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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

finstern Waldes plötzlich ein paar nackte weibliche Füße erblickte, die halb im
Grase versteckt waren, und dann ein verblichenes Kleid und langes, blondes,
in schweren Flechten aufgebnndnes Haar; und endlich diese großen, wunder¬
baren Augen, die unter dem erhobenen Arm erschreckt mit flehendem, zitterndem
Blick zu ihm aufschauten.

Wie war ihm das Blut in dem Augenblicke in die Wangen geströmt!
Wie hatte ihm das Herz im Leibe geklopft! Und doch ahnte er damals nicht,
welcher Wahnsinn und welche Lust, welche stürmische Unruhe lind welches ruhelose
schnell diese Begegnung zur Folge haben würde, wieviel schlaflose Nächte,
wieviel qualvolle Stunden aus diesem einen, scheuen Blick entstehen sollten.

Martha! sagte er endlich.

Sie fuhr zusammen bei dem Klang seiner Stimme; die klang so leise, so
herzlich, sprach gleichsam heraus aus der Stille rings um sie her und schmolz
mit ihr zusammen. Aber es lag ein Klang von Verzweiflung, von Hilflosig¬
keit in der Stimme, den er nicht niederkämpfen konnte.

Woran dachten Sie eben, Martha?

Als ihre ganze Antwort darin bestand, lächelnd den Kopf noch tiefer über
die Hand zu beugen, fügte er nach einer Weile hinzu: Warum sind Sie so
schweigsam? Warum so ernsthaft?

Ich bin nicht ernsthaft, antwortete sie und lächelte wieder.

Aber stets gedankenvoll, wie? Weshalb sind Sie das?

Ja, das wird Wohl daher kommen, daß ich nicht viel Grund habe, lustig
zu sein!

Das habe ich von Ihnen nicht zu hören erwartet, Martha. Aber das
meinen Sie auch nicht -- das können Sie nicht im Ernste meinen!

Sie lauschte eine Weile, als wartete sie auf eine Fortsetzung. Endlich
fragte sie leise: Warum denn nicht?

Weil -- wer könnte Ihnen wohl Kummer bereiten? Wenn man so hübsch
ist und solche Augen hat, dann pflegt man nicht unglücklich zu sein. Ich
glaube eher, daß alle jungen Burschen des Dorfes Sie verliebt umschwärmen --
thun sie es etwa nicht? Und es wäre auch wirklich kein Wunder. Ich ver¬
stehe es nur zu gut, daß sie gern alle eine so liebe, kleine Frau haben möchten,
die ihren Mann vor Verliebtheit um Sinn und Verstand bringen könnte!

Ach, das meinen Sie ja gar nicht, sagte sie errötend, aber ihre Augen
senkten sich, als übersiele sie eine leise Ohnmacht.

Das meine ich nicht, Martha? -- Er schüttelte den Kopf mit einer Art
von schmerzlicher Lustigkeit. Ach, nur viel zu sehr! viel zu sehr! Wissen
Sie, woran ich oft denken muß?

Nein, sagte sie, als sie merkte, daß er auf eine Autwort wartete.

Haben Sie nie von Nixen gehört, die in Mondscheinnächten von einer
Elfe unter einem Klettenblatt geboren werden? Nixen mit langem, gvld-


Gvenzboten IV 1889 43
Junge Liebe

finstern Waldes plötzlich ein paar nackte weibliche Füße erblickte, die halb im
Grase versteckt waren, und dann ein verblichenes Kleid und langes, blondes,
in schweren Flechten aufgebnndnes Haar; und endlich diese großen, wunder¬
baren Augen, die unter dem erhobenen Arm erschreckt mit flehendem, zitterndem
Blick zu ihm aufschauten.

Wie war ihm das Blut in dem Augenblicke in die Wangen geströmt!
Wie hatte ihm das Herz im Leibe geklopft! Und doch ahnte er damals nicht,
welcher Wahnsinn und welche Lust, welche stürmische Unruhe lind welches ruhelose
schnell diese Begegnung zur Folge haben würde, wieviel schlaflose Nächte,
wieviel qualvolle Stunden aus diesem einen, scheuen Blick entstehen sollten.

Martha! sagte er endlich.

Sie fuhr zusammen bei dem Klang seiner Stimme; die klang so leise, so
herzlich, sprach gleichsam heraus aus der Stille rings um sie her und schmolz
mit ihr zusammen. Aber es lag ein Klang von Verzweiflung, von Hilflosig¬
keit in der Stimme, den er nicht niederkämpfen konnte.

Woran dachten Sie eben, Martha?

Als ihre ganze Antwort darin bestand, lächelnd den Kopf noch tiefer über
die Hand zu beugen, fügte er nach einer Weile hinzu: Warum sind Sie so
schweigsam? Warum so ernsthaft?

Ich bin nicht ernsthaft, antwortete sie und lächelte wieder.

Aber stets gedankenvoll, wie? Weshalb sind Sie das?

Ja, das wird Wohl daher kommen, daß ich nicht viel Grund habe, lustig
zu sein!

Das habe ich von Ihnen nicht zu hören erwartet, Martha. Aber das
meinen Sie auch nicht — das können Sie nicht im Ernste meinen!

Sie lauschte eine Weile, als wartete sie auf eine Fortsetzung. Endlich
fragte sie leise: Warum denn nicht?

Weil — wer könnte Ihnen wohl Kummer bereiten? Wenn man so hübsch
ist und solche Augen hat, dann pflegt man nicht unglücklich zu sein. Ich
glaube eher, daß alle jungen Burschen des Dorfes Sie verliebt umschwärmen —
thun sie es etwa nicht? Und es wäre auch wirklich kein Wunder. Ich ver¬
stehe es nur zu gut, daß sie gern alle eine so liebe, kleine Frau haben möchten,
die ihren Mann vor Verliebtheit um Sinn und Verstand bringen könnte!

Ach, das meinen Sie ja gar nicht, sagte sie errötend, aber ihre Augen
senkten sich, als übersiele sie eine leise Ohnmacht.

Das meine ich nicht, Martha? — Er schüttelte den Kopf mit einer Art
von schmerzlicher Lustigkeit. Ach, nur viel zu sehr! viel zu sehr! Wissen
Sie, woran ich oft denken muß?

Nein, sagte sie, als sie merkte, daß er auf eine Autwort wartete.

Haben Sie nie von Nixen gehört, die in Mondscheinnächten von einer
Elfe unter einem Klettenblatt geboren werden? Nixen mit langem, gvld-


Gvenzboten IV 1889 43
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[0345] Junge Liebe finstern Waldes plötzlich ein paar nackte weibliche Füße erblickte, die halb im Grase versteckt waren, und dann ein verblichenes Kleid und langes, blondes, in schweren Flechten aufgebnndnes Haar; und endlich diese großen, wunder¬ baren Augen, die unter dem erhobenen Arm erschreckt mit flehendem, zitterndem Blick zu ihm aufschauten. Wie war ihm das Blut in dem Augenblicke in die Wangen geströmt! Wie hatte ihm das Herz im Leibe geklopft! Und doch ahnte er damals nicht, welcher Wahnsinn und welche Lust, welche stürmische Unruhe lind welches ruhelose schnell diese Begegnung zur Folge haben würde, wieviel schlaflose Nächte, wieviel qualvolle Stunden aus diesem einen, scheuen Blick entstehen sollten. Martha! sagte er endlich. Sie fuhr zusammen bei dem Klang seiner Stimme; die klang so leise, so herzlich, sprach gleichsam heraus aus der Stille rings um sie her und schmolz mit ihr zusammen. Aber es lag ein Klang von Verzweiflung, von Hilflosig¬ keit in der Stimme, den er nicht niederkämpfen konnte. Woran dachten Sie eben, Martha? Als ihre ganze Antwort darin bestand, lächelnd den Kopf noch tiefer über die Hand zu beugen, fügte er nach einer Weile hinzu: Warum sind Sie so schweigsam? Warum so ernsthaft? Ich bin nicht ernsthaft, antwortete sie und lächelte wieder. Aber stets gedankenvoll, wie? Weshalb sind Sie das? Ja, das wird Wohl daher kommen, daß ich nicht viel Grund habe, lustig zu sein! Das habe ich von Ihnen nicht zu hören erwartet, Martha. Aber das meinen Sie auch nicht — das können Sie nicht im Ernste meinen! Sie lauschte eine Weile, als wartete sie auf eine Fortsetzung. Endlich fragte sie leise: Warum denn nicht? Weil — wer könnte Ihnen wohl Kummer bereiten? Wenn man so hübsch ist und solche Augen hat, dann pflegt man nicht unglücklich zu sein. Ich glaube eher, daß alle jungen Burschen des Dorfes Sie verliebt umschwärmen — thun sie es etwa nicht? Und es wäre auch wirklich kein Wunder. Ich ver¬ stehe es nur zu gut, daß sie gern alle eine so liebe, kleine Frau haben möchten, die ihren Mann vor Verliebtheit um Sinn und Verstand bringen könnte! Ach, das meinen Sie ja gar nicht, sagte sie errötend, aber ihre Augen senkten sich, als übersiele sie eine leise Ohnmacht. Das meine ich nicht, Martha? — Er schüttelte den Kopf mit einer Art von schmerzlicher Lustigkeit. Ach, nur viel zu sehr! viel zu sehr! Wissen Sie, woran ich oft denken muß? Nein, sagte sie, als sie merkte, daß er auf eine Autwort wartete. Haben Sie nie von Nixen gehört, die in Mondscheinnächten von einer Elfe unter einem Klettenblatt geboren werden? Nixen mit langem, gvld- Gvenzboten IV 1889 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/345>, abgerufen am 02.07.2024.