Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
England und Frankreich am Nil

zur großen Wasserstraße nicht für den französischen, sondern für den britische"
Handel, und die zweifache Kontrole mußte der alleinigen englischen Oberaufsicht
Platz macheu. Gleich unglücklich war die französische Politik mit denen, die
unter den Ägyptern für sie thätig waren. Der rebellische Vasall der Pforte,
Mehemed Ali, wurde auf seinein Siegeslaufe gegen den Sultan Mahumed von
den Großmächten aufgehalten und zurückgewiesen und die Empörung Arabi
Paschas durch ein englisches Heer mit Zustimmung Europas niedergeworfen.
Die einzige wirksame Gegenmaßregel, die Frankreich seitdem wagte, war seine
Weigerung, eine finanzielle Abänderung der Dinge zu erlauben, die den ägyp¬
tischen Steuerzahler" ungefähr zwanzig Millionen Mark das Jahr in den
Taschen gelassen haben würde -- ein Verfahren, das einem großen Staate
nicht gerade schön zu Gesichte stand, und das sich nur mit dem Erfahrungs-
sätze erklären läßt, daß Nationen, die keine Politik großen Stils mehr treiben
können, häufig der Meinung sind, sich durch kleinliche Äußerungen des Grolles
und persönlicher Ungefälligkeit und UnHöflichkeit dafür schadlos halten zu dürfen,
womit sie aber dem Gegner nur kleine Steine in den Weg werfen und mehr
dein eignen Ansehen Abbruch thun.

Nun kann man der Ansicht sein, daß England, indem es aus dem Streite
mit Frankreich um die Beeinflussung Ägyptens siegreich hervorgegangen sei,
diesen Erfolg allein seiner überlegnen Staatsklugheit zu verdanken habe. Aber
dies ist bei genauerer Betrachtung der Ereignisse unbegründet oder wenigstens
sehr einzuschränken. Jeder ruhige Beobachter des Ganges der Dinge wird
vielmehr gewahr werden, daß jener Erfolg der britischen Politik am Nil zum
guten Teile trotz mancher Jrrgünge und Mißgriffe erreicht worden ist. Der
Suezkanal hat sich als ein gewaltiges Förderungsmittel des englischen Handels
und des gesamten Verkehrs Großbritanniens mit seinen Kolonien in Indien
und Australien erwiesen. Aber zuerst leistete England diesem französischen
Unternehmen aus alleu Kräften jeden möglichen Widerstand, indem Lord
Palmerston, der überhaupt als Staatsmann sehr überschätzt worden ist, und
die hervorragendsten englischen Sachverstandigen im Baufach und in Sachen
des Verkehrs, verblendet durch internationale Eifersucht, den Plan und Ge¬
danken der künstliche" Wasserstraße zwischen dem Mittelländischen und dem
Roten Meere für unausführbar erklärten und so die Beteiligung der englischen
Geldleute an der Aufbringung der Kosten verhinderten. Das hieß sehr unbe¬
sonnen urteilen, und gerade durch diese vorschnelle Abwendung von der Vor¬
bereitung des vielversprechenden Unternehmens und dessen eifrige und hart¬
näckige Anfeindung gelang es, die Franzosen dafür zu begeistern. Hätten sich
die Engländer bloß gleichgiltig dazu verhalte", hätten sie sich nur lau dafür
interessirt oder hätten sie es auch lebhast willkommen geheißen und kräftig zu
unterstützen Miene gemacht, so Hütte man in Frankreich wahrscheinlich kein
Herz dafür gehabt. Wie es dagegen in Wirklichkeit stand, wendete sich Lesseps


England und Frankreich am Nil

zur großen Wasserstraße nicht für den französischen, sondern für den britische»
Handel, und die zweifache Kontrole mußte der alleinigen englischen Oberaufsicht
Platz macheu. Gleich unglücklich war die französische Politik mit denen, die
unter den Ägyptern für sie thätig waren. Der rebellische Vasall der Pforte,
Mehemed Ali, wurde auf seinein Siegeslaufe gegen den Sultan Mahumed von
den Großmächten aufgehalten und zurückgewiesen und die Empörung Arabi
Paschas durch ein englisches Heer mit Zustimmung Europas niedergeworfen.
Die einzige wirksame Gegenmaßregel, die Frankreich seitdem wagte, war seine
Weigerung, eine finanzielle Abänderung der Dinge zu erlauben, die den ägyp¬
tischen Steuerzahler» ungefähr zwanzig Millionen Mark das Jahr in den
Taschen gelassen haben würde — ein Verfahren, das einem großen Staate
nicht gerade schön zu Gesichte stand, und das sich nur mit dem Erfahrungs-
sätze erklären läßt, daß Nationen, die keine Politik großen Stils mehr treiben
können, häufig der Meinung sind, sich durch kleinliche Äußerungen des Grolles
und persönlicher Ungefälligkeit und UnHöflichkeit dafür schadlos halten zu dürfen,
womit sie aber dem Gegner nur kleine Steine in den Weg werfen und mehr
dein eignen Ansehen Abbruch thun.

Nun kann man der Ansicht sein, daß England, indem es aus dem Streite
mit Frankreich um die Beeinflussung Ägyptens siegreich hervorgegangen sei,
diesen Erfolg allein seiner überlegnen Staatsklugheit zu verdanken habe. Aber
dies ist bei genauerer Betrachtung der Ereignisse unbegründet oder wenigstens
sehr einzuschränken. Jeder ruhige Beobachter des Ganges der Dinge wird
vielmehr gewahr werden, daß jener Erfolg der britischen Politik am Nil zum
guten Teile trotz mancher Jrrgünge und Mißgriffe erreicht worden ist. Der
Suezkanal hat sich als ein gewaltiges Förderungsmittel des englischen Handels
und des gesamten Verkehrs Großbritanniens mit seinen Kolonien in Indien
und Australien erwiesen. Aber zuerst leistete England diesem französischen
Unternehmen aus alleu Kräften jeden möglichen Widerstand, indem Lord
Palmerston, der überhaupt als Staatsmann sehr überschätzt worden ist, und
die hervorragendsten englischen Sachverstandigen im Baufach und in Sachen
des Verkehrs, verblendet durch internationale Eifersucht, den Plan und Ge¬
danken der künstliche» Wasserstraße zwischen dem Mittelländischen und dem
Roten Meere für unausführbar erklärten und so die Beteiligung der englischen
Geldleute an der Aufbringung der Kosten verhinderten. Das hieß sehr unbe¬
sonnen urteilen, und gerade durch diese vorschnelle Abwendung von der Vor¬
bereitung des vielversprechenden Unternehmens und dessen eifrige und hart¬
näckige Anfeindung gelang es, die Franzosen dafür zu begeistern. Hätten sich
die Engländer bloß gleichgiltig dazu verhalte», hätten sie sich nur lau dafür
interessirt oder hätten sie es auch lebhast willkommen geheißen und kräftig zu
unterstützen Miene gemacht, so Hütte man in Frankreich wahrscheinlich kein
Herz dafür gehabt. Wie es dagegen in Wirklichkeit stand, wendete sich Lesseps


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206354"/>
          <fw type="header" place="top"> England und Frankreich am Nil</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1236" prev="#ID_1235"> zur großen Wasserstraße nicht für den französischen, sondern für den britische»<lb/>
Handel, und die zweifache Kontrole mußte der alleinigen englischen Oberaufsicht<lb/>
Platz macheu. Gleich unglücklich war die französische Politik mit denen, die<lb/>
unter den Ägyptern für sie thätig waren. Der rebellische Vasall der Pforte,<lb/>
Mehemed Ali, wurde auf seinein Siegeslaufe gegen den Sultan Mahumed von<lb/>
den Großmächten aufgehalten und zurückgewiesen und die Empörung Arabi<lb/>
Paschas durch ein englisches Heer mit Zustimmung Europas niedergeworfen.<lb/>
Die einzige wirksame Gegenmaßregel, die Frankreich seitdem wagte, war seine<lb/>
Weigerung, eine finanzielle Abänderung der Dinge zu erlauben, die den ägyp¬<lb/>
tischen Steuerzahler» ungefähr zwanzig Millionen Mark das Jahr in den<lb/>
Taschen gelassen haben würde &#x2014; ein Verfahren, das einem großen Staate<lb/>
nicht gerade schön zu Gesichte stand, und das sich nur mit dem Erfahrungs-<lb/>
sätze erklären läßt, daß Nationen, die keine Politik großen Stils mehr treiben<lb/>
können, häufig der Meinung sind, sich durch kleinliche Äußerungen des Grolles<lb/>
und persönlicher Ungefälligkeit und UnHöflichkeit dafür schadlos halten zu dürfen,<lb/>
womit sie aber dem Gegner nur kleine Steine in den Weg werfen und mehr<lb/>
dein eignen Ansehen Abbruch thun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1237" next="#ID_1238"> Nun kann man der Ansicht sein, daß England, indem es aus dem Streite<lb/>
mit Frankreich um die Beeinflussung Ägyptens siegreich hervorgegangen sei,<lb/>
diesen Erfolg allein seiner überlegnen Staatsklugheit zu verdanken habe. Aber<lb/>
dies ist bei genauerer Betrachtung der Ereignisse unbegründet oder wenigstens<lb/>
sehr einzuschränken. Jeder ruhige Beobachter des Ganges der Dinge wird<lb/>
vielmehr gewahr werden, daß jener Erfolg der britischen Politik am Nil zum<lb/>
guten Teile trotz mancher Jrrgünge und Mißgriffe erreicht worden ist. Der<lb/>
Suezkanal hat sich als ein gewaltiges Förderungsmittel des englischen Handels<lb/>
und des gesamten Verkehrs Großbritanniens mit seinen Kolonien in Indien<lb/>
und Australien erwiesen. Aber zuerst leistete England diesem französischen<lb/>
Unternehmen aus alleu Kräften jeden möglichen Widerstand, indem Lord<lb/>
Palmerston, der überhaupt als Staatsmann sehr überschätzt worden ist, und<lb/>
die hervorragendsten englischen Sachverstandigen im Baufach und in Sachen<lb/>
des Verkehrs, verblendet durch internationale Eifersucht, den Plan und Ge¬<lb/>
danken der künstliche» Wasserstraße zwischen dem Mittelländischen und dem<lb/>
Roten Meere für unausführbar erklärten und so die Beteiligung der englischen<lb/>
Geldleute an der Aufbringung der Kosten verhinderten. Das hieß sehr unbe¬<lb/>
sonnen urteilen, und gerade durch diese vorschnelle Abwendung von der Vor¬<lb/>
bereitung des vielversprechenden Unternehmens und dessen eifrige und hart¬<lb/>
näckige Anfeindung gelang es, die Franzosen dafür zu begeistern. Hätten sich<lb/>
die Engländer bloß gleichgiltig dazu verhalte», hätten sie sich nur lau dafür<lb/>
interessirt oder hätten sie es auch lebhast willkommen geheißen und kräftig zu<lb/>
unterstützen Miene gemacht, so Hütte man in Frankreich wahrscheinlich kein<lb/>
Herz dafür gehabt. Wie es dagegen in Wirklichkeit stand, wendete sich Lesseps</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] England und Frankreich am Nil zur großen Wasserstraße nicht für den französischen, sondern für den britische» Handel, und die zweifache Kontrole mußte der alleinigen englischen Oberaufsicht Platz macheu. Gleich unglücklich war die französische Politik mit denen, die unter den Ägyptern für sie thätig waren. Der rebellische Vasall der Pforte, Mehemed Ali, wurde auf seinein Siegeslaufe gegen den Sultan Mahumed von den Großmächten aufgehalten und zurückgewiesen und die Empörung Arabi Paschas durch ein englisches Heer mit Zustimmung Europas niedergeworfen. Die einzige wirksame Gegenmaßregel, die Frankreich seitdem wagte, war seine Weigerung, eine finanzielle Abänderung der Dinge zu erlauben, die den ägyp¬ tischen Steuerzahler» ungefähr zwanzig Millionen Mark das Jahr in den Taschen gelassen haben würde — ein Verfahren, das einem großen Staate nicht gerade schön zu Gesichte stand, und das sich nur mit dem Erfahrungs- sätze erklären läßt, daß Nationen, die keine Politik großen Stils mehr treiben können, häufig der Meinung sind, sich durch kleinliche Äußerungen des Grolles und persönlicher Ungefälligkeit und UnHöflichkeit dafür schadlos halten zu dürfen, womit sie aber dem Gegner nur kleine Steine in den Weg werfen und mehr dein eignen Ansehen Abbruch thun. Nun kann man der Ansicht sein, daß England, indem es aus dem Streite mit Frankreich um die Beeinflussung Ägyptens siegreich hervorgegangen sei, diesen Erfolg allein seiner überlegnen Staatsklugheit zu verdanken habe. Aber dies ist bei genauerer Betrachtung der Ereignisse unbegründet oder wenigstens sehr einzuschränken. Jeder ruhige Beobachter des Ganges der Dinge wird vielmehr gewahr werden, daß jener Erfolg der britischen Politik am Nil zum guten Teile trotz mancher Jrrgünge und Mißgriffe erreicht worden ist. Der Suezkanal hat sich als ein gewaltiges Förderungsmittel des englischen Handels und des gesamten Verkehrs Großbritanniens mit seinen Kolonien in Indien und Australien erwiesen. Aber zuerst leistete England diesem französischen Unternehmen aus alleu Kräften jeden möglichen Widerstand, indem Lord Palmerston, der überhaupt als Staatsmann sehr überschätzt worden ist, und die hervorragendsten englischen Sachverstandigen im Baufach und in Sachen des Verkehrs, verblendet durch internationale Eifersucht, den Plan und Ge¬ danken der künstliche» Wasserstraße zwischen dem Mittelländischen und dem Roten Meere für unausführbar erklärten und so die Beteiligung der englischen Geldleute an der Aufbringung der Kosten verhinderten. Das hieß sehr unbe¬ sonnen urteilen, und gerade durch diese vorschnelle Abwendung von der Vor¬ bereitung des vielversprechenden Unternehmens und dessen eifrige und hart¬ näckige Anfeindung gelang es, die Franzosen dafür zu begeistern. Hätten sich die Engländer bloß gleichgiltig dazu verhalte», hätten sie sich nur lau dafür interessirt oder hätten sie es auch lebhast willkommen geheißen und kräftig zu unterstützen Miene gemacht, so Hütte man in Frankreich wahrscheinlich kein Herz dafür gehabt. Wie es dagegen in Wirklichkeit stand, wendete sich Lesseps

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/355>, abgerufen am 23.06.2024.