Geisteskrankheiten noch lange nicht so gut bekannt und von einander abgegrenzt sind, wie die der genannten beiden Körperorgane. Dennoch ist für den einigermaßen erfahrenen und durchgebildete!: Fachmann die Geistes¬ krankheit ein so bestimmt mich außen hin abgegrenztes Gebiet, daß ein Zweifel, ob sie in einem bestimmten Falle anzunehmen sei oder nicht, nur selten vor¬ kommen wird; und dies verdanken wir wesentlich jener Veränderung des Stand¬ punktes der Wissenschaft, die damit beginnen mußte, an ein bestimmtes Organ des Geistes zu glaube», das, wie jedes andre, selbständig erkranken könne. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir in dem Wortlaut des 51. Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuches den Ausdruck dieses veränderten Standpunktes der Wissenschaft erblicken. Der Paragraph lautet: „Eine straf¬ bare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbe¬ stimmung ausgeschlossen war." Die krankhafte Störung der Geistesthätigkeit soll augenscheinlich Geisteskrankheit bedeuten. Die Fassung des Paragraphen hat denn auch niemals den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Geisteskranken als unzurechnungsfähig betrachtet werden müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/371>, abgerufen am 22.12.2024.