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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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blondem Haar -- genau so wie das Ihre! -- und Augen, als blickte mau in
einen dunkeln Wald? Haben Sie nie von denen gehört?

Er saß wieder da, die Arme auf die Kniee gestützt und beugte sich zu
ihr hinüber, Sie antwortete nicht, sondern lachte nur.

Wisse" Sie, was ich nur von den Nixen habe erzählen lassen? Sie be¬
kommen als Patengescheuk ein Zaubermittel, eine geheimnisvolle Hexensalbe,
die aus dem Flügelstaube eines Schmetterlings, Körnchen von dem Gest, mit
dem das Moorweib brant, und der Thräne einer sechzehnjähriger Jungfrau
bereitet wird. Sie bekommen die Salbe in einer ganz kleinen Kruke, in einem
Eichelbecher; und wenn sie den Schritt des Wanderers im Walde vernehmen,
stellen sie sich auf die Lauer, und im Handumdrehen ist er wie verwandelt.
Sagen Sie nur, hatten Sie eine solche kleine Kruke damals bei sich, als wir
einander zuerst begegneten?

Sie lachte wieder.

Es war mir, als fühlte ich einen unsichtbaren Finger über meine Augen¬
lider streichen. Sie sind sicher eine kleine Hexe, Martha. Wohnen Sie nicht
eigentlich draußen zwischen den Irrlichtern? Dort sitzt ein kleiner Schelm in
Ihren Augen, sieh, da ist er wieder! Martha, Martha! Wie konnten Sie es
nur übers Herz bringen? Ich hatte Ihnen doch nichts zu Leide ge¬
than -- wie?

Ach -- das hat wohl keine Not, sagte sie lachend. Dann strich sie eine
kleine Locke hinters Ohr und schöpfte dabei leise Atem.

Meinen Sie nicht? Was würden Sie denn gesagt haben, wenn ich Sie
entführt hätte -- weit fort von hier? Es ist sehr gefährlich für schöne, junge
Mädchen, allein in den Wald zu gehen. War Ihnen denn gar nicht bange?
Wenn ich Sie nun z. B. geküßt hätte?

Dann hätte ich Sie geschlagen, sagte sie lachend.

Aber wenn ich es jetzt thäte?

Es ging ein leichtes Beben durch ihre Glieder. Auch seine Wangen
glühten, und er schaute sie unverwandt an.

Was würden Sie sagen, wenn ich Sie um einen Kuß bäte, Martha?
Würden Sie böse werden? Es soll nur eiuer sein -- zur Erinnerung an Sie
und an den Wald hier und an den See und an die Tage unsers Zusammen¬
seins. Ich werde sicher oft an das alles denken, wenn ich fort bin; wir haben
eine so schöne Zeit mit einander verlebt, nicht wahr? Und um möchte ich
gern, daß -- ja wissen Sie -- ich -- ich bin gekommen, um Ihnen Lebewohl
zu sagen, Martha!

Wollen Sie fort? fragte sie und blickte ihn plötzlich voll in die Augen.

Als er ihre Bewegung gewahrte, wurden seine Augen hinter den Gläsern
feucht. Er nickte stumm und senkte den Kopf.

Ach so, sagte sie kaum hörbar.


blondem Haar — genau so wie das Ihre! — und Augen, als blickte mau in
einen dunkeln Wald? Haben Sie nie von denen gehört?

Er saß wieder da, die Arme auf die Kniee gestützt und beugte sich zu
ihr hinüber, Sie antwortete nicht, sondern lachte nur.

Wisse» Sie, was ich nur von den Nixen habe erzählen lassen? Sie be¬
kommen als Patengescheuk ein Zaubermittel, eine geheimnisvolle Hexensalbe,
die aus dem Flügelstaube eines Schmetterlings, Körnchen von dem Gest, mit
dem das Moorweib brant, und der Thräne einer sechzehnjähriger Jungfrau
bereitet wird. Sie bekommen die Salbe in einer ganz kleinen Kruke, in einem
Eichelbecher; und wenn sie den Schritt des Wanderers im Walde vernehmen,
stellen sie sich auf die Lauer, und im Handumdrehen ist er wie verwandelt.
Sagen Sie nur, hatten Sie eine solche kleine Kruke damals bei sich, als wir
einander zuerst begegneten?

Sie lachte wieder.

Es war mir, als fühlte ich einen unsichtbaren Finger über meine Augen¬
lider streichen. Sie sind sicher eine kleine Hexe, Martha. Wohnen Sie nicht
eigentlich draußen zwischen den Irrlichtern? Dort sitzt ein kleiner Schelm in
Ihren Augen, sieh, da ist er wieder! Martha, Martha! Wie konnten Sie es
nur übers Herz bringen? Ich hatte Ihnen doch nichts zu Leide ge¬
than — wie?

Ach — das hat wohl keine Not, sagte sie lachend. Dann strich sie eine
kleine Locke hinters Ohr und schöpfte dabei leise Atem.

Meinen Sie nicht? Was würden Sie denn gesagt haben, wenn ich Sie
entführt hätte — weit fort von hier? Es ist sehr gefährlich für schöne, junge
Mädchen, allein in den Wald zu gehen. War Ihnen denn gar nicht bange?
Wenn ich Sie nun z. B. geküßt hätte?

Dann hätte ich Sie geschlagen, sagte sie lachend.

Aber wenn ich es jetzt thäte?

Es ging ein leichtes Beben durch ihre Glieder. Auch seine Wangen
glühten, und er schaute sie unverwandt an.

Was würden Sie sagen, wenn ich Sie um einen Kuß bäte, Martha?
Würden Sie böse werden? Es soll nur eiuer sein — zur Erinnerung an Sie
und an den Wald hier und an den See und an die Tage unsers Zusammen¬
seins. Ich werde sicher oft an das alles denken, wenn ich fort bin; wir haben
eine so schöne Zeit mit einander verlebt, nicht wahr? Und um möchte ich
gern, daß — ja wissen Sie — ich — ich bin gekommen, um Ihnen Lebewohl
zu sagen, Martha!

Wollen Sie fort? fragte sie und blickte ihn plötzlich voll in die Augen.

Als er ihre Bewegung gewahrte, wurden seine Augen hinter den Gläsern
feucht. Er nickte stumm und senkte den Kopf.

Ach so, sagte sie kaum hörbar.


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[0346] blondem Haar — genau so wie das Ihre! — und Augen, als blickte mau in einen dunkeln Wald? Haben Sie nie von denen gehört? Er saß wieder da, die Arme auf die Kniee gestützt und beugte sich zu ihr hinüber, Sie antwortete nicht, sondern lachte nur. Wisse» Sie, was ich nur von den Nixen habe erzählen lassen? Sie be¬ kommen als Patengescheuk ein Zaubermittel, eine geheimnisvolle Hexensalbe, die aus dem Flügelstaube eines Schmetterlings, Körnchen von dem Gest, mit dem das Moorweib brant, und der Thräne einer sechzehnjähriger Jungfrau bereitet wird. Sie bekommen die Salbe in einer ganz kleinen Kruke, in einem Eichelbecher; und wenn sie den Schritt des Wanderers im Walde vernehmen, stellen sie sich auf die Lauer, und im Handumdrehen ist er wie verwandelt. Sagen Sie nur, hatten Sie eine solche kleine Kruke damals bei sich, als wir einander zuerst begegneten? Sie lachte wieder. Es war mir, als fühlte ich einen unsichtbaren Finger über meine Augen¬ lider streichen. Sie sind sicher eine kleine Hexe, Martha. Wohnen Sie nicht eigentlich draußen zwischen den Irrlichtern? Dort sitzt ein kleiner Schelm in Ihren Augen, sieh, da ist er wieder! Martha, Martha! Wie konnten Sie es nur übers Herz bringen? Ich hatte Ihnen doch nichts zu Leide ge¬ than — wie? Ach — das hat wohl keine Not, sagte sie lachend. Dann strich sie eine kleine Locke hinters Ohr und schöpfte dabei leise Atem. Meinen Sie nicht? Was würden Sie denn gesagt haben, wenn ich Sie entführt hätte — weit fort von hier? Es ist sehr gefährlich für schöne, junge Mädchen, allein in den Wald zu gehen. War Ihnen denn gar nicht bange? Wenn ich Sie nun z. B. geküßt hätte? Dann hätte ich Sie geschlagen, sagte sie lachend. Aber wenn ich es jetzt thäte? Es ging ein leichtes Beben durch ihre Glieder. Auch seine Wangen glühten, und er schaute sie unverwandt an. Was würden Sie sagen, wenn ich Sie um einen Kuß bäte, Martha? Würden Sie böse werden? Es soll nur eiuer sein — zur Erinnerung an Sie und an den Wald hier und an den See und an die Tage unsers Zusammen¬ seins. Ich werde sicher oft an das alles denken, wenn ich fort bin; wir haben eine so schöne Zeit mit einander verlebt, nicht wahr? Und um möchte ich gern, daß — ja wissen Sie — ich — ich bin gekommen, um Ihnen Lebewohl zu sagen, Martha! Wollen Sie fort? fragte sie und blickte ihn plötzlich voll in die Augen. Als er ihre Bewegung gewahrte, wurden seine Augen hinter den Gläsern feucht. Er nickte stumm und senkte den Kopf. Ach so, sagte sie kaum hörbar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/346>, abgerufen am 02.07.2024.