Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Flugschriften ans Ästerreich

Die Zugeständnisse, die um der Verfasser der "Neuen Bahnen" der
Regierung gemacht wissen Null, deutet er nur flüchtig an. Es bedürfe dabei,
meint er, "keines Verrath an angestammte" Grundsätzen und Überzeugungen,
sondern nur eiuer veränderten Taktik." In rein nntivnalen Fragen soll die
Linke ihren bisherigen Standpunkt wahren, sonst aber von Fall zu Fall, wie
in der Wehrgesetzdebatte, ohne jede Voreingenommenheit gegen das Ministerium
abstimmen und wo es nur irgendwie mit ihrer nationalen Überzeugung ver¬
einbar ist, die Regierung unterstützen. Den Einwand, das, diese Regierung
der deutschen Partei sür dieses Entgegenkommen wenig Dank wissen werde, bringt
der Verfasser selber vor, entgegnet aber: "Wir müssen den Grafen Taaffe, d. h.
die Regierung, zur Liebe einfach zwingen." Die Rechte werde dann freilich
ängstlicher als bisher bestrebt sein, der Regierung keine Zwangslage zu schaffen,
und auch die Negierung werde auf ihrer Hut sein. Einmal aber, dessen könne
man versichert sein, werde der Augenblick doch kommen, wo die Regierung
die angebotene Hilfe in Anspruch nehmen werde. Wie sich der Umschwung zu
Gunsten der Deutschen ändern werde, das wisse niemand, in einer Wiederkehr
der vortanffischen Zeit werde er nicht bestehen, aber eine entsprechende Ver¬
tretung der deutscheu Partei im Kabinet dürfe man dann hoffen, und dies
wäre -- mit dem Zustande der letzten zehn Jahre verglichen -- unstreitig ein
großer Gewinn. Der Verfasser schließt: "Als gute Österreicher wollen wir
den innern Frieden; als Deutsche wünschen wir, daß unser Stamm den ihm
gebührenden Anteil an der Regierung erhalte. Diese beiden Rücksichten lassen
eine kluge Kompromißpolitik rätlich erscheinen, wobei wir nicht an das augen¬
blickliche Kabinet Taaffe, sondern an die permanenten Gewalten unsers Staates,
welche um dem innern Frieden mehr interessirt sind als jede auf parlamentarische
Parteien gestützte Regierung,") uns wenden."

Ncnvsterreich von Otto Hornung (Zürich, Verlngsmagaziu, 18W) ist
eine Erwiderung auf die Ratschläge der "Neuen Bahnen." Diese Flugschrift
geht gleichfalls von einem Deutschen aus, ist aber in viel schärferem Tone
gehalten und Null -- um es gleich zu sagen -- von einer Kvmpromißpvlitik
gar nichts wissen, im Gegenteil, sie besteht ass der schärfste" Gegnerschaft zur
Regierung. Ju manchen Punkten stimmt sie aber doch mit den "Neuen Bahnen"
überein. Hier wie dort spricht sich eine starke Abneigung gegen die Klerikalen und
den historischen Adel aus, und auch die Auffassung des österreichischen Parlamen¬
tarismus ist in beiden Schriften dieselbe. Der Verfasser von "Neuösterreich" ist
auch überzeugt, daß das seit 1879 herrschende slaweufreundliche System mit der
veränderten Richtung unsrer auswärtigen Politik zusammenhänge. Zunächst aber



*) Dieser Satz enthält einen Wiederspruch gegen frühere Ausführungen der Flugschrift,
da ja nach diesen das Ministerin," Taaffe von den parlamentarischen oder genauer reichsrttt-
lichen Parteien unabhängig ist.
Flugschriften ans Ästerreich

Die Zugeständnisse, die um der Verfasser der „Neuen Bahnen" der
Regierung gemacht wissen Null, deutet er nur flüchtig an. Es bedürfe dabei,
meint er, „keines Verrath an angestammte« Grundsätzen und Überzeugungen,
sondern nur eiuer veränderten Taktik." In rein nntivnalen Fragen soll die
Linke ihren bisherigen Standpunkt wahren, sonst aber von Fall zu Fall, wie
in der Wehrgesetzdebatte, ohne jede Voreingenommenheit gegen das Ministerium
abstimmen und wo es nur irgendwie mit ihrer nationalen Überzeugung ver¬
einbar ist, die Regierung unterstützen. Den Einwand, das, diese Regierung
der deutschen Partei sür dieses Entgegenkommen wenig Dank wissen werde, bringt
der Verfasser selber vor, entgegnet aber: „Wir müssen den Grafen Taaffe, d. h.
die Regierung, zur Liebe einfach zwingen." Die Rechte werde dann freilich
ängstlicher als bisher bestrebt sein, der Regierung keine Zwangslage zu schaffen,
und auch die Negierung werde auf ihrer Hut sein. Einmal aber, dessen könne
man versichert sein, werde der Augenblick doch kommen, wo die Regierung
die angebotene Hilfe in Anspruch nehmen werde. Wie sich der Umschwung zu
Gunsten der Deutschen ändern werde, das wisse niemand, in einer Wiederkehr
der vortanffischen Zeit werde er nicht bestehen, aber eine entsprechende Ver¬
tretung der deutscheu Partei im Kabinet dürfe man dann hoffen, und dies
wäre — mit dem Zustande der letzten zehn Jahre verglichen — unstreitig ein
großer Gewinn. Der Verfasser schließt: „Als gute Österreicher wollen wir
den innern Frieden; als Deutsche wünschen wir, daß unser Stamm den ihm
gebührenden Anteil an der Regierung erhalte. Diese beiden Rücksichten lassen
eine kluge Kompromißpolitik rätlich erscheinen, wobei wir nicht an das augen¬
blickliche Kabinet Taaffe, sondern an die permanenten Gewalten unsers Staates,
welche um dem innern Frieden mehr interessirt sind als jede auf parlamentarische
Parteien gestützte Regierung,") uns wenden."

Ncnvsterreich von Otto Hornung (Zürich, Verlngsmagaziu, 18W) ist
eine Erwiderung auf die Ratschläge der „Neuen Bahnen." Diese Flugschrift
geht gleichfalls von einem Deutschen aus, ist aber in viel schärferem Tone
gehalten und Null — um es gleich zu sagen — von einer Kvmpromißpvlitik
gar nichts wissen, im Gegenteil, sie besteht ass der schärfste» Gegnerschaft zur
Regierung. Ju manchen Punkten stimmt sie aber doch mit den „Neuen Bahnen"
überein. Hier wie dort spricht sich eine starke Abneigung gegen die Klerikalen und
den historischen Adel aus, und auch die Auffassung des österreichischen Parlamen¬
tarismus ist in beiden Schriften dieselbe. Der Verfasser von „Neuösterreich" ist
auch überzeugt, daß das seit 1879 herrschende slaweufreundliche System mit der
veränderten Richtung unsrer auswärtigen Politik zusammenhänge. Zunächst aber



*) Dieser Satz enthält einen Wiederspruch gegen frühere Ausführungen der Flugschrift,
da ja nach diesen das Ministerin,» Taaffe von den parlamentarischen oder genauer reichsrttt-
lichen Parteien unabhängig ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206363"/>
          <fw type="header" place="top"> Flugschriften ans Ästerreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1256"> Die Zugeständnisse, die um der Verfasser der &#x201E;Neuen Bahnen" der<lb/>
Regierung gemacht wissen Null, deutet er nur flüchtig an. Es bedürfe dabei,<lb/>
meint er, &#x201E;keines Verrath an angestammte« Grundsätzen und Überzeugungen,<lb/>
sondern nur eiuer veränderten Taktik." In rein nntivnalen Fragen soll die<lb/>
Linke ihren bisherigen Standpunkt wahren, sonst aber von Fall zu Fall, wie<lb/>
in der Wehrgesetzdebatte, ohne jede Voreingenommenheit gegen das Ministerium<lb/>
abstimmen und wo es nur irgendwie mit ihrer nationalen Überzeugung ver¬<lb/>
einbar ist, die Regierung unterstützen. Den Einwand, das, diese Regierung<lb/>
der deutschen Partei sür dieses Entgegenkommen wenig Dank wissen werde, bringt<lb/>
der Verfasser selber vor, entgegnet aber: &#x201E;Wir müssen den Grafen Taaffe, d. h.<lb/>
die Regierung, zur Liebe einfach zwingen." Die Rechte werde dann freilich<lb/>
ängstlicher als bisher bestrebt sein, der Regierung keine Zwangslage zu schaffen,<lb/>
und auch die Negierung werde auf ihrer Hut sein. Einmal aber, dessen könne<lb/>
man versichert sein, werde der Augenblick doch kommen, wo die Regierung<lb/>
die angebotene Hilfe in Anspruch nehmen werde. Wie sich der Umschwung zu<lb/>
Gunsten der Deutschen ändern werde, das wisse niemand, in einer Wiederkehr<lb/>
der vortanffischen Zeit werde er nicht bestehen, aber eine entsprechende Ver¬<lb/>
tretung der deutscheu Partei im Kabinet dürfe man dann hoffen, und dies<lb/>
wäre &#x2014; mit dem Zustande der letzten zehn Jahre verglichen &#x2014; unstreitig ein<lb/>
großer Gewinn. Der Verfasser schließt: &#x201E;Als gute Österreicher wollen wir<lb/>
den innern Frieden; als Deutsche wünschen wir, daß unser Stamm den ihm<lb/>
gebührenden Anteil an der Regierung erhalte. Diese beiden Rücksichten lassen<lb/>
eine kluge Kompromißpolitik rätlich erscheinen, wobei wir nicht an das augen¬<lb/>
blickliche Kabinet Taaffe, sondern an die permanenten Gewalten unsers Staates,<lb/>
welche um dem innern Frieden mehr interessirt sind als jede auf parlamentarische<lb/>
Parteien gestützte Regierung,") uns wenden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1257" next="#ID_1258"> Ncnvsterreich von Otto Hornung (Zürich, Verlngsmagaziu, 18W) ist<lb/>
eine Erwiderung auf die Ratschläge der &#x201E;Neuen Bahnen." Diese Flugschrift<lb/>
geht gleichfalls von einem Deutschen aus, ist aber in viel schärferem Tone<lb/>
gehalten und Null &#x2014; um es gleich zu sagen &#x2014; von einer Kvmpromißpvlitik<lb/>
gar nichts wissen, im Gegenteil, sie besteht ass der schärfste» Gegnerschaft zur<lb/>
Regierung. Ju manchen Punkten stimmt sie aber doch mit den &#x201E;Neuen Bahnen"<lb/>
überein. Hier wie dort spricht sich eine starke Abneigung gegen die Klerikalen und<lb/>
den historischen Adel aus, und auch die Auffassung des österreichischen Parlamen¬<lb/>
tarismus ist in beiden Schriften dieselbe. Der Verfasser von &#x201E;Neuösterreich" ist<lb/>
auch überzeugt, daß das seit 1879 herrschende slaweufreundliche System mit der<lb/>
veränderten Richtung unsrer auswärtigen Politik zusammenhänge. Zunächst aber</p><lb/>
          <note xml:id="FID_42" place="foot"> *) Dieser Satz enthält einen Wiederspruch gegen frühere Ausführungen der Flugschrift,<lb/>
da ja nach diesen das Ministerin,» Taaffe von den parlamentarischen oder genauer reichsrttt-<lb/>
lichen Parteien unabhängig ist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] Flugschriften ans Ästerreich Die Zugeständnisse, die um der Verfasser der „Neuen Bahnen" der Regierung gemacht wissen Null, deutet er nur flüchtig an. Es bedürfe dabei, meint er, „keines Verrath an angestammte« Grundsätzen und Überzeugungen, sondern nur eiuer veränderten Taktik." In rein nntivnalen Fragen soll die Linke ihren bisherigen Standpunkt wahren, sonst aber von Fall zu Fall, wie in der Wehrgesetzdebatte, ohne jede Voreingenommenheit gegen das Ministerium abstimmen und wo es nur irgendwie mit ihrer nationalen Überzeugung ver¬ einbar ist, die Regierung unterstützen. Den Einwand, das, diese Regierung der deutschen Partei sür dieses Entgegenkommen wenig Dank wissen werde, bringt der Verfasser selber vor, entgegnet aber: „Wir müssen den Grafen Taaffe, d. h. die Regierung, zur Liebe einfach zwingen." Die Rechte werde dann freilich ängstlicher als bisher bestrebt sein, der Regierung keine Zwangslage zu schaffen, und auch die Negierung werde auf ihrer Hut sein. Einmal aber, dessen könne man versichert sein, werde der Augenblick doch kommen, wo die Regierung die angebotene Hilfe in Anspruch nehmen werde. Wie sich der Umschwung zu Gunsten der Deutschen ändern werde, das wisse niemand, in einer Wiederkehr der vortanffischen Zeit werde er nicht bestehen, aber eine entsprechende Ver¬ tretung der deutscheu Partei im Kabinet dürfe man dann hoffen, und dies wäre — mit dem Zustande der letzten zehn Jahre verglichen — unstreitig ein großer Gewinn. Der Verfasser schließt: „Als gute Österreicher wollen wir den innern Frieden; als Deutsche wünschen wir, daß unser Stamm den ihm gebührenden Anteil an der Regierung erhalte. Diese beiden Rücksichten lassen eine kluge Kompromißpolitik rätlich erscheinen, wobei wir nicht an das augen¬ blickliche Kabinet Taaffe, sondern an die permanenten Gewalten unsers Staates, welche um dem innern Frieden mehr interessirt sind als jede auf parlamentarische Parteien gestützte Regierung,") uns wenden." Ncnvsterreich von Otto Hornung (Zürich, Verlngsmagaziu, 18W) ist eine Erwiderung auf die Ratschläge der „Neuen Bahnen." Diese Flugschrift geht gleichfalls von einem Deutschen aus, ist aber in viel schärferem Tone gehalten und Null — um es gleich zu sagen — von einer Kvmpromißpvlitik gar nichts wissen, im Gegenteil, sie besteht ass der schärfste» Gegnerschaft zur Regierung. Ju manchen Punkten stimmt sie aber doch mit den „Neuen Bahnen" überein. Hier wie dort spricht sich eine starke Abneigung gegen die Klerikalen und den historischen Adel aus, und auch die Auffassung des österreichischen Parlamen¬ tarismus ist in beiden Schriften dieselbe. Der Verfasser von „Neuösterreich" ist auch überzeugt, daß das seit 1879 herrschende slaweufreundliche System mit der veränderten Richtung unsrer auswärtigen Politik zusammenhänge. Zunächst aber *) Dieser Satz enthält einen Wiederspruch gegen frühere Ausführungen der Flugschrift, da ja nach diesen das Ministerin,» Taaffe von den parlamentarischen oder genauer reichsrttt- lichen Parteien unabhängig ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/364>, abgerufen am 02.07.2024.