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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Elf Jahre im Balkan

nicht zwei brauchbare Soldaten; nur weggejagte oder unbrauchbare Offiziere,
Schwindler oder wenigstens Leute, deren es sich gern entledigen wolle, habe
Rußland nach Serbien geschickt. Diese Schilderung ergänzt der Verfasser später
aus eigner Erfahrung, Die russischen Brüder, berichtet er, hätten sich im
allgemeinen'durch Trunksucht, Spielwnt, maßlose Roheit und Ungerechtigkeit
hervorgethan und seien bald von den serbischen Offizieren und Soldaten mehr
gehaßt worden als die Türke". Der Oberkommandirende General Novvselvv
sei nie ans seinem in sicherer Ferne erbauten Blockhause zum Vorschein ge¬
kommen, desto häufiger sein Adjutant, eine hübsche, ihrem Manne dnvon-
gelmifeue Frau, die sich aus Begeisterung der serbischen Sache gewidmet und
sich später als verurteilte Nihilistin in Sibirien erschossen haben soll, nachdem
ihr von ihren Wächtern Gewalt angethan worden war.

Eine Geschichte, die der Verfasser miterlebt zu haben versichert, läßt einen
erschreckenden Blick in das Russentum thun. Der Versuch, sich der Javvrhöhen
durch Überrumpelung zu bemächtigen, war durch Schuld der Führer gänzlich
mißlungen, die russischem Offiziere aber schoben die Schuld auf die Mannschaften,
und einer von ihnen wettete mit einem andern um hundert Flaschen Champagner
für die Offiziere und zehn Faß Branntwein für die Soldaten, daß er mit
seinein Bataillon allein vollbringen werde, was den achtzehn serbischen Batail¬
lonen nicht möglich gewesen war. Er unternahm wirklich das tolle Wagstück,
verlor dabei zweihundert Mann und wurde selbst verwundet zurückgebracht,
natürlich ohne etwas ausgerichtet zu haben. Was ferner von dem Treiben
der russischen Offiziere, die sich während des Waffenstillstandes in Belgrad
aufhielten, berichtet wird, macht es begreiflich, daß sie sich nicht nur den Haß,
sondern auch die Verachtung der Serben zugezogen hatten. Der Verfasser
nennt ausdrücklich als Ausnahme deu Major Grafen Tiesenhauseu, der später
in Bulgarien gedient hat, und den Rittmeister Kosminski, der "mit gutem
Grunde" seinen Obersten vor der Front geohrfeigt hatte, deshalb ans der
russischen Armee entlassen worden war und sich im Sommer 1877, als ein
Fußfall vor dein Zaren ihm nur eine unwirsche Autwort eintrug, vor dessen
Augen erstach.

Dein Schicksal, in die russische Armee eingereiht zu werden, entging der
Verfasser nebst drei andern "Prussaks," weil sie, anstatt an einem Abschieds¬
gelage mit Wodka ans Wassergläsern teilzunehmen, zu einem Balle nach Semlin
gefahren waren, angelockt von der kameradschaftlichen Liebenswürdigkeit der
österreichischen Offiziere und der Schönheit der Ungarinnen. "Nach einer
huldvoller Abschiedsaudienz bei dem Fürsten Milan und seiner damals noch
jugendlich-anmutigen Gemahlin" machte er sich auf den Weg nach Konstantinopel,
um nun gegen die russischen Brüder zu kämpfen. Der Aublick der Stadt ent¬
sprach seinen Erwartungen nicht. So ist es schon vielen ergangen, dort wie
an andern Punkten, die so oft mit Begeisterung geschildert worden sind. Der


Elf Jahre im Balkan

nicht zwei brauchbare Soldaten; nur weggejagte oder unbrauchbare Offiziere,
Schwindler oder wenigstens Leute, deren es sich gern entledigen wolle, habe
Rußland nach Serbien geschickt. Diese Schilderung ergänzt der Verfasser später
aus eigner Erfahrung, Die russischen Brüder, berichtet er, hätten sich im
allgemeinen'durch Trunksucht, Spielwnt, maßlose Roheit und Ungerechtigkeit
hervorgethan und seien bald von den serbischen Offizieren und Soldaten mehr
gehaßt worden als die Türke». Der Oberkommandirende General Novvselvv
sei nie ans seinem in sicherer Ferne erbauten Blockhause zum Vorschein ge¬
kommen, desto häufiger sein Adjutant, eine hübsche, ihrem Manne dnvon-
gelmifeue Frau, die sich aus Begeisterung der serbischen Sache gewidmet und
sich später als verurteilte Nihilistin in Sibirien erschossen haben soll, nachdem
ihr von ihren Wächtern Gewalt angethan worden war.

Eine Geschichte, die der Verfasser miterlebt zu haben versichert, läßt einen
erschreckenden Blick in das Russentum thun. Der Versuch, sich der Javvrhöhen
durch Überrumpelung zu bemächtigen, war durch Schuld der Führer gänzlich
mißlungen, die russischem Offiziere aber schoben die Schuld auf die Mannschaften,
und einer von ihnen wettete mit einem andern um hundert Flaschen Champagner
für die Offiziere und zehn Faß Branntwein für die Soldaten, daß er mit
seinein Bataillon allein vollbringen werde, was den achtzehn serbischen Batail¬
lonen nicht möglich gewesen war. Er unternahm wirklich das tolle Wagstück,
verlor dabei zweihundert Mann und wurde selbst verwundet zurückgebracht,
natürlich ohne etwas ausgerichtet zu haben. Was ferner von dem Treiben
der russischen Offiziere, die sich während des Waffenstillstandes in Belgrad
aufhielten, berichtet wird, macht es begreiflich, daß sie sich nicht nur den Haß,
sondern auch die Verachtung der Serben zugezogen hatten. Der Verfasser
nennt ausdrücklich als Ausnahme deu Major Grafen Tiesenhauseu, der später
in Bulgarien gedient hat, und den Rittmeister Kosminski, der „mit gutem
Grunde" seinen Obersten vor der Front geohrfeigt hatte, deshalb ans der
russischen Armee entlassen worden war und sich im Sommer 1877, als ein
Fußfall vor dein Zaren ihm nur eine unwirsche Autwort eintrug, vor dessen
Augen erstach.

Dein Schicksal, in die russische Armee eingereiht zu werden, entging der
Verfasser nebst drei andern „Prussaks," weil sie, anstatt an einem Abschieds¬
gelage mit Wodka ans Wassergläsern teilzunehmen, zu einem Balle nach Semlin
gefahren waren, angelockt von der kameradschaftlichen Liebenswürdigkeit der
österreichischen Offiziere und der Schönheit der Ungarinnen. „Nach einer
huldvoller Abschiedsaudienz bei dem Fürsten Milan und seiner damals noch
jugendlich-anmutigen Gemahlin" machte er sich auf den Weg nach Konstantinopel,
um nun gegen die russischen Brüder zu kämpfen. Der Aublick der Stadt ent¬
sprach seinen Erwartungen nicht. So ist es schon vielen ergangen, dort wie
an andern Punkten, die so oft mit Begeisterung geschildert worden sind. Der


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[0339] Elf Jahre im Balkan nicht zwei brauchbare Soldaten; nur weggejagte oder unbrauchbare Offiziere, Schwindler oder wenigstens Leute, deren es sich gern entledigen wolle, habe Rußland nach Serbien geschickt. Diese Schilderung ergänzt der Verfasser später aus eigner Erfahrung, Die russischen Brüder, berichtet er, hätten sich im allgemeinen'durch Trunksucht, Spielwnt, maßlose Roheit und Ungerechtigkeit hervorgethan und seien bald von den serbischen Offizieren und Soldaten mehr gehaßt worden als die Türke». Der Oberkommandirende General Novvselvv sei nie ans seinem in sicherer Ferne erbauten Blockhause zum Vorschein ge¬ kommen, desto häufiger sein Adjutant, eine hübsche, ihrem Manne dnvon- gelmifeue Frau, die sich aus Begeisterung der serbischen Sache gewidmet und sich später als verurteilte Nihilistin in Sibirien erschossen haben soll, nachdem ihr von ihren Wächtern Gewalt angethan worden war. Eine Geschichte, die der Verfasser miterlebt zu haben versichert, läßt einen erschreckenden Blick in das Russentum thun. Der Versuch, sich der Javvrhöhen durch Überrumpelung zu bemächtigen, war durch Schuld der Führer gänzlich mißlungen, die russischem Offiziere aber schoben die Schuld auf die Mannschaften, und einer von ihnen wettete mit einem andern um hundert Flaschen Champagner für die Offiziere und zehn Faß Branntwein für die Soldaten, daß er mit seinein Bataillon allein vollbringen werde, was den achtzehn serbischen Batail¬ lonen nicht möglich gewesen war. Er unternahm wirklich das tolle Wagstück, verlor dabei zweihundert Mann und wurde selbst verwundet zurückgebracht, natürlich ohne etwas ausgerichtet zu haben. Was ferner von dem Treiben der russischen Offiziere, die sich während des Waffenstillstandes in Belgrad aufhielten, berichtet wird, macht es begreiflich, daß sie sich nicht nur den Haß, sondern auch die Verachtung der Serben zugezogen hatten. Der Verfasser nennt ausdrücklich als Ausnahme deu Major Grafen Tiesenhauseu, der später in Bulgarien gedient hat, und den Rittmeister Kosminski, der „mit gutem Grunde" seinen Obersten vor der Front geohrfeigt hatte, deshalb ans der russischen Armee entlassen worden war und sich im Sommer 1877, als ein Fußfall vor dein Zaren ihm nur eine unwirsche Autwort eintrug, vor dessen Augen erstach. Dein Schicksal, in die russische Armee eingereiht zu werden, entging der Verfasser nebst drei andern „Prussaks," weil sie, anstatt an einem Abschieds¬ gelage mit Wodka ans Wassergläsern teilzunehmen, zu einem Balle nach Semlin gefahren waren, angelockt von der kameradschaftlichen Liebenswürdigkeit der österreichischen Offiziere und der Schönheit der Ungarinnen. „Nach einer huldvoller Abschiedsaudienz bei dem Fürsten Milan und seiner damals noch jugendlich-anmutigen Gemahlin" machte er sich auf den Weg nach Konstantinopel, um nun gegen die russischen Brüder zu kämpfen. Der Aublick der Stadt ent¬ sprach seinen Erwartungen nicht. So ist es schon vielen ergangen, dort wie an andern Punkten, die so oft mit Begeisterung geschildert worden sind. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/339>, abgerufen am 30.06.2024.