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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Stellung zu verbinden, weil sein Träger sich nicht ausschließlich dnrch sein
negatives Heldentum gegen die Türken bekannt gemacht hat. Alle diese frag¬
würdigen Gestalten werden durch die Erinnerungen eines preußischen Offiziers
heraufbeschworen: Elf Jahre Balkan (Breslau, Kerns Verlag). Der Verfasser
hat unmittelbar nach einander bei Serben, Türken, Rumelioten und Bulgaren
Dienste genommen -- man sieht, der deutsche Landsknecht stirbt nicht aus! --
und dadurch Gelegenheit zu genauern Einblicken in das Wesen der verschiednen
Volksstämme und die militärischen Einrichtungen der Balkanstaaten erhalten,
ist manchen hervorragenden Personen näher getreten, seine Aufzeichnungen
machen den Eindruck unparteiischer Wahrheitsliebe und liefern daher gewiß
"zur Beurteilung der jüngsten Vergangenheit, zum Verständnis der Gegenwart"
und zu Schlußfolgerungen für die Zukunft, Beiträge. Daß sie ursprünglich
nur sür kleinere Kreise bestimmt gewesen seien, steht teilweise im Widerspruch
mit der gelegentlichen Thätigkeit des Verfassers als Kriegskorrespondcnt, auch
glnnben wir den eine" oder andern Abschnitt schon früher gelesen zu haben.
Anderseits macht freilich die Gleichgiltigkeit gegen Jahres- nud Tageszahlen
häufig den Eindruck, als ob die Erinnerungen im engern Kreise und ohne
Unterlage eines Tagebuches vorgetragen würden.

Der Verfasser kam 1876 in Belgrad an und wurde, wie er wiederholt
rühmend erwähnt, überall mit großer Liebenswürdigkeit aufgenommen. Er
erkennt aber auch bald, daß es um die Wehrkraft der Serben übel bestellt ist.
Die Landleute schelten auf den höchst überflüssigen Krieg gegen die Türken,
über die sich niemand im Lande zu beklagen habe, und auf die rohen russischen
Brüder. Ans dem Wege zum Heere wird die enge Straße durch Proviant-,
Muuitivns- und Marketenderwagen mit elenden Pferden und dnrch "schäbiges
Volk in zerlumpten Uniformen" und in Bauerntracht versperrt. Niemand
bemüht sich, Ordnung in die Massen zu bringen. Auch die Reiterei hat
schlechte, schlecht gesattelte und gezäumte Pferde, die Leute tragen ihre langen
Gewehre nach Belieben, hinten oder vorn, aufrecht oder quer, den Kolben oben
oder unten. Der Armeekvmmaudant Tscholak-Autitsch selbst erklärt die Miliz¬
truppen für unzuverlässig, das Wehrshstem für unglücklich, und ist überzeugt,
daß Serbien Ursache haben werde, den Krieg zu bereuen, falls nicht die Russen
es retteten. Zum Glück hatten vorläufig die Türken so wenig Lust, von ihrer
Übermacht Gebrauch zu machen, daß ein österreichischer Offizier das Bild
brauchte: "Ein Krieg zwischen zwei Porzellanhunden auf dem Fensterbrett."
Übrigens bewies der Major Jlitsch, dessen der Verfasser mit großer Wärme
gedenkt, was ein tüchtiger Offizier mit den ungeübten und erbärmlich bewaffnetem
Soldaten auszuüben vermochte, und die russischen Helfer kommen im Grunde
noch schlechter weg als ihre Schützlinge.

So läßt der Verfasser einen serbischen Oberstleutnant sagen, im Stäbe
Tschernajews fanden sich nicht drei anständige Menschen, und unter diesen


Stellung zu verbinden, weil sein Träger sich nicht ausschließlich dnrch sein
negatives Heldentum gegen die Türken bekannt gemacht hat. Alle diese frag¬
würdigen Gestalten werden durch die Erinnerungen eines preußischen Offiziers
heraufbeschworen: Elf Jahre Balkan (Breslau, Kerns Verlag). Der Verfasser
hat unmittelbar nach einander bei Serben, Türken, Rumelioten und Bulgaren
Dienste genommen — man sieht, der deutsche Landsknecht stirbt nicht aus! —
und dadurch Gelegenheit zu genauern Einblicken in das Wesen der verschiednen
Volksstämme und die militärischen Einrichtungen der Balkanstaaten erhalten,
ist manchen hervorragenden Personen näher getreten, seine Aufzeichnungen
machen den Eindruck unparteiischer Wahrheitsliebe und liefern daher gewiß
„zur Beurteilung der jüngsten Vergangenheit, zum Verständnis der Gegenwart"
und zu Schlußfolgerungen für die Zukunft, Beiträge. Daß sie ursprünglich
nur sür kleinere Kreise bestimmt gewesen seien, steht teilweise im Widerspruch
mit der gelegentlichen Thätigkeit des Verfassers als Kriegskorrespondcnt, auch
glnnben wir den eine» oder andern Abschnitt schon früher gelesen zu haben.
Anderseits macht freilich die Gleichgiltigkeit gegen Jahres- nud Tageszahlen
häufig den Eindruck, als ob die Erinnerungen im engern Kreise und ohne
Unterlage eines Tagebuches vorgetragen würden.

Der Verfasser kam 1876 in Belgrad an und wurde, wie er wiederholt
rühmend erwähnt, überall mit großer Liebenswürdigkeit aufgenommen. Er
erkennt aber auch bald, daß es um die Wehrkraft der Serben übel bestellt ist.
Die Landleute schelten auf den höchst überflüssigen Krieg gegen die Türken,
über die sich niemand im Lande zu beklagen habe, und auf die rohen russischen
Brüder. Ans dem Wege zum Heere wird die enge Straße durch Proviant-,
Muuitivns- und Marketenderwagen mit elenden Pferden und dnrch „schäbiges
Volk in zerlumpten Uniformen" und in Bauerntracht versperrt. Niemand
bemüht sich, Ordnung in die Massen zu bringen. Auch die Reiterei hat
schlechte, schlecht gesattelte und gezäumte Pferde, die Leute tragen ihre langen
Gewehre nach Belieben, hinten oder vorn, aufrecht oder quer, den Kolben oben
oder unten. Der Armeekvmmaudant Tscholak-Autitsch selbst erklärt die Miliz¬
truppen für unzuverlässig, das Wehrshstem für unglücklich, und ist überzeugt,
daß Serbien Ursache haben werde, den Krieg zu bereuen, falls nicht die Russen
es retteten. Zum Glück hatten vorläufig die Türken so wenig Lust, von ihrer
Übermacht Gebrauch zu machen, daß ein österreichischer Offizier das Bild
brauchte: „Ein Krieg zwischen zwei Porzellanhunden auf dem Fensterbrett."
Übrigens bewies der Major Jlitsch, dessen der Verfasser mit großer Wärme
gedenkt, was ein tüchtiger Offizier mit den ungeübten und erbärmlich bewaffnetem
Soldaten auszuüben vermochte, und die russischen Helfer kommen im Grunde
noch schlechter weg als ihre Schützlinge.

So läßt der Verfasser einen serbischen Oberstleutnant sagen, im Stäbe
Tschernajews fanden sich nicht drei anständige Menschen, und unter diesen


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[0338] Stellung zu verbinden, weil sein Träger sich nicht ausschließlich dnrch sein negatives Heldentum gegen die Türken bekannt gemacht hat. Alle diese frag¬ würdigen Gestalten werden durch die Erinnerungen eines preußischen Offiziers heraufbeschworen: Elf Jahre Balkan (Breslau, Kerns Verlag). Der Verfasser hat unmittelbar nach einander bei Serben, Türken, Rumelioten und Bulgaren Dienste genommen — man sieht, der deutsche Landsknecht stirbt nicht aus! — und dadurch Gelegenheit zu genauern Einblicken in das Wesen der verschiednen Volksstämme und die militärischen Einrichtungen der Balkanstaaten erhalten, ist manchen hervorragenden Personen näher getreten, seine Aufzeichnungen machen den Eindruck unparteiischer Wahrheitsliebe und liefern daher gewiß „zur Beurteilung der jüngsten Vergangenheit, zum Verständnis der Gegenwart" und zu Schlußfolgerungen für die Zukunft, Beiträge. Daß sie ursprünglich nur sür kleinere Kreise bestimmt gewesen seien, steht teilweise im Widerspruch mit der gelegentlichen Thätigkeit des Verfassers als Kriegskorrespondcnt, auch glnnben wir den eine» oder andern Abschnitt schon früher gelesen zu haben. Anderseits macht freilich die Gleichgiltigkeit gegen Jahres- nud Tageszahlen häufig den Eindruck, als ob die Erinnerungen im engern Kreise und ohne Unterlage eines Tagebuches vorgetragen würden. Der Verfasser kam 1876 in Belgrad an und wurde, wie er wiederholt rühmend erwähnt, überall mit großer Liebenswürdigkeit aufgenommen. Er erkennt aber auch bald, daß es um die Wehrkraft der Serben übel bestellt ist. Die Landleute schelten auf den höchst überflüssigen Krieg gegen die Türken, über die sich niemand im Lande zu beklagen habe, und auf die rohen russischen Brüder. Ans dem Wege zum Heere wird die enge Straße durch Proviant-, Muuitivns- und Marketenderwagen mit elenden Pferden und dnrch „schäbiges Volk in zerlumpten Uniformen" und in Bauerntracht versperrt. Niemand bemüht sich, Ordnung in die Massen zu bringen. Auch die Reiterei hat schlechte, schlecht gesattelte und gezäumte Pferde, die Leute tragen ihre langen Gewehre nach Belieben, hinten oder vorn, aufrecht oder quer, den Kolben oben oder unten. Der Armeekvmmaudant Tscholak-Autitsch selbst erklärt die Miliz¬ truppen für unzuverlässig, das Wehrshstem für unglücklich, und ist überzeugt, daß Serbien Ursache haben werde, den Krieg zu bereuen, falls nicht die Russen es retteten. Zum Glück hatten vorläufig die Türken so wenig Lust, von ihrer Übermacht Gebrauch zu machen, daß ein österreichischer Offizier das Bild brauchte: „Ein Krieg zwischen zwei Porzellanhunden auf dem Fensterbrett." Übrigens bewies der Major Jlitsch, dessen der Verfasser mit großer Wärme gedenkt, was ein tüchtiger Offizier mit den ungeübten und erbärmlich bewaffnetem Soldaten auszuüben vermochte, und die russischen Helfer kommen im Grunde noch schlechter weg als ihre Schützlinge. So läßt der Verfasser einen serbischen Oberstleutnant sagen, im Stäbe Tschernajews fanden sich nicht drei anständige Menschen, und unter diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/338>, abgerufen am 28.06.2024.