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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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England und Frankreich am Nil

MI seine Landsleute und zeigte ihnen, daß England mit seiner herkömmlichen
selbstsüchtigen Schlauheit herausgefunden habe, wie der Kanal ein Schlag gegen
seinen Handel und seine Herrschaft im Osten der alten Welt werden müsse; es
bekämpft ihn, rief er ihnen zu, mit allen Mitteln, mit seiner Diplomatie und
seiner Presse, wollen da die Franzosen thatenlos zuschauen und gestatten, daß
der Urheber des Planes, der Fürsprecher und Vorkämpfer des französischen
Interesses unterliegt? Die Ansprache that ihre volle Wirkung: Hunderttausende
von kleinen Kapitalisten entsprachen ihr und schütteten ihre Ersparnisse in die Kasse
des klugen Ingenieurs und Wirtschaftspolitikers. Hätte England mehr Weitblick
besessen und ein Unternehmen, das seinen Verkehr mit dem Osten sehr wesentlich zu
erleichtern versprach, freudig begrüßt, so wäre in Frankreich vermutlich uicht der
zwanzigste Teil jener Geldsumme gezeichnet worden, die Lesfepssich damals zufließen
sah. So haben denn die thörichten Meinungen und Handlungen der Engländer
in dieser Angelegenheit, deren glücklicher Ausgang dem Staate Ägypten doppelten
Wert gegeben hat, mehr für Englands Interesse gethan als alle Klugheit für
sie vermocht hätte. Frankreich hat den Kanal, ohne es zu wollen, für Eng¬
land gebaut, und dieses hat sich das später in doppelter Weise zu nutze zu
machen verstanden. Er ist jetzt und schon seit Jahren in jeder Beziehung vor
allen Dingen ein britischer Handelsweg und eine Verkürzung der Entfernung
zwischen der westlichen und der östlichen Hälfte des britischen Weltreichs. Die
englische Schiffahrt bezahlt drei Viertel der Abgaben, die für die Durchfahrt
erhoben werde,?, und wenn die Aktien, die Lord Beaconsfield dem Khedive
Ismail abgekauft hat, Zinsen tragen, so wird England mehr als den dritten
Teil dessen einstreichen, was der jährliche Gesamtertrag des Kanals sein wird.
Das ist jedoch nicht das Verdienst britischer Staatskunst oder Folge von
Zaubermitteln, mit denen sie Unklugheiten in Triumphe zu verwandeln vermocht
hätte, sondern diese Staatskunst ist, wenn wir von Beaeonsfields klugem Kaufe
absehen, gewissermaßen in den Erfolg hineingetaumelt. Der Zauber liegt in
andern Kreisen. Die englischen Kaufleute, Fabrikanten, Schiffseigner und See¬
leute sind es, die mit geschickter und rühriger Benutzung der Mittel und Wege,
die dem Lande von der Natur zur Verfügung gestellt waren, den Handel des¬
selben so mächtig gemacht haben, daß jede neue Wasserstraße, jeder neue Hafen,
jedes neu erschlossene überseeische Land in der Regel nach wenigen Jahren die
Bedeutung eines Zuwachses an wirtschaftlichem Überwiegen für England be¬
deutet. Ein andres Beispiel dafür neben Ägypten ist Tonkin. Es ist von
den Franzosen erobert worden, aber die Engländer machen dort trotz der ihnen
feindlichen Tarife bei weitem mehr Geschäfte als seine Herren, denen das Land
fast so viel kostet, als es ihnen einträgt. Der Franzose hat zwar mehr Ge¬
schmack in der Industrie als der Engländer, er versteht sich aufs Vergnügen,
auf die Schaustellung, much auf den Erwerb von Land durch Waffengewalt,
aber er weiß seine Erwerbungen jenseits der Meere nicht recht zu regieren


England und Frankreich am Nil

MI seine Landsleute und zeigte ihnen, daß England mit seiner herkömmlichen
selbstsüchtigen Schlauheit herausgefunden habe, wie der Kanal ein Schlag gegen
seinen Handel und seine Herrschaft im Osten der alten Welt werden müsse; es
bekämpft ihn, rief er ihnen zu, mit allen Mitteln, mit seiner Diplomatie und
seiner Presse, wollen da die Franzosen thatenlos zuschauen und gestatten, daß
der Urheber des Planes, der Fürsprecher und Vorkämpfer des französischen
Interesses unterliegt? Die Ansprache that ihre volle Wirkung: Hunderttausende
von kleinen Kapitalisten entsprachen ihr und schütteten ihre Ersparnisse in die Kasse
des klugen Ingenieurs und Wirtschaftspolitikers. Hätte England mehr Weitblick
besessen und ein Unternehmen, das seinen Verkehr mit dem Osten sehr wesentlich zu
erleichtern versprach, freudig begrüßt, so wäre in Frankreich vermutlich uicht der
zwanzigste Teil jener Geldsumme gezeichnet worden, die Lesfepssich damals zufließen
sah. So haben denn die thörichten Meinungen und Handlungen der Engländer
in dieser Angelegenheit, deren glücklicher Ausgang dem Staate Ägypten doppelten
Wert gegeben hat, mehr für Englands Interesse gethan als alle Klugheit für
sie vermocht hätte. Frankreich hat den Kanal, ohne es zu wollen, für Eng¬
land gebaut, und dieses hat sich das später in doppelter Weise zu nutze zu
machen verstanden. Er ist jetzt und schon seit Jahren in jeder Beziehung vor
allen Dingen ein britischer Handelsweg und eine Verkürzung der Entfernung
zwischen der westlichen und der östlichen Hälfte des britischen Weltreichs. Die
englische Schiffahrt bezahlt drei Viertel der Abgaben, die für die Durchfahrt
erhoben werde,?, und wenn die Aktien, die Lord Beaconsfield dem Khedive
Ismail abgekauft hat, Zinsen tragen, so wird England mehr als den dritten
Teil dessen einstreichen, was der jährliche Gesamtertrag des Kanals sein wird.
Das ist jedoch nicht das Verdienst britischer Staatskunst oder Folge von
Zaubermitteln, mit denen sie Unklugheiten in Triumphe zu verwandeln vermocht
hätte, sondern diese Staatskunst ist, wenn wir von Beaeonsfields klugem Kaufe
absehen, gewissermaßen in den Erfolg hineingetaumelt. Der Zauber liegt in
andern Kreisen. Die englischen Kaufleute, Fabrikanten, Schiffseigner und See¬
leute sind es, die mit geschickter und rühriger Benutzung der Mittel und Wege,
die dem Lande von der Natur zur Verfügung gestellt waren, den Handel des¬
selben so mächtig gemacht haben, daß jede neue Wasserstraße, jeder neue Hafen,
jedes neu erschlossene überseeische Land in der Regel nach wenigen Jahren die
Bedeutung eines Zuwachses an wirtschaftlichem Überwiegen für England be¬
deutet. Ein andres Beispiel dafür neben Ägypten ist Tonkin. Es ist von
den Franzosen erobert worden, aber die Engländer machen dort trotz der ihnen
feindlichen Tarife bei weitem mehr Geschäfte als seine Herren, denen das Land
fast so viel kostet, als es ihnen einträgt. Der Franzose hat zwar mehr Ge¬
schmack in der Industrie als der Engländer, er versteht sich aufs Vergnügen,
auf die Schaustellung, much auf den Erwerb von Land durch Waffengewalt,
aber er weiß seine Erwerbungen jenseits der Meere nicht recht zu regieren


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[0356] England und Frankreich am Nil MI seine Landsleute und zeigte ihnen, daß England mit seiner herkömmlichen selbstsüchtigen Schlauheit herausgefunden habe, wie der Kanal ein Schlag gegen seinen Handel und seine Herrschaft im Osten der alten Welt werden müsse; es bekämpft ihn, rief er ihnen zu, mit allen Mitteln, mit seiner Diplomatie und seiner Presse, wollen da die Franzosen thatenlos zuschauen und gestatten, daß der Urheber des Planes, der Fürsprecher und Vorkämpfer des französischen Interesses unterliegt? Die Ansprache that ihre volle Wirkung: Hunderttausende von kleinen Kapitalisten entsprachen ihr und schütteten ihre Ersparnisse in die Kasse des klugen Ingenieurs und Wirtschaftspolitikers. Hätte England mehr Weitblick besessen und ein Unternehmen, das seinen Verkehr mit dem Osten sehr wesentlich zu erleichtern versprach, freudig begrüßt, so wäre in Frankreich vermutlich uicht der zwanzigste Teil jener Geldsumme gezeichnet worden, die Lesfepssich damals zufließen sah. So haben denn die thörichten Meinungen und Handlungen der Engländer in dieser Angelegenheit, deren glücklicher Ausgang dem Staate Ägypten doppelten Wert gegeben hat, mehr für Englands Interesse gethan als alle Klugheit für sie vermocht hätte. Frankreich hat den Kanal, ohne es zu wollen, für Eng¬ land gebaut, und dieses hat sich das später in doppelter Weise zu nutze zu machen verstanden. Er ist jetzt und schon seit Jahren in jeder Beziehung vor allen Dingen ein britischer Handelsweg und eine Verkürzung der Entfernung zwischen der westlichen und der östlichen Hälfte des britischen Weltreichs. Die englische Schiffahrt bezahlt drei Viertel der Abgaben, die für die Durchfahrt erhoben werde,?, und wenn die Aktien, die Lord Beaconsfield dem Khedive Ismail abgekauft hat, Zinsen tragen, so wird England mehr als den dritten Teil dessen einstreichen, was der jährliche Gesamtertrag des Kanals sein wird. Das ist jedoch nicht das Verdienst britischer Staatskunst oder Folge von Zaubermitteln, mit denen sie Unklugheiten in Triumphe zu verwandeln vermocht hätte, sondern diese Staatskunst ist, wenn wir von Beaeonsfields klugem Kaufe absehen, gewissermaßen in den Erfolg hineingetaumelt. Der Zauber liegt in andern Kreisen. Die englischen Kaufleute, Fabrikanten, Schiffseigner und See¬ leute sind es, die mit geschickter und rühriger Benutzung der Mittel und Wege, die dem Lande von der Natur zur Verfügung gestellt waren, den Handel des¬ selben so mächtig gemacht haben, daß jede neue Wasserstraße, jeder neue Hafen, jedes neu erschlossene überseeische Land in der Regel nach wenigen Jahren die Bedeutung eines Zuwachses an wirtschaftlichem Überwiegen für England be¬ deutet. Ein andres Beispiel dafür neben Ägypten ist Tonkin. Es ist von den Franzosen erobert worden, aber die Engländer machen dort trotz der ihnen feindlichen Tarife bei weitem mehr Geschäfte als seine Herren, denen das Land fast so viel kostet, als es ihnen einträgt. Der Franzose hat zwar mehr Ge¬ schmack in der Industrie als der Engländer, er versteht sich aufs Vergnügen, auf die Schaustellung, much auf den Erwerb von Land durch Waffengewalt, aber er weiß seine Erwerbungen jenseits der Meere nicht recht zu regieren

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/356>, abgerufen am 22.12.2024.