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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Lif Jahre im Balkan

Grund liegt wohl diirin, daß die Schilderungen entweder nicht unmittelbar
nach dem ersten Eindruck niedergeschrieben sind, oder die Verfasser sich zwangen,
mit den Augen ihrer Vorgänger zu sehen. Auch die Schönheit Konstantinopels
gehört zu denen, an die man sich gewöhnen, mit denen mau vertraut werdeu
muß. Daher kann einem, der ehrlich eingesteht, enttäuscht worden zu sein, kein
Vorwurf gemacht werden. Aber das Urteil, "der Anblick lasse an Nüchtern¬
heit wenig zu wünschen übrig," und die Begründung: "Das ganze Bild zeigt
zu viel Menschenwerk, um schön zu sein," haben doch nur das Verdienst der
Originalität!

In die ägyptische Armee einzutreten wurde ihm von allen Seiten wider¬
raten, und so schloß er sich dem Prinzen Hasscin als Kriegskorrespondent an.
Kriegerische Ereignisse erlebte er jedoch nicht mehr, lernte aber dafür den Wert
der polnischen Freiheitshelden, die die Türken retten wollten, und die traurigen
türkischen Finanzverhältnisse ziemlich gennn kennen. Als man zur Linderung
des Elends Armenküchen einrichtete und Brot verteilen ließ, "konnte man Paschas
mit einem Brot unter dem Arme zufrieden über die Straße gehen sehen."

In Ostrumelien, wohin sich der Verfasser zunächst begab, fand er wieder
die Russen als Herren vor. Den Generalgouvemeur Aleko Pascha nimmt er
gegen verschiedne Vorwürfe in Schutz, insbesondre sollen die ihm nachgesagten
Eigenschaften des Geizes und der Habsucht thatsächlich nur bei seiner Frau
(aus der zu Anfang dieses Jahres vielgenannten levantiner Familie Valtazzi)
zu finden gewesen sein. Immerhin geht auch aus dieser Schilderung hervor,
daß Aleko, ein Stubengelehrter, schwerfällig und indolent und seiner schwierigen
Aufgabe uicht im mindesten gewachsen war. Wie hübsch ist gleich der Ein¬
gang! "Der Generalgouvemeur, die Direktoren der Verwaltungszweige, die
Offiziere, die Bürger und die Bauern und die orthodoxe Geistlichkeit -- alle
waren Puppen in der Hand des Fürsten Tzeretelev ^des russischen General¬
konsuls^ und seines militärischen Attaches, des Generalstabshauptmanns Eck,
eines freundliche", verlogenen Herrn." Auch der Nachfolger des genannten
Fürsten, Kammerjunker Jswvlski, wird als höchst gewandter Diplomat be¬
zeichnet und ausdrücklich versichert: "Hütte die russische Regierung über mehrere
derartige Vertreter verfügt, so würde sie voraussichtlich ihren Einfluß in beiden
Bulgarien nicht so bald untergraben, sondern im Gegenteil immer fester auf¬
gebaut haben. Die Bulgaren vertrauten sich so gern und so willenlos der
russischen Führung an, daß es geradezu ein Kunststück genannt werden muß,
aus dem sanften, unschuldigen Lämmlein einen so störrischen Bock gemacht zu
haben, wie es der russischen Diplomatie in der kurzen Zeit zwischen 1878 und
1885 gelang." Aber nicht genug, daß so viele Offiziere das Äußerste an
Roheit und Gewaltthätigkeit leisteten und es an Taugenichtsen jeder Art dort
wimmelte, so entpuppten sich, wie der Verfasser versichert, nicht selten diejenigen,
die eine wohlthuende Ausnahme zu macheu schienen, als Betrüger, Diebe oder


Lif Jahre im Balkan

Grund liegt wohl diirin, daß die Schilderungen entweder nicht unmittelbar
nach dem ersten Eindruck niedergeschrieben sind, oder die Verfasser sich zwangen,
mit den Augen ihrer Vorgänger zu sehen. Auch die Schönheit Konstantinopels
gehört zu denen, an die man sich gewöhnen, mit denen mau vertraut werdeu
muß. Daher kann einem, der ehrlich eingesteht, enttäuscht worden zu sein, kein
Vorwurf gemacht werden. Aber das Urteil, „der Anblick lasse an Nüchtern¬
heit wenig zu wünschen übrig," und die Begründung: „Das ganze Bild zeigt
zu viel Menschenwerk, um schön zu sein," haben doch nur das Verdienst der
Originalität!

In die ägyptische Armee einzutreten wurde ihm von allen Seiten wider¬
raten, und so schloß er sich dem Prinzen Hasscin als Kriegskorrespondent an.
Kriegerische Ereignisse erlebte er jedoch nicht mehr, lernte aber dafür den Wert
der polnischen Freiheitshelden, die die Türken retten wollten, und die traurigen
türkischen Finanzverhältnisse ziemlich gennn kennen. Als man zur Linderung
des Elends Armenküchen einrichtete und Brot verteilen ließ, „konnte man Paschas
mit einem Brot unter dem Arme zufrieden über die Straße gehen sehen."

In Ostrumelien, wohin sich der Verfasser zunächst begab, fand er wieder
die Russen als Herren vor. Den Generalgouvemeur Aleko Pascha nimmt er
gegen verschiedne Vorwürfe in Schutz, insbesondre sollen die ihm nachgesagten
Eigenschaften des Geizes und der Habsucht thatsächlich nur bei seiner Frau
(aus der zu Anfang dieses Jahres vielgenannten levantiner Familie Valtazzi)
zu finden gewesen sein. Immerhin geht auch aus dieser Schilderung hervor,
daß Aleko, ein Stubengelehrter, schwerfällig und indolent und seiner schwierigen
Aufgabe uicht im mindesten gewachsen war. Wie hübsch ist gleich der Ein¬
gang! „Der Generalgouvemeur, die Direktoren der Verwaltungszweige, die
Offiziere, die Bürger und die Bauern und die orthodoxe Geistlichkeit — alle
waren Puppen in der Hand des Fürsten Tzeretelev ^des russischen General¬
konsuls^ und seines militärischen Attaches, des Generalstabshauptmanns Eck,
eines freundliche», verlogenen Herrn." Auch der Nachfolger des genannten
Fürsten, Kammerjunker Jswvlski, wird als höchst gewandter Diplomat be¬
zeichnet und ausdrücklich versichert: „Hütte die russische Regierung über mehrere
derartige Vertreter verfügt, so würde sie voraussichtlich ihren Einfluß in beiden
Bulgarien nicht so bald untergraben, sondern im Gegenteil immer fester auf¬
gebaut haben. Die Bulgaren vertrauten sich so gern und so willenlos der
russischen Führung an, daß es geradezu ein Kunststück genannt werden muß,
aus dem sanften, unschuldigen Lämmlein einen so störrischen Bock gemacht zu
haben, wie es der russischen Diplomatie in der kurzen Zeit zwischen 1878 und
1885 gelang." Aber nicht genug, daß so viele Offiziere das Äußerste an
Roheit und Gewaltthätigkeit leisteten und es an Taugenichtsen jeder Art dort
wimmelte, so entpuppten sich, wie der Verfasser versichert, nicht selten diejenigen,
die eine wohlthuende Ausnahme zu macheu schienen, als Betrüger, Diebe oder


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[0340] Lif Jahre im Balkan Grund liegt wohl diirin, daß die Schilderungen entweder nicht unmittelbar nach dem ersten Eindruck niedergeschrieben sind, oder die Verfasser sich zwangen, mit den Augen ihrer Vorgänger zu sehen. Auch die Schönheit Konstantinopels gehört zu denen, an die man sich gewöhnen, mit denen mau vertraut werdeu muß. Daher kann einem, der ehrlich eingesteht, enttäuscht worden zu sein, kein Vorwurf gemacht werden. Aber das Urteil, „der Anblick lasse an Nüchtern¬ heit wenig zu wünschen übrig," und die Begründung: „Das ganze Bild zeigt zu viel Menschenwerk, um schön zu sein," haben doch nur das Verdienst der Originalität! In die ägyptische Armee einzutreten wurde ihm von allen Seiten wider¬ raten, und so schloß er sich dem Prinzen Hasscin als Kriegskorrespondent an. Kriegerische Ereignisse erlebte er jedoch nicht mehr, lernte aber dafür den Wert der polnischen Freiheitshelden, die die Türken retten wollten, und die traurigen türkischen Finanzverhältnisse ziemlich gennn kennen. Als man zur Linderung des Elends Armenküchen einrichtete und Brot verteilen ließ, „konnte man Paschas mit einem Brot unter dem Arme zufrieden über die Straße gehen sehen." In Ostrumelien, wohin sich der Verfasser zunächst begab, fand er wieder die Russen als Herren vor. Den Generalgouvemeur Aleko Pascha nimmt er gegen verschiedne Vorwürfe in Schutz, insbesondre sollen die ihm nachgesagten Eigenschaften des Geizes und der Habsucht thatsächlich nur bei seiner Frau (aus der zu Anfang dieses Jahres vielgenannten levantiner Familie Valtazzi) zu finden gewesen sein. Immerhin geht auch aus dieser Schilderung hervor, daß Aleko, ein Stubengelehrter, schwerfällig und indolent und seiner schwierigen Aufgabe uicht im mindesten gewachsen war. Wie hübsch ist gleich der Ein¬ gang! „Der Generalgouvemeur, die Direktoren der Verwaltungszweige, die Offiziere, die Bürger und die Bauern und die orthodoxe Geistlichkeit — alle waren Puppen in der Hand des Fürsten Tzeretelev ^des russischen General¬ konsuls^ und seines militärischen Attaches, des Generalstabshauptmanns Eck, eines freundliche», verlogenen Herrn." Auch der Nachfolger des genannten Fürsten, Kammerjunker Jswvlski, wird als höchst gewandter Diplomat be¬ zeichnet und ausdrücklich versichert: „Hütte die russische Regierung über mehrere derartige Vertreter verfügt, so würde sie voraussichtlich ihren Einfluß in beiden Bulgarien nicht so bald untergraben, sondern im Gegenteil immer fester auf¬ gebaut haben. Die Bulgaren vertrauten sich so gern und so willenlos der russischen Führung an, daß es geradezu ein Kunststück genannt werden muß, aus dem sanften, unschuldigen Lämmlein einen so störrischen Bock gemacht zu haben, wie es der russischen Diplomatie in der kurzen Zeit zwischen 1878 und 1885 gelang." Aber nicht genug, daß so viele Offiziere das Äußerste an Roheit und Gewaltthätigkeit leisteten und es an Taugenichtsen jeder Art dort wimmelte, so entpuppten sich, wie der Verfasser versichert, nicht selten diejenigen, die eine wohlthuende Ausnahme zu macheu schienen, als Betrüger, Diebe oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/340>, abgerufen am 02.07.2024.