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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

Martha! flüsterte er. Wir wolle" uns nicht trennen! Ich reise nicht!
Ich kann nicht von dir lassen! Ich will hier bleiben. Ich liebe dich! Ich
habe dich seit dem ersten Tage geliebt. Du kannst nicht fassen, wie teuer du
mir gewesen bist. Jedesmal, wenn ich an dich dachte, war ich wie von Sinnen.
Ich habe nicht schlafen können -- ich -- Und du hast mich auch lieb, uicht
wahr? Hast du mich nicht lieb, Martha? Ich habe es dir ja angesehen!
Nicht wahr, du liebst mich! Ach, sag es mir doch!

Durch diese plötzliche Umarmung, diesen heftigen Ausbruch der so lange
zurückgehaltenen Leidenschaft des jungen Mannes, kam Martha schnell zur Be¬
sinnung. Eine ängstliche Blässe überfiel ihre Wangen, und ihre Glieder zitterten
vom Scheitel bis zur Sohle. Da sie keine Kraft hatte, sich von seiner Um¬
armung zu befreien, wandte sie sich ab und barg ihr Antlitz in den Händen,
als wollte sie mit Gewalt Herz und Ohr vor dem Strome von Zärtlichkeit,
von Liebkosungen, von gestammelten Geständnissen und sündigen Bitten ver¬
schließen, mit denen er sie unaufhaltsam überschwemmte.

Halten Sie ein! Halten Sie ein! stöhnte sie atemlos und beugte sich ganz
zusammen über ihr pochendes Herz. Wie in einem Wirbel lief ihr das
Schicksal der Mutter, das Schicksal Anne-Melech und Jörgineus furchtbares
Los durch den Kopf. Und doch war es eine Minute höchsten Glückes, als er
endlich vor ihr auf die Kniee sank, bleich, verwirrt, ihre Hand mit Küssen
bedeckend, die zärtlichsten Namen stammelnd.

Plötzlich hob sie den Kopf und griff voller Angst nach seinem Arm.

Se! kommt da uicht jemand? -- Auch er erhob sich hastig und lauschte. In
weiter Ferne erklangen wirklich Schritte.

Das ist die Mutter! sagte sie. Sie darf Sie nicht sehen! Sie müssen
gehen! flehte sie und streckte die gefalteten Hände aus.

Er gehorchte sofort. Vorher jedoch ergriff er ihre Hände und zog sie
noch einmal leidenschaftlich an sich. Als sie seinem Blick begegnete, färbte ihr
tiefe Scham aufs neue Hals und Wangen, und als fie abermals einen
brennenden Kuß auf ihrer Wange fühlte, sank sie ihm willenlos an die Brust.

Bist du mein? flüsterte er.

Ja!

Und willst dn heute abend, wenn es dunkel wird, bei der großen
Eiche sein?

Sie blickte ihn mit einem kurzen, eigentümlichen Blick an und entwand
sich langsam seinem Arm; dann ging sie an den großen Koffer und legte aber¬
mals Kopf und Hände auf die Kante desselben. Ein brennende Röte bedeckte
ihre Wangen. Er folgte ihr nicht.

Wirst du kommen, Martha? flehte er. Wirst dn kommen?

Ja! -- Es kam heiser, fast lautlos heraus. Wenn ich an den Stamm
klopfe -- hörst du?


Junge Liebe

Martha! flüsterte er. Wir wolle» uns nicht trennen! Ich reise nicht!
Ich kann nicht von dir lassen! Ich will hier bleiben. Ich liebe dich! Ich
habe dich seit dem ersten Tage geliebt. Du kannst nicht fassen, wie teuer du
mir gewesen bist. Jedesmal, wenn ich an dich dachte, war ich wie von Sinnen.
Ich habe nicht schlafen können — ich — Und du hast mich auch lieb, uicht
wahr? Hast du mich nicht lieb, Martha? Ich habe es dir ja angesehen!
Nicht wahr, du liebst mich! Ach, sag es mir doch!

Durch diese plötzliche Umarmung, diesen heftigen Ausbruch der so lange
zurückgehaltenen Leidenschaft des jungen Mannes, kam Martha schnell zur Be¬
sinnung. Eine ängstliche Blässe überfiel ihre Wangen, und ihre Glieder zitterten
vom Scheitel bis zur Sohle. Da sie keine Kraft hatte, sich von seiner Um¬
armung zu befreien, wandte sie sich ab und barg ihr Antlitz in den Händen,
als wollte sie mit Gewalt Herz und Ohr vor dem Strome von Zärtlichkeit,
von Liebkosungen, von gestammelten Geständnissen und sündigen Bitten ver¬
schließen, mit denen er sie unaufhaltsam überschwemmte.

Halten Sie ein! Halten Sie ein! stöhnte sie atemlos und beugte sich ganz
zusammen über ihr pochendes Herz. Wie in einem Wirbel lief ihr das
Schicksal der Mutter, das Schicksal Anne-Melech und Jörgineus furchtbares
Los durch den Kopf. Und doch war es eine Minute höchsten Glückes, als er
endlich vor ihr auf die Kniee sank, bleich, verwirrt, ihre Hand mit Küssen
bedeckend, die zärtlichsten Namen stammelnd.

Plötzlich hob sie den Kopf und griff voller Angst nach seinem Arm.

Se! kommt da uicht jemand? — Auch er erhob sich hastig und lauschte. In
weiter Ferne erklangen wirklich Schritte.

Das ist die Mutter! sagte sie. Sie darf Sie nicht sehen! Sie müssen
gehen! flehte sie und streckte die gefalteten Hände aus.

Er gehorchte sofort. Vorher jedoch ergriff er ihre Hände und zog sie
noch einmal leidenschaftlich an sich. Als sie seinem Blick begegnete, färbte ihr
tiefe Scham aufs neue Hals und Wangen, und als fie abermals einen
brennenden Kuß auf ihrer Wange fühlte, sank sie ihm willenlos an die Brust.

Bist du mein? flüsterte er.

Ja!

Und willst dn heute abend, wenn es dunkel wird, bei der großen
Eiche sein?

Sie blickte ihn mit einem kurzen, eigentümlichen Blick an und entwand
sich langsam seinem Arm; dann ging sie an den großen Koffer und legte aber¬
mals Kopf und Hände auf die Kante desselben. Ein brennende Röte bedeckte
ihre Wangen. Er folgte ihr nicht.

Wirst du kommen, Martha? flehte er. Wirst dn kommen?

Ja! — Es kam heiser, fast lautlos heraus. Wenn ich an den Stamm
klopfe — hörst du?


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[0348] Junge Liebe Martha! flüsterte er. Wir wolle» uns nicht trennen! Ich reise nicht! Ich kann nicht von dir lassen! Ich will hier bleiben. Ich liebe dich! Ich habe dich seit dem ersten Tage geliebt. Du kannst nicht fassen, wie teuer du mir gewesen bist. Jedesmal, wenn ich an dich dachte, war ich wie von Sinnen. Ich habe nicht schlafen können — ich — Und du hast mich auch lieb, uicht wahr? Hast du mich nicht lieb, Martha? Ich habe es dir ja angesehen! Nicht wahr, du liebst mich! Ach, sag es mir doch! Durch diese plötzliche Umarmung, diesen heftigen Ausbruch der so lange zurückgehaltenen Leidenschaft des jungen Mannes, kam Martha schnell zur Be¬ sinnung. Eine ängstliche Blässe überfiel ihre Wangen, und ihre Glieder zitterten vom Scheitel bis zur Sohle. Da sie keine Kraft hatte, sich von seiner Um¬ armung zu befreien, wandte sie sich ab und barg ihr Antlitz in den Händen, als wollte sie mit Gewalt Herz und Ohr vor dem Strome von Zärtlichkeit, von Liebkosungen, von gestammelten Geständnissen und sündigen Bitten ver¬ schließen, mit denen er sie unaufhaltsam überschwemmte. Halten Sie ein! Halten Sie ein! stöhnte sie atemlos und beugte sich ganz zusammen über ihr pochendes Herz. Wie in einem Wirbel lief ihr das Schicksal der Mutter, das Schicksal Anne-Melech und Jörgineus furchtbares Los durch den Kopf. Und doch war es eine Minute höchsten Glückes, als er endlich vor ihr auf die Kniee sank, bleich, verwirrt, ihre Hand mit Küssen bedeckend, die zärtlichsten Namen stammelnd. Plötzlich hob sie den Kopf und griff voller Angst nach seinem Arm. Se! kommt da uicht jemand? — Auch er erhob sich hastig und lauschte. In weiter Ferne erklangen wirklich Schritte. Das ist die Mutter! sagte sie. Sie darf Sie nicht sehen! Sie müssen gehen! flehte sie und streckte die gefalteten Hände aus. Er gehorchte sofort. Vorher jedoch ergriff er ihre Hände und zog sie noch einmal leidenschaftlich an sich. Als sie seinem Blick begegnete, färbte ihr tiefe Scham aufs neue Hals und Wangen, und als fie abermals einen brennenden Kuß auf ihrer Wange fühlte, sank sie ihm willenlos an die Brust. Bist du mein? flüsterte er. Ja! Und willst dn heute abend, wenn es dunkel wird, bei der großen Eiche sein? Sie blickte ihn mit einem kurzen, eigentümlichen Blick an und entwand sich langsam seinem Arm; dann ging sie an den großen Koffer und legte aber¬ mals Kopf und Hände auf die Kante desselben. Ein brennende Röte bedeckte ihre Wangen. Er folgte ihr nicht. Wirst du kommen, Martha? flehte er. Wirst dn kommen? Ja! — Es kam heiser, fast lautlos heraus. Wenn ich an den Stamm klopfe — hörst du?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/348>, abgerufen am 02.07.2024.