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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

Es währte eine Weile, ehe der junge Murr seiner Stimme wieder mächtig
war; trotzdem war er scheinbar ruhig und gefaßt. Er dankte, ihr für die
flüchtige, aber so angenehme Bekanntschaft und gab in wohlgesetzter Rede
seinem Bedauern Ausdruck, daß er gezwungen sei, ein Zusammensein abzu¬
brechen, das ihn, so viel Freude gewährt habe. Schließlich bat er sie, seiner
freundlich zu gedenken.

Aber Martha hörte nur die Hälfte von dem, was er sagte. Sie war
sehr bleich geworden und saß mit halbgeschlossenen Augen da, über ihr Näh¬
zeug gebeugt wie in einer Betäubung. Nur einzelne, abgerissene Worte drangen
mit eigentümlicher Klarheit in ihr Bewußtsein und zauberten wechselnde Bilder
vor ihre Seele. Sie wunderte sich selber, daß sie nicht umfiel, es war ihr,
als schwebte sie. Als sie aber das Meer nennen hörte, lag es auch sogleich
vor ihr, groß und blank, wie um einem ganz frühen Sommermorgen in
ihrer Kindheit, als die langen, flachen Wellen sich langsam über den Sand
des Strandes hinschoben gleich blanken Scheiben aus Gold und Perlmutter.

Als sie merkte, daß er sich vom Stuhle erhob, legte sie ihr Nähzeug auf
die Bank und stand ebenfalls auf. Und als sie sah, daß er ihr die Hand
reichte, gab sie ihm. mechanisch die ihre, senkte aber den Blick mit Gewalt zu
Boden.

Also leben Sie wohl, Martha! Und lassen Sie sichs gut gehen! hörte
sie ihn sagen. Aber es klang wie aus weiter Ferne.

Danke! erwiederte sie.

Ich wünsche Ihnen viel Glück und alles Gute! Lassen Sie sichs recht,
recht gut gehen!

Danke!

Und wenn Sie einmal eine glückliche Frau werden mit eignem Hause,
oder vielleicht gar mit eignem Bauerhof, wenn Sie Ihr eignes Heim haben
und Ihren Mann und alles -- wollen Sie dann --

Plötzlich zog Martha ihre Hand aus der seinen und wandte sich hastig
uni, den Arm vor die Augen haltend. Und als sie eine Weile so gestanden
hatte, schwankte sie auf den großen, hölzernen Koffer zu und warf sich darüber
hin, während ihr zarter Leib mit der heftigen Bewegung in ihrem Innern
kämpfte. Man vernahm kein Schluchzen, aber es verrann eine ganze Minute
in schmerzlichem Schweigen.

Der junge Mann hatte anfangs verwundert die Augenbrauen in die
Höhe gezogen. Allmählich aber starrte er sie immer unruhiger und ratloser
durch seinen Klemmer an. Zwei dunkelrote Flecke kamen und schwanden blitz¬
schnell auf seinen bleichen Wangen, und die Finger der linken Hand umschlossen
krampfhaft die Stahlkette an der Weste. Endlich durchfuhr es ihn wie ein
stummer Schrei; er warf die Mütze auf den Stuhl, umschlang sie mit beiden
Armen und führte sie zu der Bank, wo sie beide niedersanken.


Junge Liebe

Es währte eine Weile, ehe der junge Murr seiner Stimme wieder mächtig
war; trotzdem war er scheinbar ruhig und gefaßt. Er dankte, ihr für die
flüchtige, aber so angenehme Bekanntschaft und gab in wohlgesetzter Rede
seinem Bedauern Ausdruck, daß er gezwungen sei, ein Zusammensein abzu¬
brechen, das ihn, so viel Freude gewährt habe. Schließlich bat er sie, seiner
freundlich zu gedenken.

Aber Martha hörte nur die Hälfte von dem, was er sagte. Sie war
sehr bleich geworden und saß mit halbgeschlossenen Augen da, über ihr Näh¬
zeug gebeugt wie in einer Betäubung. Nur einzelne, abgerissene Worte drangen
mit eigentümlicher Klarheit in ihr Bewußtsein und zauberten wechselnde Bilder
vor ihre Seele. Sie wunderte sich selber, daß sie nicht umfiel, es war ihr,
als schwebte sie. Als sie aber das Meer nennen hörte, lag es auch sogleich
vor ihr, groß und blank, wie um einem ganz frühen Sommermorgen in
ihrer Kindheit, als die langen, flachen Wellen sich langsam über den Sand
des Strandes hinschoben gleich blanken Scheiben aus Gold und Perlmutter.

Als sie merkte, daß er sich vom Stuhle erhob, legte sie ihr Nähzeug auf
die Bank und stand ebenfalls auf. Und als sie sah, daß er ihr die Hand
reichte, gab sie ihm. mechanisch die ihre, senkte aber den Blick mit Gewalt zu
Boden.

Also leben Sie wohl, Martha! Und lassen Sie sichs gut gehen! hörte
sie ihn sagen. Aber es klang wie aus weiter Ferne.

Danke! erwiederte sie.

Ich wünsche Ihnen viel Glück und alles Gute! Lassen Sie sichs recht,
recht gut gehen!

Danke!

Und wenn Sie einmal eine glückliche Frau werden mit eignem Hause,
oder vielleicht gar mit eignem Bauerhof, wenn Sie Ihr eignes Heim haben
und Ihren Mann und alles — wollen Sie dann —

Plötzlich zog Martha ihre Hand aus der seinen und wandte sich hastig
uni, den Arm vor die Augen haltend. Und als sie eine Weile so gestanden
hatte, schwankte sie auf den großen, hölzernen Koffer zu und warf sich darüber
hin, während ihr zarter Leib mit der heftigen Bewegung in ihrem Innern
kämpfte. Man vernahm kein Schluchzen, aber es verrann eine ganze Minute
in schmerzlichem Schweigen.

Der junge Mann hatte anfangs verwundert die Augenbrauen in die
Höhe gezogen. Allmählich aber starrte er sie immer unruhiger und ratloser
durch seinen Klemmer an. Zwei dunkelrote Flecke kamen und schwanden blitz¬
schnell auf seinen bleichen Wangen, und die Finger der linken Hand umschlossen
krampfhaft die Stahlkette an der Weste. Endlich durchfuhr es ihn wie ein
stummer Schrei; er warf die Mütze auf den Stuhl, umschlang sie mit beiden
Armen und führte sie zu der Bank, wo sie beide niedersanken.


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[0347] Junge Liebe Es währte eine Weile, ehe der junge Murr seiner Stimme wieder mächtig war; trotzdem war er scheinbar ruhig und gefaßt. Er dankte, ihr für die flüchtige, aber so angenehme Bekanntschaft und gab in wohlgesetzter Rede seinem Bedauern Ausdruck, daß er gezwungen sei, ein Zusammensein abzu¬ brechen, das ihn, so viel Freude gewährt habe. Schließlich bat er sie, seiner freundlich zu gedenken. Aber Martha hörte nur die Hälfte von dem, was er sagte. Sie war sehr bleich geworden und saß mit halbgeschlossenen Augen da, über ihr Näh¬ zeug gebeugt wie in einer Betäubung. Nur einzelne, abgerissene Worte drangen mit eigentümlicher Klarheit in ihr Bewußtsein und zauberten wechselnde Bilder vor ihre Seele. Sie wunderte sich selber, daß sie nicht umfiel, es war ihr, als schwebte sie. Als sie aber das Meer nennen hörte, lag es auch sogleich vor ihr, groß und blank, wie um einem ganz frühen Sommermorgen in ihrer Kindheit, als die langen, flachen Wellen sich langsam über den Sand des Strandes hinschoben gleich blanken Scheiben aus Gold und Perlmutter. Als sie merkte, daß er sich vom Stuhle erhob, legte sie ihr Nähzeug auf die Bank und stand ebenfalls auf. Und als sie sah, daß er ihr die Hand reichte, gab sie ihm. mechanisch die ihre, senkte aber den Blick mit Gewalt zu Boden. Also leben Sie wohl, Martha! Und lassen Sie sichs gut gehen! hörte sie ihn sagen. Aber es klang wie aus weiter Ferne. Danke! erwiederte sie. Ich wünsche Ihnen viel Glück und alles Gute! Lassen Sie sichs recht, recht gut gehen! Danke! Und wenn Sie einmal eine glückliche Frau werden mit eignem Hause, oder vielleicht gar mit eignem Bauerhof, wenn Sie Ihr eignes Heim haben und Ihren Mann und alles — wollen Sie dann — Plötzlich zog Martha ihre Hand aus der seinen und wandte sich hastig uni, den Arm vor die Augen haltend. Und als sie eine Weile so gestanden hatte, schwankte sie auf den großen, hölzernen Koffer zu und warf sich darüber hin, während ihr zarter Leib mit der heftigen Bewegung in ihrem Innern kämpfte. Man vernahm kein Schluchzen, aber es verrann eine ganze Minute in schmerzlichem Schweigen. Der junge Mann hatte anfangs verwundert die Augenbrauen in die Höhe gezogen. Allmählich aber starrte er sie immer unruhiger und ratloser durch seinen Klemmer an. Zwei dunkelrote Flecke kamen und schwanden blitz¬ schnell auf seinen bleichen Wangen, und die Finger der linken Hand umschlossen krampfhaft die Stahlkette an der Weste. Endlich durchfuhr es ihn wie ein stummer Schrei; er warf die Mütze auf den Stuhl, umschlang sie mit beiden Armen und führte sie zu der Bank, wo sie beide niedersanken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/347>, abgerufen am 22.12.2024.