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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Flugschriften ans (Österreich

Streng genommen ist nämlich der Reichsrat, wie er sich in Wien ver¬
sammelt, gar kein Parlament, sondern "ein Nationalitätenkongreß in parlamen¬
tarischen Formen." Es sind große und kleine nationale Parteien da, aber
alle enthalten die verschiedenartigsten Elemente in sich vereinigt: Konservative,
Liberale, Schutzzöllner, Freihändler, Agrarier, Mauchestermünner, Antisemiten -
sie alle stimmen in wichtigen Dingen gemeinsam gegen eine ebenso bunte Schar
nationaler Gegner. Die Regierung weiß das, und es ist ihr keineswegs er¬
freulich, aber sie vermag nichts dagegen, sie fügt sich den Thatsachen. Die
Linke aber -- die nicht etwa wie in andern Parlamenten nur Liberale, Demo¬
kraten, Radikale umsaßt, sondern eben die Deutschen, mit einziger Ausnahme
der Klerikalen -- verschließt sich dagegen, thut so, als wenn wirklich ein
Parlament dawäre, wie etwa in England, und verlegt sich ans einen parla¬
mentarischen Kampf, der natürlich aussichtslos ist. Und selbst Angegeben, daß
es den Deutschen einmal gelange, die Majorität des Hauses gegen die Regierung
zu vereinen, der Sturz des Ministeriums würde keineswegs die Folge sein.
"Gras Taaffe ist kein parlamentarischer Minister, er hat diesen Ehrgeiz nie
gehabt." Seine Stellung ruht vor allem auf dem Vertrauen der Krone. Das
ist wirklich so, und wir sind weit entfernt, darin an und für sich ein Unglück
zu sehen. Im Gegenteil: Eigenart und Überlieferung der österreichischen Reichs-
hälfte verlangen gerade eine solche Regierung, und nur unverbesserliche Doktrinäre
werden bei uns eine parlamentarische Parteiregierung eingerichtet wissen wollen.
Das Unglück der Deutschen liegt nur darin, daß die Krone eben aus Gründen
auswärtiger Politik das slawensreundliche System angenommen hat.

Was bleibt nun also den Deutschen, so schließt der Verfasser, als ein
Kompromiß mit diesem System? Sie mögen endlich einmal aufhören, in dem
"Zentralabrechnungsamt" am Burgring ein Parlament zu sehen, sie mögen
den Gedanken aufgeben, das Ministerium parlamentarisch zu stürzen. Mit der
Mehrheit können sie nicht Pallirer, wohl aber mit der Regierung, mit dieser
müssen sie sich abfinden, ihr Ziel muß sein, "eine angemessene Vertretung in
der Regierung j^eine Regierung des Taaffischen Systems ist gemeint^ zu er¬
halten." Dann werden die Deutschen auch den extremen Forderungen und
Bestrebungen der nationalen sowie denen der Klerikalen -- denen unser Verfasser
besonders feind ist -- wirksam entgegentreten können. Vor nichts aber werden
die Deutschen in dieser Flugschrift eindringlicher gewarnt, als vor einer den
österreichischen Staatsgedanken zunächst ganz beiseite setzenden rücksichtslos
nationalen Politik, wie sie wohl hie und da gefordert wird. Denn diese
müßte unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu einem gänzlichen Verzicht auf
die Teilnahme an der Gesetzgebung, zum Austritt aus dem Reichsrate führen,
was "zwar unzweifelhaft den nationalen Gedanken in den geschlossenen deutschen
Bezirken außerordentlich kräftigen, dagegen alle deutschen Minoritäten, nament¬
lich in Böhmen und Mähren, rettungslos dem slawischen Moloch opfern" würde.


Flugschriften ans (Österreich

Streng genommen ist nämlich der Reichsrat, wie er sich in Wien ver¬
sammelt, gar kein Parlament, sondern „ein Nationalitätenkongreß in parlamen¬
tarischen Formen." Es sind große und kleine nationale Parteien da, aber
alle enthalten die verschiedenartigsten Elemente in sich vereinigt: Konservative,
Liberale, Schutzzöllner, Freihändler, Agrarier, Mauchestermünner, Antisemiten -
sie alle stimmen in wichtigen Dingen gemeinsam gegen eine ebenso bunte Schar
nationaler Gegner. Die Regierung weiß das, und es ist ihr keineswegs er¬
freulich, aber sie vermag nichts dagegen, sie fügt sich den Thatsachen. Die
Linke aber — die nicht etwa wie in andern Parlamenten nur Liberale, Demo¬
kraten, Radikale umsaßt, sondern eben die Deutschen, mit einziger Ausnahme
der Klerikalen — verschließt sich dagegen, thut so, als wenn wirklich ein
Parlament dawäre, wie etwa in England, und verlegt sich ans einen parla¬
mentarischen Kampf, der natürlich aussichtslos ist. Und selbst Angegeben, daß
es den Deutschen einmal gelange, die Majorität des Hauses gegen die Regierung
zu vereinen, der Sturz des Ministeriums würde keineswegs die Folge sein.
„Gras Taaffe ist kein parlamentarischer Minister, er hat diesen Ehrgeiz nie
gehabt." Seine Stellung ruht vor allem auf dem Vertrauen der Krone. Das
ist wirklich so, und wir sind weit entfernt, darin an und für sich ein Unglück
zu sehen. Im Gegenteil: Eigenart und Überlieferung der österreichischen Reichs-
hälfte verlangen gerade eine solche Regierung, und nur unverbesserliche Doktrinäre
werden bei uns eine parlamentarische Parteiregierung eingerichtet wissen wollen.
Das Unglück der Deutschen liegt nur darin, daß die Krone eben aus Gründen
auswärtiger Politik das slawensreundliche System angenommen hat.

Was bleibt nun also den Deutschen, so schließt der Verfasser, als ein
Kompromiß mit diesem System? Sie mögen endlich einmal aufhören, in dem
„Zentralabrechnungsamt" am Burgring ein Parlament zu sehen, sie mögen
den Gedanken aufgeben, das Ministerium parlamentarisch zu stürzen. Mit der
Mehrheit können sie nicht Pallirer, wohl aber mit der Regierung, mit dieser
müssen sie sich abfinden, ihr Ziel muß sein, „eine angemessene Vertretung in
der Regierung j^eine Regierung des Taaffischen Systems ist gemeint^ zu er¬
halten." Dann werden die Deutschen auch den extremen Forderungen und
Bestrebungen der nationalen sowie denen der Klerikalen — denen unser Verfasser
besonders feind ist — wirksam entgegentreten können. Vor nichts aber werden
die Deutschen in dieser Flugschrift eindringlicher gewarnt, als vor einer den
österreichischen Staatsgedanken zunächst ganz beiseite setzenden rücksichtslos
nationalen Politik, wie sie wohl hie und da gefordert wird. Denn diese
müßte unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu einem gänzlichen Verzicht auf
die Teilnahme an der Gesetzgebung, zum Austritt aus dem Reichsrate führen,
was „zwar unzweifelhaft den nationalen Gedanken in den geschlossenen deutschen
Bezirken außerordentlich kräftigen, dagegen alle deutschen Minoritäten, nament¬
lich in Böhmen und Mähren, rettungslos dem slawischen Moloch opfern" würde.


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[0363] Flugschriften ans (Österreich Streng genommen ist nämlich der Reichsrat, wie er sich in Wien ver¬ sammelt, gar kein Parlament, sondern „ein Nationalitätenkongreß in parlamen¬ tarischen Formen." Es sind große und kleine nationale Parteien da, aber alle enthalten die verschiedenartigsten Elemente in sich vereinigt: Konservative, Liberale, Schutzzöllner, Freihändler, Agrarier, Mauchestermünner, Antisemiten - sie alle stimmen in wichtigen Dingen gemeinsam gegen eine ebenso bunte Schar nationaler Gegner. Die Regierung weiß das, und es ist ihr keineswegs er¬ freulich, aber sie vermag nichts dagegen, sie fügt sich den Thatsachen. Die Linke aber — die nicht etwa wie in andern Parlamenten nur Liberale, Demo¬ kraten, Radikale umsaßt, sondern eben die Deutschen, mit einziger Ausnahme der Klerikalen — verschließt sich dagegen, thut so, als wenn wirklich ein Parlament dawäre, wie etwa in England, und verlegt sich ans einen parla¬ mentarischen Kampf, der natürlich aussichtslos ist. Und selbst Angegeben, daß es den Deutschen einmal gelange, die Majorität des Hauses gegen die Regierung zu vereinen, der Sturz des Ministeriums würde keineswegs die Folge sein. „Gras Taaffe ist kein parlamentarischer Minister, er hat diesen Ehrgeiz nie gehabt." Seine Stellung ruht vor allem auf dem Vertrauen der Krone. Das ist wirklich so, und wir sind weit entfernt, darin an und für sich ein Unglück zu sehen. Im Gegenteil: Eigenart und Überlieferung der österreichischen Reichs- hälfte verlangen gerade eine solche Regierung, und nur unverbesserliche Doktrinäre werden bei uns eine parlamentarische Parteiregierung eingerichtet wissen wollen. Das Unglück der Deutschen liegt nur darin, daß die Krone eben aus Gründen auswärtiger Politik das slawensreundliche System angenommen hat. Was bleibt nun also den Deutschen, so schließt der Verfasser, als ein Kompromiß mit diesem System? Sie mögen endlich einmal aufhören, in dem „Zentralabrechnungsamt" am Burgring ein Parlament zu sehen, sie mögen den Gedanken aufgeben, das Ministerium parlamentarisch zu stürzen. Mit der Mehrheit können sie nicht Pallirer, wohl aber mit der Regierung, mit dieser müssen sie sich abfinden, ihr Ziel muß sein, „eine angemessene Vertretung in der Regierung j^eine Regierung des Taaffischen Systems ist gemeint^ zu er¬ halten." Dann werden die Deutschen auch den extremen Forderungen und Bestrebungen der nationalen sowie denen der Klerikalen — denen unser Verfasser besonders feind ist — wirksam entgegentreten können. Vor nichts aber werden die Deutschen in dieser Flugschrift eindringlicher gewarnt, als vor einer den österreichischen Staatsgedanken zunächst ganz beiseite setzenden rücksichtslos nationalen Politik, wie sie wohl hie und da gefordert wird. Denn diese müßte unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu einem gänzlichen Verzicht auf die Teilnahme an der Gesetzgebung, zum Austritt aus dem Reichsrate führen, was „zwar unzweifelhaft den nationalen Gedanken in den geschlossenen deutschen Bezirken außerordentlich kräftigen, dagegen alle deutschen Minoritäten, nament¬ lich in Böhmen und Mähren, rettungslos dem slawischen Moloch opfern" würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/363>, abgerufen am 02.07.2024.